Warumwolf

Der Wolf wohnt jetzt hier. Auf meinem Oberschenkel in schwarzer Tinte scharf gestochen.

"Warum ein Wolf?", fragte mich eine Füchsin.

Weil ich einer bin. Ich habe es selbst erst spät verstanden. Wölfe haben Rudel. Sie sind ihre Familie, ihr Rückhalt, ihre Aufgabe.

Wölfe sind Ermöglicher. Der Leitwolf steht dem Rudel vorne an, nicht, weil er der Mächtigste ist, sondern weil er Erfahrungen hat und bereit ist, andere zu unterrichten. So lehrt er die Jungtiere im Spiel den Kampf, die Jagd, die Regeln des Rudels und ermöglicht sie. Er ermöglicht es, dass sie älter werden und selbst dann im Rudel die neuen Jungtiere unterrichten. Dann, wenn sie alt genug sind, gehen sie und machen ihre eigenen Rudel auf. Der Leitwolf wird nicht abgelöst, nicht bekämpft. Wer bereit ist, löst sich und lehrt selbst, was gelernt wurde. Die Jungtiere wachsen heran, neue Jungtiere kommen nach. 

Der Drang ein Leitwolf zu sein, war schon immer da. Aber ich war jung. Jung im Kopf. Ich dachte es ginge darum, die Macht bei sich zu sammeln. Aber es ging darum, die Macht zu vermehren. Und das geschieht dann, wenn Menschen ermöglicht werden. Vollständige Macht bedeutet, uneingeschränkt handeln zu können. Also muss anwachsende Macht bedeuten, dass wir selbst immer mehr Möglichkeiten bekommen.

Ich habe selbst von Wölfen gelernt. In Jugendverbänden, in Cliquen, in der Schule, in meinen Jobs.
Wölfe, welche eine feine Nase für Potentiale hatten. Sie ahnten und glaubten daran, dass ich Dinge erreichen konnte. Sie glaubten daran, dass jede*r Dinge erreichen konnte. Mit der richtigen Unterstützung. Mit Überzeugung. Mit Leidenschaft.

Beim Lehren, so dachte ich, ginge es ums Wissen. Ich dachte, es würde ausreichen. Es hieß ja auch, "Wissen ist Macht". Ich verstand damals nicht, dass es einen Unterschied machte, Menschen das Ergebnis zu sagen oder mit ihnen zu lernen, wie sie es selbst finden konnten. In einem Wald, in einer Welt, die sich immer verändert, wie sollte die immer gleiche Lösung da immer auf die gleiche Art gefunden werden können?

Der Drang Leitwolf zu werden war da, als ich es wurde, bemerkte ich es kaum. Ich sah nicht, dass andere zu mir aufsahen, merkte nicht, dass ich jetzt ein Impulsgeber war. In den Bereichen, in denen ich aktiv war, hatte ich nie selbst das Gefühl "fertig" zu sein, alles zu wissen, alle nötigen Fertigkeiten zu haben. Das gehörte aber dazu. So sind Wölfe. Wölfe bleiben hungrig. Ich hatte nicht gelernt satt zu sein, sondern wie ich satt werden kann. Ich habe das Lernen gelernt.

Eine Mitschülerin in der Berufsschule sagt es im Scherz. "Du bist Leitwolf." Der Satz verließ diesen Kontext und betrat jeden in meinem Leben. Ich habe nicht den Anspruch ein Anführer zu sein, aber ich möchte Menschen ermöglichen. Ich möchte im Spiel Impulse anbieten und im Ernstfall mit ihnen gemeinsam jagen. Es reizt mich nicht, bestimmen zu können, wie andere handeln. Es reizt mich, wenn meine Techniken in neuen Händen zu anderen Ergebnissen führen. Zu neuen Techniken werden. 

Die Füchsin war mit der Antwort zufrieden. Sie war flink und neugierig mit der Frage, forderte mich damit etwas heraus. Ich festigte meinen Standpunkt, war entschlossener als noch davor. Ich bin dankbar für die Frage, weshalb ich mir einen Wolf tättoowieren lassen wollte.

Besonders dankbar bin ich Deno vom Signed and Sealed Tattoo Parlour in Reklinghausen. Er ist der Ermöglicher für meine Entscheidung, ist der Gestalter des Emblems eines Teils meiner Seele, den ich für immer auf der Haut tragen werde. Mit Stolz und Sicherheit. Denn ich brauche nicht verstecken, was ich bin. Ich bin ein Wolf. Mit Rudel.

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