Wenn die Spaziergänge nicht mehr helfen


Vor langer Zeit habe ich hier Jiro Taniguchi vorgestellt, der mich mit seinen langsamen Graphic Novellen vollkommen verzaubert hat. Es war alles so ruhig, so friedlich und übertrug eine innere Harmonie auf mich, die bei Walking Dead, Scott Pilgrim, The Goon und Marvelhelden kaum zu finden gewesen wäre.

Inzwischen bin ich mit dem Zeichner schon auf so einige Reisen in seinen Novellen gegangen, aber diese hatte mein besonderes Interesse geweckt. Ich interessiere mich für asiatische Geschichte(n) und als es hieß, dass es um den Mann geht, der die erste vollständige Karte von Japan erstellt hat, war ich mehr als nur neugierig. Ich war sicher.

Sicher, dass Taniguchi wieder in seinem einmaligen Tempo eine persönliche Tiefe schaffen wird, um mir eine Person näher zu bringen, die mir sonst nicht aufgefallen wäre. Sicher, das mich wieder unglaublich detailierte Bilder für Minuten aufhalten würden, bevor ich weiter lesen könnte. Sicher, dass ich, wie aus jedem seiner Werke, etwas mitnehmen könnte, dass für mich von Bedeutung sein wird.

Und diese Vorahnungen wurden bestätigt. Das alles schafft er auch. Wirklich. Wer dieses Buch als erstes von Taniguchi liest, wird vermutlich erstaunt sein darüber, was eine Graphische Novelle zu leisten im Stande ist. Die Langsamkeit ist wie immer ansteckend.
Aber wie bei jeder Ansteckung, kann es auch zu einer handfesten Erkältung mit Erschöpfungserscheinungen kommen. Und dann kommt mensch vor lauter gebremsten Tempo kaum mehr in eine Bewegung, die sich wie fortschreiten anfühlt.

Das scheint zu mindest das Problem der Geschichte zu sein, die lange Zeit ohne große Spannung auskommt und nur die wirren Fantasieausflüchte der Hauptfigur als Abwechslung bietet. Und wenn dann plötzlich die letzte Seite des Buches ankommt, wundert mensch sich als Leser ganz schnell, wann denn jetzt die Verzeichnung Japans in Karten beginnt. Gar nicht. 
Bis zur amtlichen Beauftragung durch das Shogunat über einige lehrsame wissenschaftliche Erkentnisse geht das Buch, doch gerade als die strapaziöse Reise beginnt, endet das Buch und die große Ernüchterung oder in meinem Fall Genesung beginnt.

Denn auch wenn ich Jiro Taniguchis Erzählungen bisher mochte - Immerhin stehen fünf seiner Graphic Novellen in meinem Schrank und Elf habe ich gelesen - war "Der Kartograph" bisher die größte Enttäuschung. Natürlich entwickeln Erzähler und Zeichner einen eigenen Stil, aber wenn dieser über strapaziert wird und einzelne Elemente dieses Stils überspitzt werden, dann entsteht meist nur ein Werk, dass einen Liebhaber als Leser braucht.

Denn wer sich als Europäer gerne mit asiatischer Dichtung beschäftigt oder gerne das zwölfseitige Glossar durchliest, welches immer wieder zwingt aus der Novelle raus zu blättern, der kann hier vermutlich eine tolle Zeit haben.

Es war "der spazierende Mann", der mich damals zu Jiro Taniguchi brachte und mir viel über Ruhe und gute Spaziergänge beibrachte, aber es scheint, als gäbe es dort nichts neues zu lehren, wenn ich die vielen Spaziergänge der Katrographen mitgehe. Und so ziehe ich erstmal weiter in eine andere Richtung und lasse meinen alten Freund weiter seine Wege gehen.

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