Auf keine Zigarette

Ich sollte mit dem Rauchen anfangen. Ich stehe bereits am Küchenfenster und starre in die Wildnis, die der Garten des Wohnhauses sein soll. Der Regen tut sein Ding, weicht alles ein, frischt die Luft auf, füllt das Klischee ausreichend auf. Mann steht mit Whiskey-Glas am Küchenfenster und starrt hinaus. Ich sehe mich von außen. Es wäre eine tolle Kameraansicht, so von schräg unten, mit dem Fenster und allem so im goldenen Schnitt. Nichts wäre zu hören, nur das Rauschen des Regens. Es ist kein Zufall, dass sie immer versuchen, die Magie solcher Momente in Filmen gefangen zu nehmen. Sie malen mit feinen Pinseln dann Details in die Räume und Gesichter der Darsteller*Innen.

Rauchen ist eine dieser akzeptierten Arten sich selbst zu verletzen. Alleine Alkohol trinken ist verpönt, besonders wenn er nicht mal genossen wird. Rauchen. Das geht klar. Du giltst als verwegen und melancholisch, aber cool. Dass ein Schnitt in meinen Arm mich auch nicht töten würde, genau wie eine einzelne Kippe, ist egal. Wer die Klinge sanft und liebevoll unter die Haut schiebt, ist nicht gesund im Kopf. Wer das Gift über die Lungen in den Körper treibt, ist gesund im Kopf und erst viel später dann nicht mehr im Körper. Wenn überhaupt. Das mit der Klinge ist leichter zu behandeln, im Körper, ist besser zu kontrollieren. Aber beim Rauchen stellt niemand Fragen. Die Kippe ist Teil des Bildes, der Schnitt eine Störung.

Ich weiß gar nicht mehr wie man raucht. Da war irgendwas mit schnellem Einatmen nach dem Ziehen, aber vermutlich ist nur wichtig, dass es am richtigen Ende glüht und das Arrangement lässig zwischen den Fingern liegt. Das mit dem Schnitt könnte ich. Da müsste ich keine Freunde anrufen und nachfragen wie das geht. Das würde ich auch nicht wollen. Mir ist die Anwesenheit des Whiskeyglases ja schon zu viel. Es welkt penetrant den ganzen Raum voll. Ich bin die am wenigsten wertvolle Erfahrung hier. Der Regen, der Whiskey, der Garten. Sie alle tun so viel, erzählen so viel, bieten so viel an.

Ich will mich nicht mal verletzen. Deshalb zieht es mich weder zum Messerblock noch zum Kiosk. Der Whiskey bleibt ungetrunken. Das Gefühl lasse ich trotzdem einsinken. Langsam fährt es kalt und kontaktlos durch die Haut, durch die Knochen, und passiert einmal meine Seele, wie ein müder Geist, in einem alten Schloss, das selbst den Spuk nicht mehr wert ist. Der Regen schlägt gegen die Scheibe, klopft an einer Welt an, wie sie kleiner nicht mehr werden kann. Sie würde in einen Aschenbecher passen.

Wenn Selbstverletzung ein Hilferuf sein soll, dann muss sie natürlich auch jemand sehen. Würde ich jetzt rauchen, würde ich mich wirklich für mich verletzen. Nicht für jemand anderen. Einige verletzen sich ja, um sich wieder zu spüren. Um überhaupt mal was zu spüren. Was anderes zu spüren. Ich verstehe gar nicht, was so schlimm daran ist, mal nichts zu spüren. Es ist die Pause, die zwischen zwei Liedern auf der CD entsteht, wenn der Laser erst den Anfang der nächsten Spur finden muss. Eine zerbröselte Sekunde zum Nachdenken. Zwischen Liedern, Kunstwerken, an denen mehrere Musiker mindestens mehrere Stunden gearbeitet haben, nehmen wir uns nicht eine volle Sekunde, um über das Gehörte zu reflektieren.

