Filmtagebuch: Einsichten eines professionellen Amateurs
Es dauerte ein wenig bis ich merkte, dass das Summen und Brummen neben meinem Ohr nicht Teil meines bisherigen Traumes, sondern vielmehr mein mich anschreiender Wecker war. Dieser silbern graue Kasten erledigte nur seinen Job, ich weiß, wollte mich rechtzeitig zum Aufstehen motivieren, damit ich den Aufgaben des Tages in Ruhe entgegentreten konnte; aber ich konnte nicht anders als ihn zu hassen. Er nervte, sollte mich in Ruhe lassen, auch wenn sein Gebrüll letztlich mein eigenes Verschulden darstellte, hatte ich ihm schließlich diesen Auftrag erteilt. Ich weigerte mich jedoch, diese Tatsache zu akzeptieren und tastete mich deshalb zunächst mit geschlossenen Augen vor und fand schließlich den Knopf, der das Schreien abstellte.
Dabei sollte ich mich eigentlich freuen, durfte ich an jenem Tag doch endlich mal wieder Worte in Bilder umsetzen, Schauspieler dirigieren und im Zusammenspiel mit meinem Team für ein amüsantes Ergebnis sorgen. Voraussetzungen dafür war allerdings, dem Ruf des Weckers zu folgen und um 5:45 Uhr an einem Samstag, genauer gesagt dem 16.7.2011, aufzustehen, um mich mit der Bahn in Richtung Krefeld-Uerdingen zu begeben, um rechtzeitig am Drehort zu sein.
Ich hätte die Verantwortung für diese unchristliche Zeit gerne Marco, dem Produzenten und Auftraggeber im Namen der HKN GmbH, in die Schuhe geschoben. Nur leider hatte ich die alleinige Vollmacht bei diesem Projekt und war es somit selbst, der die Drehzeit angesetzt und in die für alle verbindliche Disposition eingetragen hatte.
Mir blieb daher nichts anderes übrig: Ich startete meinen Bootprozess, um die Bahn nicht zu verpassen. Die sonstige Folge wäre das zu späte Erscheinen am Drehort gewesen, was eine peinliche Sache für einen selbsternannten Regisseur darstellt. Doch zunächst fühlte es sich so an, als würden sich meine Augen nur quietschend und krachend öffnen lassen, wie verrostete Rolltore, die lange Zeit nicht mehr benutzt wurden. Als ich es schließlich geschafft hatte, überlegte ich, wie ich in diese Situation geraten war.
Die Entstehung der Clips
Als ich mich auf die Stelle als studentische Hilfskraft bei der HKN GmbH bewarb, wurde bereits angedeutet, dass ich unter anderem deshalb ausgewählt wurde, weil ich mit Filmerfahrung aufwarten kann und diese eventuell dazu genutzt werden sollte, kleine Werbeclips zu produzieren, die mit einem Gewinnspiel in Verbindung stehen.
Wie man meiner Vorstellung auf den HKN-Seiten entnehmen kann, wurde ich eingestellt. Und kurz darauf tatsächlich u.a. mit der Konzeption genannter Clips beauftragt. Ziel: Quasi ohne Budget und am liebsten kostenlos hochwertige Clips erstellen. Oder wie Marco sagte: „Das soll eine Homevideo-Produktion auf Hollywoodniveau werden!“ Exakt diesen Wortlaut nutzte er zwar nicht, hörte sich in meinen Ohren aber so an.
Das Drehbuchschreiben
Gegenstand sind die neuen HKN-Cloud Dienste, in diesem speziellen Fall vor allem die Anwendung von Zimbra – hosted by HKN, mit der der Büroalltag optimiert werden soll. Zusammen dachten Marco und ich uns verschiedene Szenarien aus, die in den Clips vorkommen sollen. Diese Ideen waren wiederum die Vorlage für das Drehbuch, das ich anschließend mit Hilfe der kostenlosen, aber durchaus professionellen Software CeltX schrieb. Ich konnte dabei auf die Erfahrungen aus meinen früheren Kurzfilmproduktionen sowie das Drehbuchschreiben-Seminar an der Uni zurückgreifen.
