Die Beerdigung

Ein paar Tage ist es her, dass Tante Hedwig mich anrief und mir mit bebender Stimme berichtete, dass Oma Lisbeth verstorben sei. Sie sei wegen einer sehr hohen Methankonzentration in der Luft erstickt. Opa Erwin sagt, dass er von Oma Lisbeth auf eine Grünkohldiät gesetzt wurde, betont aber auch, dass er von Anfang an gesagt hätte, dass ihm das Zeug nicht bekommt.

Nun sitzen wir in der Kirche bei der Trauerfeier.
Allesamt in schwarz.
Bis auf Erwin, einem guten Freund meiner Großmutter. In einem kunterbunten Jogginganzug sitzt er in der dritten Reihe. Sein, für diesen Anlass doch sehr ungewohnten Fummel kommentiert er mit den Worten: "Ja immer nur schwarz ist ja auch kacke."
Wo er Recht hat...

Dann zog auch schon der Pastor mit seinen Messdienern ein. Einer von denen schwenkte den Pott mit dem brennenden Weihrauch. Als sie an Tante Giesela vorbeizogen fing diese künstlich zu Husten an, gefolgt von dem Satz "Das ist hier eine Nichtraucherveranstaltung, das wissen Sie, oder?"
Sichtlich irritiert setzten sowohl der Geistliche als auch seine Gehilfen ihren Gang zum Altar fort.
Bei Beginn der Messe sah man den Pastor häufig böse Blicke in Richtung des Auditoriums werfen. Das lag nicht zuletzt daran, dass sich alle unterhielten.
Als der Pfarrer eine Seite in seinem Buch aufschlägt und zum Gebet ansetzt brüllt Onkel Theo mit Inbrunst: "SACH BLOß, DU KANNST DAS NICHT AUSWENDIG?"
Während alle anderen sich prächtig amüsierten, warf der Pastor dem Störenfried einen Blick zu, der so dermaßen eisig war, dass man sich vom Zusehen schon fast Gefrierbrand hatte.
Doch dann machte er weite. Etwa in der Mitte der Messe musste der Geistliche wieder unterbrechen. Oma Lisbeths Schwester, Oma Hannelore war eingeschlafen. Ihr Schnarchen hallte durch den Innenraum der Kirche in etwa der Lautstärke eines Motörhead- Konzerts.
Und wieder lag die Verwandtschaft auf dem Boden vor Lachen.
Man sah dem Pastor an, dass er sich ein wenig veralbert vorkam. Doch, und dafür hat er meine vollste Hochachtung, er zog die Messe durch und ließ sich von weiteren Störungen nicht beirren.
Nach der Trauerfeier entschuldigte ich mich bei ihm für das Verhalten meiner Verwandtschaft. Er entgegnete trocken: "Ach, Sie glauben nicht, wie oft mir das passiert. Das hat schon Normalität."

Der Sarg war in einem kleinen Festsaal neben dem Friedhof aufgebahrt.
Wir gingen dort hin. Das Podest mit dem Sarg stand etwa in der Mitte des Raumes, in der linken Ecke stand ein Tisch mit Schnittchen, auf der rechten Seite ein Tisch mit Getränken. Da ich so dermaßen Brand hatte, nahm ich mir eine Flasche mit durchsichtiger Flüssigkeit, von der ich dachte, es sei Wasser und machte mir den Pappbecher, auf dem irritierender Weise schon mein Name stand, etwa 3/4 voll.
Das sah dann auch Onkel Theo, der mich sofort anbrüllte: "SAUF MAL NICHT MEINEN GANZEN WODKA WEG!"
Ich hätte es ahnen können.
Mit Begeisterung wurde mit den auf den Brötchen befindlichen Gurkenscheiben geschabbelt.
Nur zu gern hätte ich mir auch eine Schrippe einverleibt, zu dumm nur, dass die drei Tabletts binnen kürzester Zeit leergefressen waren. Dagegen sind Heuschreckenplagen Killefit.
Nachdem dann alle, von mir mal abgesehen, gesättigt waren und man sich fünf Minuten der Verdauung gegönnt hatte, öffnete sich die Eingangstür und Onkel Dieter kam herein. Mit einem Bollerwagen, der bis zum Rand mit Dosenbier und Schnapsflaschen gefüllt war.
Unter dem rechten Arm hielt er einen Ghettoblaster aus dem furchtbarer deutscher Schlager im dreistelligen Dezibelbereich hämmerte.
Die Restfamilie war nicht mehr zu halten. Tische und Stühle wurden vor die Tür geschoben und alles, was sonst noch Platz wegnahm, wurde kurzerhand aus dem Gebäude entfernt. Von Oma Lisbeth mal abgesehen.

Als etwa die Hälfte des Mobiliars entfernt wurde, stellte Onkel Dieter den Ghettoblaster auf den Sarg, drehte voll auf und alle Anwesende tanzten los.
Sofern man das als "Tanzen" bezeichnen konnte. Es hatte eher etwas von Wassergymnastik mit Seekühen.
Kurze Zeit später fiel den Beteiligten auf, dass es immer noch zu eng in dem Raum war. Logische Konsequenz: Der Sarg wurde hochkant in die Ecke gestellt, die Soundmaschine davor.
Ich habe wirklich nicht damit gerechnet, dass es noch schlimmer kommen kann.
Weit gefehlt.

Denn auf einmal lief Onkel Theo, der mindestens 1000 Promille hatte, in die Mitte der "Tanzfläche" und riss sich sein Hemd von dem behaarten Bierbauch.
Das Hefegeschwür wippte die ganze Zeit hoch und wieder runter, ein bisschen neben dem Takt. Von weiter weg sah es aus, als würde ein Braunbär Polka tanzen.
Drei Doppelkorn und ein Bier später brüllte er: "Ich mach jetzt 'n Breakdance!"
Ich schlug mir die Hände vor das Gesicht und dachte nur: "Lieber Gott, bitte nicht!"

Auf einmal ließ sich er sich fallen, ich vermute, dass er zu einer Windmill ansetzen wollte. Doch dazu kam es nicht, weil er sich so dermaßen blöd hat fallen lassen, dass er sich die Schulter brach.
Doch anstatt einen Rettungswagen zu alarmieren oder einen Arzt aufzusuchen sagte er nur: "Ach, das gibt sich mit der Zeit, gib mal ein Bier."

Was danach passierte, kann ich nicht sagen. Ich musste raus aus der Hütte, länger konnte ich mir das nicht antun.
Ich nahm mir noch eine pisswarme Büchse Bier mit und ging zur Straßenbahnhaltestelle.

Und an diesem Tag schwor ich mir: Nie wieder Familie!

Kommentare

  1. Danke für diesen amüsanten Text!
    Meine Familie auf der einen Seite meiner Eltern ist eine Katastrophe bei Trauerfeiern, so dass ich ganz gut mitfühlen kann, auch wenn es sich hier eventuell um Fiktion handelt.
    Ich meine, Niemand macht Breakdance zu Schlager. ;)

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    1. Natürlich ist das nur Fiktion. So schlimm ist meine Familie nicht ;-)
      Also nicht alle :D

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  2. Herrlich! Komischerweise kann ich mir das bei einem Teil meiner Familie auch vorstellen... Rentner und Alkohol sind ja immer ne explosive Mischung :)

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