Die Bonnie-Situation

Auf einem Stein ruhend und meditierend, finde ich gerne meinen Verstand in einer entspannten Stille wieder. Zu mindest bemühe ich mich stets diesen Status zu halten. Wer mich kennt, der weiß zwar auch, dass ich durchaus zu schnippischen Anmerkungen und Nickeligkeiten im Stande bin, aber ich halte mich selbst in der Illusion, dass ich eigentlich ein ganz kontrollierter höflicher Charakter bin. Gerade wenn es um den Umgang mit Unbekannten in der Öffentlichkeit geht, versuche ich eigentlich immer, egal wie unnett es in den Wald hineingerufen wird, so höflich wie möglich wieder hinaus zu rufen.
Ich meine, wir alle meckern gerne über unhöfliche Verkäufer in Geschäften oder auch genervte Mitarbeiter an Telefonhotlines, aber ich habe das Gefühl, dass wir gerne vergessen, dass wir nicht der erste Kunde am Tag sind. Wieviele andere und möglicherweise ätzende Charaktere schon vor uns da waren, dass können wir ja nicht wissen. Und da der Mensch nun mal nur Mensch ist, erwarte ich nicht, dass jeder Verkäufer den ganzen Stress des Tages sofort abschalten kann und bei mir frisch und unverbraucht wie der erste gefallene Schnee ist.
Natürlich gibt es solche und solche, aber da habe ich mir eine naive Brille aufgesetzt und hoffe, dass ich mit dem Versuch einer netten humorvollen Art auch vielleicht wenigstens ein wenig den Verkäufern den Tag aufwerten kann.

Aber darum soll es nicht gehen, sondern, und das schaffen nicht mal die Verkäufer, um eine Sorte Person, die mich von meinem Meditationsstein reißen.
Leute, die mich in die Bonnie-Situation aus Pulp Fiction versetzen. Bekannt? Nein?

Da bedrohen die beiden Auftragsmörder Jules und Vincent gerade einen jungen Mann im Verhör, der in seiner Überforderung ständig "Was?" fragt. Ihm wird darauf hin nahegelegt, dass die Beiden ja durchaus bereit wären ihre Distanzlocher (Pistolen) anzuwenden, wenn er noch ein einziges verfluchtes Mal "Was?" fragt. Ich fühle mich natürlich in deren Rolle versetzt und nicht in die des, in der Szene, Baldtoten.
Und das schaffen diese Menschen, die "KASSE!" in Geschäften brüllen, wenn es ihres Erachtens nach nicht schnell genug geht.
Mal ganz davon abgesehen, dass da nur selten ein ganzer Satz kommt und man deshalb nur beschwerlich erraten kann, was diese Personen eigentlich wollen - Vielleicht ist da ja auch nur deren alter Schulfreund Karl Sasse aufgetaucht, den sie früher immer Kasse genannt haben - empfinde ich es als absolute Unart.

In den wenigsten Lebenslagen hat man es ja mal tatsächlich eilig. Zu Hochzeiten, Geburten und Bewerbungsgesprächen sollte man möglichst pünktlich kommen, aber wer in einen Supermarkt geht, der müsste sich doch schon im Klaren sein, dass er die Zeitplanung ein wenig aus der Hand gegeben hat. Aber wir Deutschen, wir haben es immer eilig. Das hat aber nicht mit wichtiger Zeitplanung, sondern einfach Ungeduld zu tun.
"KASSE!", brüllen dabei aber fast nie die jungen, dynamischen und erfolgslosen Geschäftsleute und auch nicht diese Jugendlichen, denen man gerne ein unpassendes Verhalten anlastet, sondern meist die Leute, die älter überhaupt gar nicht aussehen könnten. Wo die Böswilligkeit mir diktiert mich zu fragen, ob die Angst haben zu spät zu ihrer eigenen Beerdigung zu kommen. Meist sind es diese, ich bin der wichtigste Mensch in diesem Geschäft und jetzt machen sie gefälligst die vierte Kasse auf, denn hier stehen ja schon an den anderen Kassen mindestens vier Personen und ich verpasse doch die N24-Doku wer denn zweiten Weltkrieg gewonnen hat, wenn ich jetzt nicht gleich meinen Heringssalat, den Kurzen, eine Fleischwurst und zwei Brötchen bezahlen kann-Omas und Opas.
Ich kann das wirklich nicht nachvollziehen. So bald diese Leute die Kasse nur sehen, sie haben also selber noch keine Minute angestanden, und die Anstehenden irgendeine, mir nicht sichtbare, Linie überschreiten, geht das "KASSE!"-Gebrülle los. 
"Machense hier doch mal ne Kasse auf, ich stehe hier bestimmt schon Zehn Minuten." Ich finde, man sollte Leute einfach mal Zehn Minuten irgendwo hinstellen. Ganz ohne Kasse, ohne Auftrag, ohne Sinn. In eine Schlange. Nur damit die merken, wie lang Zehn Minuten tatsächlich sind.

