Das Ende

Quelle: Wikimedia
Ich wache auf, noch bevor der Wecker randaliert.
Ist vielleicht auch besser, dass die Ruhephase vorbei ist, denn so richtig zur Ruhe gekommen bin ich letzte Nacht nicht.
Meine Augen öffnen sich langsam. Sehr langsam und ich bemerke: Irgendwas stimmt nicht.
Ich fühle mich komisch. Alle Sinneswahrnehmungen wirken irgendwie dumpf.

Die Geräusche, die in meine Schlummerbude eindringen kommen mir leiser und undetaillierter als sonst vor.
Dass meine Sicht unscharf und verschwommen wirkt, beunruhigt mich nicht, das ist bei mir nach dem Aufwachen normal. Das hängt möglicherweise damit zusammen, dass meine Augenlider dann nur wenige Yoktometer weit geöffnet sind.

Mein Geruchssinn ist völlig außer Gefecht gesetzt, denn meine Nase ist völlig dicht. So richtig. Als hätte jemand meine Nasenflügel mit Industriekleber an meiner Nasenscheidewand festgeklebt und die noch offenen Stellen mit Bauschaum abgedichtet.
Meine Augen brennen wie Hölle. Bei jedem Nieser tränen die auch noch wie blöd. Ich sehe aus, als hätte ich grad etwa eine Dreiviertelstunde geheult.
Und mein Hals erst. Der fühlt sich an, als würde jemand dort drin eine Brandrodung durchführen. Jeder Schluck tut saumäßig weh.

Oder um es kurz zu machen: So ziemlich alles, was eine schöne Grippe ausmacht, vermistelt mir grade gehörig den Tag.

Himmel, geht es mir dreckig.

Beim morgendlichen Gang zum Klo stelle ich fest, dass meine Gliedmaßen sich anfühlen, als würden professionelle Eishockeyspieler mit ihren Schlägern die ganze Zeit da draufkloppen. Und ihr kennt Eishockeyspieler: Zimperlich sind die nicht.
Zu allem Überfluss hab ich auch noch einen Kopp wie ein Rathaus. Um die Abrissparty in meinem Kopf zu verdeutlichen: Es fühlt sich an als würden Manowar, Slayer, Cannibal Corpse, Iron Maiden und Kataklysm gleichzeitig ein überdurchschnittlich lautes Konzert in meiner Denkmuschel geben.

Gott, ist mir elend!

Ich lege mich wieder ins Bett und mir wird klar: Arbeiten? Nee, dat wird heut nichts.
Ich rufe meinen Chef an.

"Hallo?"
"Chef, pass mal auf, der Hartmann hier. Arbeiten stellt heute keine Option dar."
"Und wieso?"
"Kennen Sie Cannibal Corpse?"
"Ja, mein Sohn hört die."
"So ungefähr gehts mir heute."
"Oh..."
"Ja, das hab ich mir auch gedacht."
"Gut, dann bleiben Sie lieber zu Hause. Wenn Sie sich eher so Helene- Fischer- mäßig fühlen, sagen Sie mir noch mal Bescheid, dann kann ich Sie einplanen."
"Wenn es mir so geht, kommt es zu einer unschönen Begegnung zwischen einer Schusswaffe und meinem Kopf. Aber Botschaft angekommen. Ich meld mich. Tschüsselameng."

Boah, ist mir usselig, das ist nicht lustig.
Das kann keine gewöhnliche Erkältung sein. Ich bin mir sicher, dass meine Zeit auf Erden zu Ende geht.
Ich rufe meine Freundin an und setze sie auf den neusten Kenntnisstand.
Dann sage ich:
"Hast du was zu schreiben da?"
"Ja, habe ich." sagt sie hörbar irritiert
"Gut, dann diktiere ich die jetzt was."
"Okay?"
"Ich fange an. Überschrift: >Mein Testament<. Bitte mittig in die oberste Zeile und zwei mal unterstreichen."
"Sag mal, hast du Holz geraucht? Du hast nur eine kleine Erkältung. Also stell dich mal nicht so an, du Waschlappen."

Wütend lege ich auf.
Da möchte man in den letzten Minuten, die man noch hat, etwas sinnvolles machen und wird nicht ernst genommen. Alles muss man selber machen.
Ich greife mir ein Blatt Papier und einen Stift.
"Mein Testament:
Finger weg von meinen Sachen!".
Ging ja schnell.

Ich drehe mich auf den Rücken und denke: So geht es also zu Ende mit mir. Dabei wollte ich noch so viel machen. Zum Beispiel der scheiß Dreckstaube, die mir neulich in Oberhausen volle Möhre auf den Pulli gekackt hat mal so richtig schön auf den Kopf scheißen.
Oder diesen einen dämlichen Fahrgast, der sich neulich minutenlang bei mir über die Verspätungen der Züge ausgelassen hat, einfach mal zehn Minuten durchgehend anschreien und ihm danach noch meinen schweren Rucksack aber mit so richtig Schmackes in die Fresse schmettern.
Und dann würde ich sagen: "Don`t fuck with Eisenbahnern, Motherfucker!"
Besser als jeder Terentino- Film.

Und ich wäre noch gerne in fremde Regionen gereist. Irgendwo in Dritte Welt - Gebiete. Castrop- Rauxel oder so.
Außerdem wollte ich noch eine Fremdsprache lernen. Mich haben exotische Sprachwelten immer schon interessiert. Deswegen wollte ich mich nächsten Monat auch eigentlich für einen Österreichischkurs angemeldet.
Ich meine, wer für Prostituierte den Begriff "Gürteltier" verwendet, kann ja nur eine großartige Spache haben.

Ja, das wäre schön. Ist jetzt aber leider zu spät.
Jetzt kann ich nur noch darauf warten, dass Vatter Tod kommt und ich wortlos ins Licht gehen kann...

Kommentare

  1. Yeah, Cannibal Corpse, Slayer und Iron Maiden!

    Geiler Text, spricht mir grad voll aus der verstopften Nase...

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    1. Obwohl, halt. Der Vergleich hinkt doch: wie soll denn ein Konzert von den Bands schlimm sein? Für das Lineup würden viele .... ziemlich unappetitliche Dinge tun!

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    2. Ich ebenso. Mir gings ja nur darum, dass es echt heftiges Geballer ist ;-)

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  2. Ohja, ich habe es auch grade so geschafft ;-). Waren aber auch schon 2 von diesen Erkältungen in diesem Jahr.

    Ich drücke Dir die Daumen, dass du auch wieder zurück zu den Lebenden findest - und sonst wird dein Testament deinen Kram nicht retten.

    Hoffentlich werden wir uns aber nie "Helene- Fischer- mäßig fühlen"

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    1. Dann wird es zu dem oben beschriebenen Treffen zwischen Schusswaffe und Kopf kommen.

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    2. Uiuiui, nicht, dass das noch 'ne Dritte gibt ;-)

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  3. zu geil. Gute Besserung!

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    1. Dankeschön, ist aber wieder alles im Lack ;-)

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  4. Ich fühle mit. Auch mit trägt es gerade wieder aus den Sphären der Erkältung und auch wenn ich mich immer bemühe nicht all zu wehleidig zu sein, wie es uns Männern ja dann leider anlastet, hat es mich diesmal unweigerlich ausgeschaltet. Trotzdem habe ich dem Tod entgegen gelacht.

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  5. R.I.P.

    Das klingt wirlich übel!

    Ist es schlimm, das ich beim Lesen des Textes grinsen musste? ;D

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