Waren die Clips zunächst auf ca. 30 Sekunden ausgelegt, erweiterte ich die Ideen soweit, dass sie doch deutlich länger werden sollten. Grundlage für diese Berechnung ist zumeist die Orientierung an den Seitenzahlen des Drehbuchs: Eine Seite bedeutet eine Minute Film. Die finale Drehbuchfassung bestand aus 12 Seiten, geteilt durch vier Clips, also 3 Minuten pro Clip. In diesen 12 Seiten steckten bereits 15 Stunden Arbeit.
Das Casting
Weiter ging es mit der Besetzung und zugehörigem Casting. Geplant waren zwei Rollen, ein Chef und seine Sekretärin. Die Rolle des Chefs schrieb ich bereits mit einem bestimmten Schauspieler im Kopf: Tilman Rademacher. Tilman hatte ich bei einem meiner vorherigen Kurzfilme kennengelernt und konnte endlich das gegenseitige Versprechen einlösen, irgendwann wieder ein gemeinsames Projekt zu realisieren. Es sollte drei Jahre dauern. Es war mein Glück, dass auch Marco Tilman sofort für die Rolle akzeptierte, weshalb wir uns lediglich auf die Suche nach einer Schauspielerin für die Rolle der Sekretärin begeben mussten.
Bei einem Praktikum an der ifs (internationale filmschule köln) hatte ich ausgiebige Einblicke in die Formalitäten für korrekte Inserate für Schauspielergesuche erhalten. Entsprechend formulierte ich ein solches Gesuch und stellte es auf der Plattform crew-united.de ein. Anschließend wollte ich mich wieder anderen Aufaben widmen, kam jedoch nicht dazu. Ich war zum einen verwundert und zum anderen fast schockiert. Bereits nach weniger als fünf Minuten erreichte mich die erste Bewerbung per E-Mail. Und es hörte nicht auf. Schon am ersten Tag hatten wir so viele Bewerbungen zusammen, dass wir das Inserat bereits wieder herausnahmen.
Gemeinsam mit Marco brach ich die Bewerbungen auf zwei potenzielle Schauspielerinnen herunter, die wir zum Casting einluden. Wobei man in diesem Fall eher von einem Kennenlernen reden sollte, weil wir die beiden nicht vorsprechen ließen, sondern vielmehr herausfinden wollten, wie die beiden ticken und ob sie mit uns zusammenarbeiten können. Da beide Schauspielerinnen in Köln wohnten fuhren wir in die Domstadt und trafen uns in einem Cafe bei einem der seltenen Tage mit strahlendem Sonnenschein. Nach dem Treffen gaben wir uns noch einen Tag Zeit und entschlossen uns schließlich für Alexandra Lesch.
Weitere Planungen
Zum Glück musste ich nicht noch mühselig ein Team zusammensuchen, sondern konnte auf meinen Freundeskreis vertrauen, der aus z.B. ausgebildeten Mediengestaltern und studierten Medientechnikern besteht. Wir haben gemeinsam schon einige Produktionen auf die Beine gestellt und haben unsere Rollenverteilung in den vielen Jahren bereits ausführlich erprobt.
Allerdings musste ich mich um die Entscheidungen für die Kostüme kümmern und, was am meisten Zeit benötigte, den Dreh an sich planen. Dies bedeutet nicht nur, wer ist wann da, sondern vielmehr die Erstellung eines Drehplans, einer Shotlist, einer Dispo und sogar Storyboards. Wie viel Zeit das alles insgesamt benötigte, kann ich letztlich nicht mehr sagen. Aber ich bin jedesmal froh, wenn diese Sachen fertiggestellt sind. Die Erfahrung zeigt jedoch deutlich, dass ohne all diese vorherige Planung der Dreh deutlich chaotischer verläuft und dadurch vielmehr Zeit kostet.