Ich könnte mit dem Rauchen anfangen. Ich bin frei, ich treffe die Entscheidungen für mein Leben. Ich habe mich auch entschieden, hier seit Stunden in den Regen zu starren und ein volles Glas Whiskey nicht zu trinken. Und kein kluges Argument würde mich aufhalten. Weil ich entscheiden kann, nicht klug zu sein. Das liegt in mir. So mächtig bin ich. Ich kann auf jeden Fakt, jede Kausalität, jeden Verstand verzichten. Ich kann mich verletzen. Ich bin das Einzige, das sicher mir gehört. Es liegt an mir, was ich mit mir mache. Deshalb kann ich auch am Fenster stehen, mich nicht schneiden, nicht rauchen, nicht trinken und mich bei niemandem melden. Das kann dann auch verletzen, aber es sieht keiner. Und dann ist es ganz für mich. Nicht für jemand anderen.

Der Regen macht sein Ding, klopft an einer Welt an, in der ein Whiskey alleine auf der Arbeitsplatte steht, traurig aus dem Fenster schaut.

Kommentare

  1. Anonym5.8.17

    Zwei Herren,beide ernsthaft erkrankt,belegten das selbe Krankenzimmer. Einer der Herren hatte vom Arzt die Erlaubnis, sich jeden Nachnittag für eine Stunde aufzusetzen, damit die Flüssigkeit aus seiner Lunge abfließen könne.Sein Bett stand am einzigen Zimmer des Raumes.Der andere Herr mußte die ganze Zeit flach auf dem Rücken liegen. Letztendlich unterhielten sich die Männer stundenlang. Sie sprachen über ihre Frauen und von ihren Familien, ihrer Heimat, ihren Beruf, den letzten Urlaub, was sie wohl machen würden, sollten sie nach Hause kommen.
    Jeden Nachmittag, wenn der Herr im Bett neben dem Fenster sich aufrecht hinsetzte, berichtete er von den Dingen, die er draußen am Fenster sah. Er erzählte von den Blumen, dem frischen Gras,den Vögeln und den Verliebten, die in der weitläufigen Landschaft gingen, die Schwäne am Teich mit ihren Küken, die vorbeibrummenden Käfer.
    Er beschrieb den Sonnenuntergang und dessen herrliche Farben oder das wohltuende Plätschern der Tropfen, wenn es regnete und das Aufatmen der Grashalme, wenn sie trinken durften.
    Der Herr im anderen Bett, der nur liegen durfte, schloss manchmal die Augen und stellte sich die Dinge vor, von denen er erzählt bekam.
    Ein glückliches Lächeln kam auf sein Gesicht, und tiefe Dankbarkeit strömte aus einem Herz an seinen Zimmergenossen und für die herrlichen Dinge da draußen.
    Eines Tages, als die Schwester zum Waschen das Zimmer betrat, fand sie den Herrn am Fensterbett tot.
    Er lag mit einem friedlichen, geradezu zufriedenen Gesichtsausdruck in seinem Bett und der Abschied fiel dem übriggeblieben en Mann sehr schwer.
    Er bat die Schwester, sein Bett zum Fenster zu schieben, wo es doch jetzt Platz gäbe und die Bitte wurde prompt erfüllt.
    Als die Helfer das Zimmer verlassen hatten,nahm der Mann all seine Kraft zusammen und setzte sich langsam und schmerzvoll auf, um einen Blick aus dem Fenster werfen zu können.
    Auf seinem Ellenbogen gestützt, drehte er sich zum Fenster, blickte heraus,......und sah auf einer Mauer die Begrenzung eines Lichthofes.
    Der Mann hatte ein eigenartiges Fühlen, er läutete nach der Schwester und fragte, was seinen Zimmernachbarn wohl veranlaßt hätte
    Ihm die wunderbaren Dinge zu beschreiben, obwohl dieser doch auch nur die leere Wand sehen konnte?
    “Wahrscheinlich wollte er Ihnen ein wenig Schönes ins Leben bringen.“
    Textquelle. http-pfarre-leoploldsdorf.at. FÜr mich persönlich eine rührende Geschichte, vielleicht für sie auch? Frd,Grüße A1

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Anmerkungen? Fragen? Wünsche? Schreib gerne einen Kommentar. Ich schaue regelmäßig rein, moderiere die Kommentare aber auch, also bleibt nett.

Vielleicht auch spannend: