Die sich missverstehen

Autor: Jay
Verfasst: 28.02.2010

Die, die sich missverstehen

Er ist still. Er ist unscheinbar und hat diese Ruhe im Blick. Keine angenehme ansteckende Ruhe, eher eine die einen selbst beunruhigt. Es sind keine Zeiten für Ruhe, wie kann er da so ruhig sein? Festungsgleich sitzt er in der Runde und schweigt. Sein Blick wäre jeder Zeit geeignet für das Fahndungsplakat eines Gewaltstraftäters und in der Tat, als er über seine Hobbies spricht, da erzählt er von Schwertern die er sammelt. Nein, die Klingen sind nicht geschärft, sagt er, aber das einzige was einem selbst über dem Kopf umherschwebt sind eben diese Schwerter. Wofür hat er Schwerter? Warum lächelt er so ruhig? Er ist unheimlich, er ist unangenehm. Auch, dass sein Vater der Metzger im Ort ist hilft überhaupt nicht. Die Klingen haben in etwa die Länge von Anderthalb Armen, sagt er. Näher sollte man ihm also vermutlich nicht kommen.Und das Mädchen an seiner Seite ist noch viel unheimlicher, denn immerhin hält sie seine Hand. Sie lächelt nicht. Sie lächelt nie. Ihre Augen flackern zwischen Trauer und Aufgabe. Beide sitzen sie verschwiegen und vergraben dort und planen ihre seltsamen Taten.

Hüftenschwung um Hüftenschwung wirft sie in die Menge. Ihr Busen wippt und ihre Schenkel vibrieren zu massiven Bassläufen, während sie freudig ihren Longdrink verschüttet. Ihre Augen sind geschlossen, was vermutlich an dem viel zu dichten Make-up liegt. Wenn sie dann doch mal aufspringen, dann sind es wunderschöne Magneten, die Hunger machen. Hunger und Lust auf mehr von diesem Körper, mit dem sie sich sorgenfrei über die Tanzfläche wirft. Ihr Outfit sind eigentlich nur mehrere Stoffstreifen, die, wie in den Musikvideos, zu einem Kleid zusammen geworfen sind, dass irgendwie keine Fragen mehr offen lässt. Wenn sie sich so zeigt, dann kann sie nur eine Mission haben. Diese süße Maus wird den Club nicht alleine verlassen wollen. Und in ihr eigenes Bett will sie mit Sicherheit auch nicht. Schon reiben sich die ersten Jeanshosen an ihrem knackigen Hintern. Da kommt kein Freund um sein Revier zu markieren und auch keine gute Freundin, die sie weg zieht, also ist diese ganz offensichtlich für alles offen. Eventuell ist sie sogar eine Professionelle. Am Ende nimmt einer sie mit und sie dann sein Geld.

Er hockt im Park und lächelt die Kinder an. Und da er in der Überschrift zum Text schon verraten hat, dass es um Missverständnisse geht, weiß ein jeder, dass es hier keinen perversen Einschlag geben wird.
Ich freue mich über die Neugierde und die Ignoranz der Kinder, die ihre Spielgefährten ganz spontan aussuchen. Ob sie mehr Tiefe in den Menschen sehen, oder weniger weiß ich nicht. Ob sie in die Menschen direkt rein sehen oder nur die Oberfläche sehen weiß ich nicht. Ob sie Menschen besser oder schlechter verstehen als ich, das weiß ich auch nicht.
Ich denke an den Schwerterjungen und auch das Mädel im Club. Ich frage mich plötzlich, was ihre Geschichte ist. Ich frage mich, warum ich sie so gesehen habe, wie ich sie gesehen habe. Warum war er unheimlich und sie billig, weshalb er gefährlich und sie bedürftig?
Ob sie wohl wissen, dass wir die sind, die sich missverstehen?

Kommentare

  1. Man sollte sich nie eine endgültige Meinung bilden, bis man den Menschen hinter den "Schwertern"/dem "Makeup" kennengelernt hat.
    Allerdings sollte man auch nicht zu viel Zeit damit verbringen zu grübeln, was andere über einen selbst denken. Die Welt ist voller Missverständnisse. Da fällt mir glatt dieses Lied von den Ärzten zu ein ... http://www.youtube.com/watch?v=anC6Li3dRRw&feature=related

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  2. Menschen definieren über Eindrücke und ihre Vorurteile die Welt. Dass es dabei nicht um "Wahrheit" geht und wie sehr wir vom Stereotypendenken gefagen sind, fällt mir zur Zeit sehr häufig morgens in der Bahn auf...
    Ich glaube, Kinder haben weniger Vorurteile, von denen sie zehren können und gehen gedankenloser (im wörtlichen, positiven Sinn) heran.
    Und sind Missverständnisse wirklich Missverständnisse? Manchmal glaube ich, wir verstehen doch, das wir eine Wahl der Sicht haben... Vielleicht wollen wir das in unserem inneren nur nicht.

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