Samstagabend

Ach du Schande, was musste das für eine wilde Nacht gewesen sein. An den genauen Ablauf habe ich keine Erinnerungen mehr, aber wenn man mit seinem dicken Wintermantel bekleidet, die Füße in einer Bierlache stehend, eingespeichelt, ohne Erinnerung daran wo man unterwegs war an einem Sonntagnachmittag wach wird, dann bleiben da wenige Fragen offen.
Ein Blick aufs Handy. Acht ungelesene SMS, 4 Nachrichten auf der Mailbox. Meine Güte.
"Martin! Wo steckst du? Wir suchen dich die ganze Zeit! In der Mupa ist nichts los,wir gehen jetzt ins Naked weiter. Komm da hin wenn du das hörst.", wummernde Musik und Gespräche im Hintergrund. Scheinbar habe ich gestern den Anschluss an die anderen verloren, aber wo waren wir denn überall?
Dunkele Erinnerungen daran, den anderen gegen Mittag eine SMS geschickt zu haben. Das Gute an Freunden ist ja, dass man sich irgendwann mit ihnen fast blind versteht. Der eröffnende SMS-Dialog war daher wie folgt:
"Bier?"
"Bier!"

"Wo?"
"Hier?"
"Wann?"
"Jetzt?"
"Später?"
"Zehn?"
"Wo?"
"Mupa?"
"Bier!"
Der Kopf schepperte noch ganz schön. Aufgedrehte Heizung, Biergeruch, Zigarettengeruch, Fenster zu. Außerdem rebellierte mein Magen, komischerweise nicht sauer, wie sonst wenn ich viel getrunken hatte.
Ich höre weiter die Mailbox ab.
"Martin! Keine Ahnung wo du steckst. Wir sind wegen Wilhelm rausgeflogen. Fahren jetzt tatsächlich noch nach Düsseldorf, vorher muss Wilhelm aber in frische Klamotten, deshalb gehen wir in den Uhu. Komm da hin, okay? Bis später."
Wegen Wilhelm? Ich werd nicht mehr. Der Vernünftige fliegt aus einem Club. Irre. Was für eine Nacht.
Den Mantel muss ich langsam mal ablegen, denn darunter bin ich total verschwitzt. Klar, die ganze Nacht unterwegs und getanzt, da kann das schon mal passieren.
Ich quäle mich unter die Dusche, lasse im Wohnzimmer das Fenster zum Lüften offen. Im Vorbeigehen sehe ich in der Küche noch meine Pizza von gestern Abend rumstehen, nicht angerührt. Vielleicht aber auch eines der typischen Aufbauessen, nach langen Touren. Der berühmte Fressflash, der auf den Suff folgt.
Gar nichts. Der Regen aus dem Duschkopf wirkt kaum so erholsam wie er sollte, aber nur, weil ich gar nicht mal so fertig bin, wie ich eigentlich sein sollte. Was mich wundert, denn nach einem ordentlichen Ausritt bin ich oft komplett abgeschaltet, nicht selten musste ich mich vor dem Duschen noch übergeben. Gutes Stichwort. Beim Abtrocknen checke ich mein Klo, aber an dem Klostein, wo immer irgendwas hängen bleibt, herrscht die starkbeworbene arktische Frische.
Beim Anziehen stoße ich auf den nächsten wichtigen Zeugen des letzten Abends. Meine Geldbörse steckte noch in der Arschtasche meiner Jeans, als ich es prüfe, wird mir ganz anders. Habe ich gestern die Zeche überall geprellt? Oder habe ich nochmal Geld abgehoben?
Hastig prüfe ich online mein Konto. Kein Euro weniger als am, "Mr. coombasti to the fantas-", mein Handy klingelt, Wilhelm ist dran.
"WOOOOOHOOOO! Martin! endlich erreichen wir dich!" - "Ey, Wilhelm! Gut, dass du anrufst-" Im Hintergrund bei Wilhelm höre ich Lärm, es klingt irgendwie nach Kneipe, aber mit Pfiffen dazwischen. "Was geht mit dir Martin? Wieder alles gut?" Wilhelm musste also noch von gestern Nacht wissen, auch wenn er selbst gar nicht so besonders nüchtern klang. "Nee, Wilhelm. Nichts ist gut. Was ist gestern passiert? Ich erinnere mich an gar nichts!" Wilhelm lacht nur schallend los und ich merke, dass er das Telefon abdeckt, um es jemandem zu erzählen. Dann nimmt das Lachen zu und ich höre die Jungs raus. Dann kommt Wilhelm zurück, aber deutlich ernster.
"Erinnerst du dich wirklich an nichts?" - "Nee. Keine Sekunde. Weder Mupa, noch Naked, noch sonst irgendwas." - "Weißte warum?" - "Nee. Junge, lass mich nicht so hängen. Was war gestern los?"
"Nichts. Du warst nicht am Treffpunkt und auch sonst nirgends. Erst dachten wir, du wärst wo anders unterwegs oder hättest wen kennengelernt, aber als wir mir frische Klamotten geholt haben, sind wir spontan mit dem Ersatzschlüssel bei dir rein, weißte, nicht dass dir was passiert ist." - "Ja und?"
Wilhelm erklärte mir, dass sie mich eingeschlafen auf meinem Sessel gefunden hatten. Mein Handy hatte ich noch in der Hand, angefangen eine letzte SMS, die aber nicht versandt werden konnte: "Ich ess noch eben 'ne Pizza und dann geh ich los."
Ich war zu Hause im Sessel eingeschlafen, noch bevor ich losgegangen bin.
Zu erst freute ich mich, aber dann dachte ich an den tollen Abend mit den Jungs den ich verpasst habe.
Schon wieder.

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