Kommentar: Personenunfälle im Eisenbahnverkehr


Es passiert nahezu täglich in Deutschland, es passiert täglich weltweit.
Die Rede ist vom "Personenunfall", also das Erfassen einer Person durch einen Zug. Sei es nun durch Suizid oder durch einen tragischen Unfall.
Wer in regionalen Zeitungen liest, wird einen solchen Artikel häufiger lesen.
Als Robert Enke sich 2009 das Leben nahm, war das Thema in aller Munde. Sein Tod wurde und wird völlig zurecht betrauert, es ist immer sehr schlimm, wenn ein Mensch stirbt. Enkes Frau erfuhr auch völlig zurecht Beileidsbekundungen, Unterstützung und Anteilnahme.
In den Artikeln und Beiträgen hieß es immer, nachdem ein langer Bericht über Enkes Leben und die Umstände seines Todes zu lesen war, dass der Lokführer einen Schock erlitt. Und damit hatte sich die Sache. In aktuellen Artikeln zu Personenunfällen ist es im Übrigen nicht anders.
Ich habe immer das Gefühl, dass der Eisenbahner an der Stelle egal ist und dass Anteilnahme ihm und vielleicht seiner Familie gegenüber nicht so wichtig ist.
Und dafür habe ich kein Verständnis.

Das hat man nach dem Unfall mit Robert Enke am besten gemerkt. Aufrichtige Anteilnahme ihm und seiner Familie gegenüber, die wie bereits erwähnt sehr gut und sehr wichtig ist aber um den Bahnmitarbeiter hat sich keine Sau geschert,
Und es ist ja nicht nur der Triebfahrzeugführer. Einsatzkräfte wie Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst und Bestattungsunternehmen, sowas geht an keinem spurlos vorbei.
Aber das scheint kaum jemanden zu interessieren.
Und das verstehe ich nicht. Auch der Lokführer und die Rettungs- und Polizeikräfte sind nur Menschen. Menschen mit Gefühlen, die es emotional und psychisch unglaublich schwer belastet, wenn sie, wie im Falle der Triebfahrzeugführer, es nicht verhindern können, dass sie einen Menschen überfahren.
Auch wenn die Person es so gewollt hat, sowas kriegt man nicht einfach so aus dem Kopf. Schuldgefühle, Panikzustände und wirklich schlaflose Nächte sind häufige Folgen.
Aber warum sollte das jemanden interessieren?

Es ist nun schon ein paar Jahre her. Ich stand am Duisburger Hbf auf Bahnsteig 3. Aus Richtung Essen fuhr grade ein ICE 3 ein.
Plötzlich ließ sich ein Mann, keine 20 Meter von mir entfernt, vor den Zug fallen.
Das Zischen der Schnellbremsung und das Kreischen der Bremsen werde ich nicht vergessen. Das hat sich eingebrannt.
Fassungslos stand ich da und konnte nicht mehr wegsehen. Die Person habe ich nicht gesehen aber darauf habe ich auch gerne verzichtet.
Der Lokführer stieg aus, ein junger Mann, vielleicht Ende 20. Dieses kreidebleiche Gesicht und dieses Zittern am ganzen Körper sagte alles. Der Mann war nervlich am Ende und eilte wieder in seinen Führerstand.
Eine Zugbegleiterin, kam aus der vorderen Tür des ersten Wagens gelaufen. Die junge Frau, ebenfalls so um die Mitte/ Ende 20 brach weinend zusammen. Sie wurde von ihren Kollegen gestützt und weggebracht.
Dieser Anblick hat mich hart getroffen.
Das waren verdammt nochmal junge Menschen! Ich hoffe bis heute, dass ihnen die Dienstunfähigkeit erspart blieb und sie den Unfall gut verarbeiten konnten. Zu viele Kollegen sind an solch einer Situation schon psychisch zerbrochen. Und das wünscht man nicht mal seinem ärgsten Feind!

Und dann stehe ich am Bahnhof oder sitze im Zug und höre Sätze der anderen Fahrgäste, wie etwa: "Kann der das nicht wann anders machen?" oder "Jetzt komme ich wegen so einem Arschloch zu spät nach Hause!", um nur mal zwei Beispiele zu nennen.
Sag mal, geht's noch? Ein Mensch ist tot, mindestens ein anderer ist psychisch am Ende und ihr seht euch als Opfer, weil ihr nicht pünktlich nach Hause kommt? Ja, ich weiß, es ist immer schwer weiter zu denken, als das Brett vor dem Kopf angebracht ist, aber ist ein wenig Mitgefühl den Betroffenen gegenüber zu viel verlangt?
Was ist mit der Familie und den Freunden, die einen geliebten Menschen verloren haben? Sind die euch egal? Oder der Lokführer, der vielleicht nie mehr arbeiten gehen kann, weil er denkt, er sei ein Mörder und den Unfall jeden Tag wieder in Gedanken durchleben muss?
Ich habe leider schon einige Notrufe mithören müssen. Da waren Kollegen, die vor Schock nichts mehr sagen konnten, sondern einfach in Tränen ausgebrochen sind.
DAS sind die wahren Opfer, nicht die Fahrgäste, die irgendwelche Termine verpassen oder auf dem Heimweg sind. Sondern die, denen ein Mensch aus dem Leben gerissen wurde und die, die sich wie Mörder fühlen, ohne überhaupt etwas dafür zu können.



Liebe Lokführer,
auch wenn es einige gibt, die das anders sehen aber wir, die Eisenbahner, sind eine Familie.
Egal, welchem Eisenbahnverkehrsunternehmen Ihr angehört, wir, eure Kollegen, stehen hinter Euch!

Kommentare

  1. Danke Tobi, dass du deine Erfahrungen und Erlebnisse hier teilst. Ich bin auch immer schockiert, wie wenig Empathie dann manche am Gleis zeigen, wenn so eine Meldung deutlicher wird. Ich schätze nicht, dass dieser Beitrag die Sichtweise derer ändern wird, die so reden und handeln, aber ich möchte "euch" Eisenbahnern sagen, dass ich empathisch mit jedem bin, der so etwas mit erleben muss und hoffe, dass es Wege geben wird, Menschen in Zukunft besser vor solche Fällen zu schützen. Also auch, dass es überhaupt dazu kommt.

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    1. Sowas wird man nicht verhindern können. Aber die Traumaverarbeitung ist das, wo das Hauptaugenmerk draufliegt. Ich weiß nicht, wie andere Unternehmen das handhaben, aber die DB ist da wirklich gut drin. Das heißt dennoch leider nicht, dass alle Lokführer das auch verarbeiten können oder zumindest damit umgehen können

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  2. Ich finde es ganz arg schlimm, wenn das einzige, was Leute daraufhin sehen, ist: "nicht schon wieder einer, jetzt kommt mein Zug zu spät" - ich finds gut, Mal eine andere Perspektive zu lesen. Dankeschön!

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    1. Sehr gerne. Vielen Dank für dein Feedback!

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