Die Dreharbeiten
So war das also gekommen. Jetzt hieß es, all diese Vorbereitungen in die Tat umzusetzen. Und plötzlich keimte die Freude doch noch auf und ließ mich die frühe Uhrzeit vergessen. Ich stand auf, zog mich an, schnappte mir das privat geliehene Equipment (Kamera, Stativ, Windkorb mit Mikro und die Teleskopstange) und fuhr los. Pünktlich traf ich am Drehort ein. Ebenso wie alle anderen auch.
Anstatt Megaphon, Schal und Mütze trug ich an diesem Tag übrigens eine bequeme Jeans und einen Kapuzenpulli. Aber ich bin schließlich nur ein Amateur-Regisseur… Ich sprach mich mit meinem Team ab, vertraute die Kamera dem Kameramann an, die Angel (so nennt man die Teleskopstange) und das Mikro dem Tonmann und ließ unsere Schauspieler von unserer Maske schminken.
Der Vorteil bei so einem kleinen Team: Wir konnten unglaublich schnell arbeiten, vor allem, weil wir in diesem Fall nicht dauernd neues Licht setzen mussten. So ging es auch sofort nach draußen, um die Außensequenzen abzudrehen. Nach einigen Probedurchläufen hieß es dann pünktlich um 9 Uhr: „Kamera?“ „Kamera läuft!“ „Ton?“ „Ton läuft!“ „Und bitte!“
Die große Komplexität bestand darin, nicht mit den Einstellungen durcheinander zu kommen und zugleich bloß keine zu vergessen. Zur Erinnerung: Wir drehten für vier Clips gleichzeitig und hatten nur diese eine Gelegenheit, alles benötigte Material zu drehen. Dabei darf man nicht vergessen, dass man die Clips nicht in ihrer richtigen Reihenfolge dreht. Vielmehr geht es bei der Planung darum, die Einstellungen so zu legen, wie sie vom Ablauf am besten abzudrehen sind, um so wenig Zeit wie möglich durch Umbauten etc. zu verlieren.
Wie der Teaser bereits verdeutlicht, kommt in den Clips ein Schrei vor. Wenn man diesen dreht, kommt dies an einem Samstagmorgen in einem Wohngebiet allerdings nicht immer gut an. Folge: Wütende Nachbarn, die dachten, eine Vergewaltigung findet statt sowie eine Polizeistreife, die wohl nicht ganz zufällig zweimal an uns vorbeifuhr. Weitere äußere Einflüsse, die uns die Arbeiten erschwerten: Elektrische Rolläden, die dringend eine Ölung benötigen; Millionen Autos, die für den Wochenendeinkauf unbedingt durch die Straße fahren mussten, in der wir drehten sowie neugierige Fußgänger. Wobei das alles keine Dinge sind, die man nicht bald schon gewohnt ist, dreht man regelmäßig Filme.
Dennoch war ich froh, als wir unser Set vollends nach innen verlegen konnten. So waren wir nicht nur näher am Catering (belegte Brötchen), sondern auch an der Slush-Eis-Maschine, die im HKN-Büro steht. Besonders Tilman verliebte sich in das wabernde Waldmeistergrün und vergnügte sich nicht zuletzt selbst mit dem gelegentlichen Ausruf „Slushy!“ Ein Zeichen dafür, dass sein Slush-Vorrat in seinem Magen einer Auffüllung bedurfte.
Wie immer änderte sich das Konzept der Clips im Laufe der Dreharbeiten, wenn man Dialoge änderte oder Szenen umstellte. Aber das war auch gut so! Ich hatte im Voraus nicht umsonst um kreativen Input aller Beteiligter gebeten und das Drehbuch lediglich als Inspiration und nicht als Bibel ausgegeben.
