Sturm im Herbstlaub

-Nasses Herbstlaub fliegt mir um den Kopf und spielt mit meinen Augen. Ich kann ihm nur schwer folgen und kaum ist es aus dem Blickfeld, bewegen sich meine Gedanken wieder wo anders. Das Waldstück ist freundlich und warm und das im tiefsten Herbst. Es will mich ablenken, aber ich will nicht.-
Sein Handy hatte er zu hause liegen lassen. Irgendwo auf einer Ablage vibrierte es jetzt vermutlich freudig rum. Entweder weil es endlich aus seiner Hosentasche durfte, oder einfach weil jemand anruft. Wie auch immer, er ist heute nicht zu erreichen. Für niemanden.
Sein Kalender schaute neidisch zum Handy. Ach, könnte er doch auch vibrieren. Dann würde jemand all diese wichtigen Termine wahrnehmen die jemand auf ihn gemalt hat. Jemand würde an die Geburtstage denken und zu seinem Zahnarzttermin gehen. Aber es würde auch jemand schon daran denken den Nachfolger des Kalenders zu kaufen. Er dachte schon das ganze Jahr nicht gerne an diesen neuen Kalender der da kommen würde.

-Alles unwichtig, denke ich mir. Alles wertlos. Alles irgendwie tot. Ist das dieses Gefühl in mir?-

Die Teetasse lachte still und heimlich. Sie roch nach Pfefferminze und tief in ihrem Bauch lag Zucker. Sie klebte zwar etwas an ihrer Untertasse fest, aber das störte sie nicht. Sie wartete mit einem Wohlgefühl auf den nächsten Beutel und das warme Wasser. Ganz selten schwappte sie vor Freude über, was ihr immer unheimlich peinlich war.
Die Tastatur nahm es ihr manchmal übel. Sie war ein Arbeitstier und in ihrem Bauch hatte Zucker schon gar nichts verloren. Sie war eh nicht besonders gut gelaunt. Verständlich, wenn ihre Bestimmung doch war, dass man auf ihr rumdrückte. Sie wusste, dass man ihr wenig Respekt entgegen brachte. Niemand hatte je danke gesagt.

-Ach, was denke ich denn da? Unwichtiges Zeug. Und wieder dieses Herbstlaub. "Tot" ist es nicht. Und es ist auch keine Leere in mir. Eher das Gefühl nach einem Wohlgefühl. Ein Fehlen. -

Die Hanteln liegen unter dem Bett und warteten auf ihren nächsten Einsatz. Sie waren begeistert, denn außer schwer sein brauchten sie wirklich nichts tun. Und das konnten sie wirklich gut. Sie hatten schonmal versucht leichter zu sein, aber es gefiel ihnen nicht.
Das DVD-Regal wäre gerne leichter gewesen. Denn es hatte das Gefühl, dass es sich wegen seines Gewichtes bald von der Wand trennen müsste. Es war zwar nicht besonders schön, aber es hatte Herz. Es war von Hand gebaut. Und so hielt es stolz all diese DVDs die er abends alleine gucken musste.

-Wie kann es auch nur sein, dass ich außer einem Lächeln vor ihr nichts zu bieten habe. Ein Lächeln. Wie bescheuert. Ich habe ihr bestimmt noch kein einziges mal "Hallo." gesagt.-

Die Stereoanlage war auch nicht besonders gut drauf. Die ganzen letzten Tage immer nur diese schnulzigen Pop-Songs. So schön, aber auch so traurig. Nie konnte sie zu ihm singen, ohne dass er an seine Einsamkeit erinnert wurde. Nie konnte sie diese romantische CD für zweisame Abende abspielen. Sehr undankbar.
Dem Sofa ging es ähnlich. Es hatte so viel Platz zu bieten und die besonders weiche Rückenlehne, aber für nur eine Person war es einfach zu groß. Es war zu mehr bestimmt. Es war unterfordert. Eine Person mehr. Eine nette Frau für ihn. Das wäre dochmal was.

-Wenn ich doch nur wüsste was sie denkt. Warum hat sie wohl noch nie "Hallo." gesagt? Ich bin wirklich bescheuert. Vermutlich mag sie mich gar nicht. Dabei hat sie diesen schönen Blick drauf wenn ich sie sehe. Hm, Sturm im Herbstlaub zieht auf. Vielleicht erwartet man mich ja zu hause.-


Anmerkungen:
Ich hatte wieder die Idee einer kleinen zusammenhängenden Geschichte. "Er und Sie" soll sie heißen und besteht aus verschiedenen Elementen und Perspektivenwechseln.

Kommentare

  1. Den anderen Post dazu habe ich natürlich ganz schnell über das Label finden können. ;)

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Anmerkungen? Fragen? Wünsche? Schreib gerne einen Kommentar. Ich schaue regelmäßig rein, moderiere die Kommentare aber auch, also bleibt nett.

Vielleicht auch spannend: