Schnipp, schnapp, Haare spenden!

Ein Gastbeitrag von Vivien


Ich möchte mir die Haare abschneiden.
"Wie jetzt, so richtig? Schulterlang oder kürzer? Aber warum denn? Du hattest die doch erst neulich kurz und die sehen doch schön aus." Ja, so richtig. So richtig richtig. So richtig kurz eben. Nicht kinnlang-kurz, auch nicht schulterlang-kurz. Eigentlich möchte ich sie raspelkurz haben, so 3 mm kurz eben. Aber das traue ich mich nicht mehr, denn „Kind, du kannst dir doch die Haare nicht so kurz schneiden! Dann nimmt dich keiner mehr ernst. Das sieht hässlich aus. Was ist denn, wenn du dich irgendwo bewerben möchtest?“

Nunja, ich hatte die Haare noch nie so kurz, also weiß keiner, ob es mir wirklich nicht stehen würde. Wenn ich den Worten einer Freundin Wahrheit schenken soll, dann gibt es bei kurzen Haaren auch nichts mehr, was nicht schön sein kann. Es ist bloß das eigene Gesicht und niemand ist hässlich.
Trotzdem habe ich mir die ganzen Parolen leider zu Herzen genommen. Vielleicht möchte ich die Haare doch nur drei Zentimeter kurz haben. Vielleicht möchte ich sie danach ganz kurz schneiden. Ich weiß es nicht. Jedenfalls sollen sie ab. Und sie müssen radikal geschnitten werden, denn ich möchte meine Haare spenden. Ich bin nicht reich, bin kein ultraguter Mensch. Doch mit meinen, dann hoffentlich irgendwann, angeschnittenen Haaren kann ich jemanden helfen. Von meinen Haaren habe ich genug, die wachsen wieder nach. Nicht alle können das sagen. Ich glaube es ist nicht leicht, sich mit der Situation, keine Haare mehr zu haben, anzufreunden.

Jetzt ist es so weit. Heute kommen die Haare ab. Der Termin ist um 18 Uhr bei B&W-Friseure in Dortmund, die auch Offizieller Friseurpartner der DKMS LIFE sind. Es ist 17:20 Uhr, viel zu früh. Ich gehe noch fünf Runden um den Block.

Ich gehe rein, setze mich vor den Spiegel - meine Haare sind vom Wind zerzaust. Dann werde ich gefragt, ob ich das wirklich machen möchte, ob ich mir wirklich sicher bin. Ja, das bin ich, denke ich. Vielleicht doch nicht so ganz. Das macht mich nervös. Bloß nicht zu viel nachdenken, doch selbst wenn mir kurze Haare nicht stehen sollten, sie wachsen ja wieder nach. Mir wird versichert, dass ich nicht unzufrieden nach Hause gehen werde. Mein Kopf schreit nach Veränderung!
Meine Haare sind ab. Sie sind nicht 3 Millimeter kurz, eher sieben Zentimeter lang, doch das ist okay. Ich bin zufrieden. Es fühlt sich nicht komisch, sondern irgendwie normal an, als hätte ich die Frisur schon sehr lange. Doch mein Grinsen, das hatte ich vorher nicht. Ich fühle mich gut. Ich fühle mich schön. Menschen aus meinem Umfeld sagen das auch. Merkwürdig. Der Busfahrer erkennt mich nicht mehr. Fremde Leute schauen mich anders an.

Haare können die Sichtweise auf Menschen verändern. So gibt es schon verschiedene Frisuren, die man mit Stereotypen verbindet. Die Dreads tragen doch meist die Alternativen unter uns und den bunten Iro die Punks. Nur da ich eine Frau bin, muss ich ja noch lange keine langen Haare haben. Wenn man keine Haare hat, dann bringt es nichts sich darüber Gedanken zu machen. Die Wahl besteht nicht mehr, es sei denn man trägt eine Perücke. Die Preise der Perücken unterscheiden sich enorm und die Spannweite reicht von 60€ bis 3000€, den Anteil, den die Krankenkassen übernehmen, der variiert. Wenn man eine Perücke braucht, dann möchte man sicherlich nicht, dass es auffällt, dass es nicht das eigene Haar ist. Wenn das Geld fehlt, dann fehlt das Geld. Nicht jeder kann und möchte zu einer Krankheit stehen. Deshalb Spende ich meine Haare an die Organisation Die Haarspender, die Kindern kostenlos Perücken anfertigt. Ich möchte, dass Menschen die Wahl haben, ob sie zu ihrer Krankheit stehen und den Blicken standhalten wollen oder nicht.

Quellen:
http://www.betanet.de/betanet/soziales_recht/Haarausfall-bei-Chemotherapie-832.html
https://imsalon.de/Branchen-News/Salons-Media/Haare-Spenden-aber-wie

Über die Autorin:
Ich bin Vivien und manchmal frage ich mich, warum man unbequeme, aber doch relevante Dinge nicht laut aussprechen soll. Warum man Gedanken für sich behalten soll, um möglichst nicht aufzufallen. Warum nicht einfach laut sein? Warum nicht einfach machen?

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