Ich persönlich hatte an diesem Tag sowieso einen einfachen Job: Meine Anweisungen wurden unverzüglich von den Schauspielern umgesetzt und der Rest des Teams bedurfte immer nur kleinerer Rücksprachen und arbeitete ansonsten soweit autoritär, dass ich lediglich die Einstellungen abnehmen musste und mich ansonsten tatsächlich vollends auf die Schauspieler konzentrieren konnte. Oder ein Brötchen aß. Oder Slush-Eis. Oder einfach nur zusah.
Dreharbeiten sind vor allem immer dann am schönsten, wenn sie deutlich früher zuende gehen als geplant. Hatte ich eher mit einem Drehschluss von 20 Uhr gerechnet, konnten wir bereits um ca. 18 Uhr zusammenpacken. Die vorherige Planung und das eingespielte Team sowie die gut aufgelegten Schauspieler waren der Grund für den frühen Feierabend.
Vielleicht war es aber auch nur die Aussicht auf die anschließende Fahrt zum Restaurant, die für den schnellen Dreh verantwortlich war. Schließlich durften wir uns noch Cocktails und gutes Essen genehmigen, bevor das Team seinen Heimweg antrat. Für mich ging die Arbeit anschließend noch weiter.
Die Postproduktion
Das Material wollte geformt und verarbeitet werden. Ich machte mich deshalb zunächst an die Rohschnittfassungen der einzelnen Clips. Allein dafür benötigte ich zwei Tage. Anschließend bedurfte der Ton einer Überarbeitung, wozu nicht nur die Anpassung der einzelnen Lautstärken gehört, sondern ebenso das einbinden weiterer Sounds und der Musik. Auch dafür benötigte ich zwei Tage. Bevor die Clips jedoch finalisiert werden sollten, wurden die Clips einem Testpublikum vorgeführt, um festzustellen, ob sie tatsächlich funktionieren. Hollywood macht das nicht anders. Und es ist ein erhabendes Gefühl, wenn man die Leute beim Schauen der Clips beobachtet und sie zu lachen beginnen und nachher sagen, das Ergebnis sei „komisch“, „amüsant“ oder „lustig“.
Gleichzeitig hilft es sehr dabei, wenn das Testpublikum aus Leuten besteht, die mit dem Prozess des Filmemachens nichts zu tun haben, weil Sie die Clips rein aus der Sicht eines Zuschauers betrachten und später einfache, aber umso hilfreichere Verbesserungsvorschläge mitteilen.
Es war letztlich noch eine Farbkorrektur nötig, bevor die Clips endgültig als „abgeschlossen“ gelten konnten. Nervös bin ich jetzt nur noch, weil der erste richtige Clip nächste Woche online gehen und somit einem breiten Publikum präsentiert wird – und anschließend drei weitere folgen. Ich werde mir vermutlich wieder den Wecker stellen. Nur diesmal weiß ich: Alles ist fertig. Sollten die Clips allerdings nicht gefallen: Es wäre allein meine Schuld! Aber in dieser Hinsicht hoffe ich auf ein gnädiges Publikum. Oder den einen oder anderen Kommentar. Oder ein „like“ (Facebook) sowie „Mag ich“ (Youtube). Ansonsten kann ich immer noch behaupten, ich sei nur ein Amateur. Wenn auch mit professionellem Anspruch.
Dieser Bericht handelt von der Herstellung mehrerer Videoclips, die für ein Gewinnspiel produziert wurden, das von September bis Dezember 2011 lief.
Anmerkung
Dieser Bericht handelt von der Herstellung mehrerer Videoclips, die für ein Gewinnspiel produziert wurden, das von September bis Dezember 2011 lief.
Hi Stefan, ich erinnere mich immer gerne an die Produktion zurück. Das hat wirklich spaß gemacht :D
AntwortenLöschenGruß,
Marco
Ich erinnere mich auch immer wieder gerne daran. Bin zudem ziemlich stolz darauf, vor allem, weil wir die Clips in doch recht kurzer Zeit auf die Beine gestellt haben. Vielleicht ergibt sich ja irgendwann nochmal die Möglichkeit, zusammen was auf die Beine zu stellen. :)
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