Kein Frieden bis Wittmund

Autor: Jay
Verfasst: 12.07.2009

Kein Frieden bis Wittmund

Brennendes Gummi steigt mir in die Nase. Zumindest müsste es das, so wie ich die Autobahn entlang schieße. Verschwommen lese ich irgendetwas von "Oldenburg" und drücke mein Gaspedal noch tiefer in den Fußraum. Eigentlich trete ich es eher. Immer feste rein. Und noch mal. Den Schaltknüppel schlage ich in die Gänge und spiele mit dem Gedanken, einfach nicht die Kupplung zu treten, nur um dem Getriebe weh zu tun.
Die Zahnräder sollen nicht greifen, sie sollen in einander schlagen, kollidieren und vor Schmerz schreien. Haha! Getriebe, dir hab ich es jetzt aber gegeben. Und, Motor? Spürst du es schon? Du funktionierst nur und funktionierst. Genau wie ich.
Jeden Morgen ins Büro, die Projekte betreuen, mich mit anderen Abteilungen streiten, Sachen hinterher telefonieren. Kein Spaß. Es macht einfach keinen Spaß. Und kaum ist man eine Minute raus aus dem Büro, da klingelt das Handy und daheim stürzen dann auch noch hundert Mails auf mich ein. Betreff: "Hallo, ich bin deine Arbeit und stalke dich auch zu Hause." Meine Antwort: "Nein."
Ich springe einfach in mein Auto. Toller Wagen; toller teurer Wagen. Egal. Weg hier. Irgendwo hin, wo mich keiner kennt, oder keiner mehr kennt. Gen Norden. Sattelt die Pferde und Tschüss. Alle 180 Pferde galoppieren freudig los, um brennend durchs Land zu ziehen. Der Tsunami der Verpflichtungen in meinem Nacken kann mich mal. Die sind auch alle noch da wenn ich zurück komme.
In meiner Fantasie explodiert einfach alles was ich hinter mir lasse. Ja, in meiner Fantasie gibt es auch nur noch die Vorderhälfte des Wagens, weil einfach alles explodiert. Immer und immer wieder. Würde ich den Kopf in den Nacken legen, würde er auch explodieren, wenn er es noch nicht gemacht hat.
Termine, Termine, Termite. Knabbere freudig meine Zeit und zersetz sie. Wenn ich Abends mal Fernsehen will, dann trage ich es mir als Meeting mit meinem Medienbeauftragen in den Kalender ein. Abendessen mit der Freundin wird im Kalender kommentiert: "Bessere Konditionen schaffen; Mehr Ressourcen für das Marketing" nur um mir zu merken, ihr mehr Komplimente zu machen.
Diese Namensschilder an den Büros sind nicht dafür da, zu wissen wer drin sitz, nein. Es ist der erste Teil der Symbiose. Man wird zu seinem Büro. Man ist der Computer, das Telefon, ja, sogar der Tacker. Und wenn etwas fehlt, dann geht man schonmal in der Pause durch das Haus um es zu suchen. Dabei noch hier und da was deligieren und beantworten. Oh, Pause vorbei? Tja. Pech.
Auch jetzt klingelt mein Handy. Und Jetzt. Jetzt auch. Ich geh nicht dran. Immer noch. Nein, ich gehe nicht dran. Jetzt. Jetzt. Nochmal. Was wenn es wichtig ist?
Fenster auf, Tschüss Handy. Adieu.

Ein salzig fader Geruch zieht mir plötzlich in die Nase. Heimat. Ich sauge sie mit vollen Lungen ein und platze lieber, als sie jemals wieder gehen zu lassen. Das Ortschild von Wittmund habe ich noch nicht einmal passiert, aber der Krieg ist vorbei. Mein Handy liegt friedlich auf der Rückbank und schläft wie ein Baby. Die Pferde traben gemütlich über die Straße zwischen den Feldern. Wenn es überhaupt Felder sind. In jedem Fall grün und friedlich.
Ich pfeife ein mir unbekanntes Lied und verliebe mich neu in Klinker. Jedes mal wenn ich hier bin passiert das. Ich denke an Jever, eine Stadt die nach einem Bier oder ein Bier das nach einer Stadt benannt wurde. Ich schmecke die Stadt und rieche das Bier. Möchte ein Fischbrötchen essen und zwar ein echtes. Nicht das, was uns als Fischbrötchen verkauft wird. Ich sehne mich nach Tee und Gesprächen, die aus zufriedenem Schweigen bestehen. Ich spüre stillstehende Zeit.
Blau und weiß auf Porzellan ist mein Frieden. Still und leise legt er sich über meine Gedanken.
Egal wo mich mein Leben hinführt: Es gibt keinen Frieden bis Wittmund.

Kommentare

  1. Der Norden hat schon was. Ich fühl mich immer zu Hause und gleichzeitig im Urlaub, wenn ich das Hünengrab sehe, das etwa 2 km vor unserem Häuschen an der Ostsee steht. Ich lehne mich sogar immernoch aus dem Fenster und rufe in alter Gewohnheit "Hallo, Hünergrab!", wenn wir daran vorbeifahren. Wie damals als Kind.

    Ich kann das alles wirklich allzu gut nachvollziehen. Schön geschrieben.


    Das einzige, was ich ein wenig unlogisch finde, ist "Fenster auf, Tschüss Handy. Adieu." und wenig später "Mein Handy liegt friedlich auf der Rückbank und schläft wie ein Baby". Ich dachte, es wurde aus dem Fenster geschmissen...

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  2. als guter Geschäftsmann hat man mehr als ein handy -_-

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  3. Viel Spaß in Wittmund.
    Ich hoffe du findest inneren Frieden. ;-)

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  4. *nickt, als er über den Norden liest und erinenrt sich*

    In stürmisch kalter Nacht,
    da glimmt ´gen Nordens Firmament,
    solch eine wunderbare Kraft,
    dass mein Herz vor Freude rennt.
    Der Wunsch dem Lichte nah zu sein,
    in Ihrem Lächeln sich zu sonnen,
    ist unbändig , so klar und rein,
    hätt´die Reis´ doch schon begonnen!

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  5. An Meadow:
    Was die Figur in Gedanken tun möchte und dann in der Realität tatsächlich tut, das sind verschiedene Dinge. Es möchte ja das Getriebe quälen, schont es aber.

    An den Imperator:
    Erzähler und Autor sind wie so oft zwei verschiedene Personen. Ich beschreibe hier nicht meine Sicht der Dinge.

    An Falden:
    Deine gereimten Worte feuer mich nur weiter an.

    An G-Man:
    Willkommen.

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  6. Ja, aber beim Getriebe steht, dass er mit dem Gedanken spielt... Das war beim Handy nicht so ersichtlich.

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  7. An Meadow:
    Muss es ja auch nicht.

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  8. Jaaa, ich weiß ^^ Aber es hat mich halt verwirrt.

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  9. Ich habe von dir ja bisher nur Gedichte gelesen, aber Prosa kannst du auch ganz gut, muss ich ja zugeben.
    Mich hat besonders der Titel neugierig gemacht und der Inhalt, was soll man sagen....

    ICH WILL URLAUB!! ;-)

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  10. Danke sehr, Cara. Ehrlich gesagt fühle ich mich auch in der Prosa viel wohler.
    Den wollte ich, als ich diesen Text geschrieben habe, auch unbedingt. :)

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