Interessanterweise, hat man es ja auch selbst in der Hand, die Abläufe an den Kassen zu beschleunigen. Ich zum Beispiel rechne grob mit, wieviel ich bezahlen muss und habe dann mein Geld, bei der Wartezeit an der Kasse habe ich ja nichts zu tun, schon mal in der Hand zusammen gezählt und bereite meine Tragetaschen vor.
Taschen sind dabei ein gutes Stichwort. Anstatt der Kassiererin/dem Kassierer dabei zu zu sehen, ob er den Strichcode denn nun richtig über das Lesegerät zieht, kann man seine Stoffbeutel ja auch schon an der Kasse alles einpacken. Wenn ich die schweren harten Sachen als erstes aufs Band lege, dann sind die unten in der Tasche und nichts wird zerquetscht. Dann muss man auch nicht im hinteren Kassenbereich ewig rumsortieren. Wem erzähle ich das? Ihr wisst das bestimmt schon alles.
Trotzdem zu dem Geld nochmal eine Kleinigkeit, eine Beobachtung meinerseits: Es sind gar nicht, dem Klischee entsprechend, die Leute, die versuchen passend oder mit Kleingeld zu zahlen, die an Kassen die Abläufe bremsen. Es sind diejenigen, die ihren Kleinkram mit 50 Euronoten bezahlen müssen. Meine Grundlagen für die Behauptung:

- Wenn ich kein Restgeld bekommen muss, dann halte ich auch niemanden auf.
- Kleingeld ist in Supermärkten scheinbar Mangelware. Zum einen habe ich noch nie gehört wie eine Kassiererin die andere fragt: "Susanne, hast du noch 50 Euro-Scheine?", aber um so häufiger Fragen nach Ein- oder Zwei-Cent-Stücken. Zum anderen müssen die Leute mit ihren 50igern ja auch mindestens zweimal nachzählen, damit ihnen kein Geld unterschlagen wird. Und zählen, das geht beim Laufen nicht.

Das Schöne daran ist diese vollständige logische Inkonsequenz der Kunden. Sieht der Laden nämlich nicht ordentlich aus, beschwert man sich an der Kasse darüber. Wenn dann aber die Kasse geschlossen wird, damit der Laden aufgeräumt werden kann, beschwert man sich darüber natürlich auch.
Dann muss man halt mehr Leute einstellen, sagt man dann und kauft wo anders ein, da hier ja jetzt die Preise so unverschämt hoch sind. Schnellkassen zum Selbstkassieren setzen sich aber nicht durch, denn man will ja freundlich bedient werden.
Mir persönlich ist es ja vollkommen schleierhaft, wie manche Mitarbeiter in unseren Supermärkten überhaupt noch freundlich sein können.
Und trotzdem, auch wenn ich das hier schreibe, weiß ich, dass sich nichts daran ändern wird. Aber vielleicht lässt sich so erklären, warum an der Kasse nie scharfe Gegenstände verkauft werden und ich noch nie in den DVD-Aufstellern dort "Pulp Fiction" gefunden habe. 
Denn keiner möchte einen Irren mit Engelsmacher (Pistole) im Supermarkt stehen haben: 
"Sagt noch ein Mal KASSE. Sagt noch ein Mal KASSE, ich warne euch!" 
Bonnie-Situation.

Kommentare

  1. Das schein ein Phänomen der alten Bundesländer zu sein. Bei uns in der Zone stellen sich alle brav und ohne zu murren in der längsten Schlange an. Wir kennen das noch von früher. :D
    KASSE, habe ich jedenfalls noch nie jemanden brüllen gehört. ^^

    AntwortenLöschen
  2. Mir ist dieses Verhalten auch eher unbekannt. Bei uns wirft man sich eher über die Regale hinweg, von denen man natürlich noch zwei, drei Meter bis zur Kasse entfernt ist, dort sich aber schon das Ende der Schlange befindet, jedenfalls man wirft sich über die Regale hinweg bzw. wohl eher hindurch Blicke zu á la: "Immer stellt man sich an der falschen Kasse an, oder?" und erntet meist ein resigniertes, aber freundliches, weil mitleidendes Lächeln.

    AntwortenLöschen
  3. Ohoh, ich fühl' mich iwie ertappt. Und ich bin NICHT alt...

    *pfeif

    AntwortenLöschen
  4. Hier ist es eigentlich auch ruhig was das angeht... Allerdings, wenn dann eine Kasse aufmacht, schiessen die Leute wie Aasgeier los... Blöd nur, das ich dann eher fertig bin, weil deren Schlange nun länger ist, als die, an der sie vorher anstanden... ^^

    Ich zahl fast immer mit Karte... Mitlerweile funktionieren die Geräte sehr schnell und es sind nur ein paar Sekunden...

    Aufregen tu ich mich über Leute, welche die Kassiererin kennen oder diese Anmachen oder ein riesiges Kleingeldvorkommen aus ihrer Tasche auf die Kasse zaubern... Dabei fallen dann Münzen herunter, welche stundenlang in irgendwelchen Ritzen gesucht werden...

    AntwortenLöschen
  5. Hm. Wenn hier die alte/neue Bundesländer-Thematik angeführt wird, dann könnte man ja wieder vermuten, dass der Kapitalismus die Leute so in Eile versetzt. Denn den haben wir ja (auf dem Papier) schon etwas länger, als die neuen Bundesländer.

    AntwortenLöschen
  6. Ich finde es peinlich und unterhaltsam zugleich wenn sich 2 ältere Herren mit dem Einkaufswagen gegenseitig rammen und bekriegen, weil eine neue Kasse aufgemacht hat.
    Ach ja, die Großeltern von heute...

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Anmerkungen? Fragen? Wünsche? Schreib gerne einen Kommentar. Ich schaue regelmäßig rein, moderiere die Kommentare aber auch, also bleibt nett.

Vielleicht auch spannend: