Häppchen: ehrlicher Brief

Hallo du,

du wunderst dich sicher was dieser Brief jetzt soll. Schließlich sind wir uns vorhin erst über den Weg gelaufen. Aber ganz ehrlich - wenn wir uns treffen, dann bringe ich ja kaum einen geraden Satz heraus. Dann ist da ja nur Herzrasen, Lippenbeißen und Fingernägel-Knibbeln. Dann ist da jede Menge Bauchgefühl aber ganz wenig Verstand.

Normalerweise bin ich mir meiner sicher. Normalerweise stehe mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Aber du bringst mich ins Schwanken. Immer wieder und wieder. Wenn du da bist verliere ich den Halt. Verliere ich meine Orientierung. (Ja okay die war zugegebenermaßen noch nie besonders gut.) Aber wenn du da bist, dann weiß ich nicht mal mehr wo rechts und links ist. Wo oben und unten. Was richtig oder falsch ist. Was ich müsste, könnte, hätte, machen sollen. Wenn wir uns begegnen, dann weiß ich nicht mehr. Dann stehe ich irgendwo zwischen ja und nein in diesem schwammigemVielleicht. Und von allem was ich mache oder nicht mache hängt plötzlich meine Zukunft ab, wenn nicht gar mein ganzes Leben. Alle meine Entscheidungen wiegen tonnenschwer, reißen mich zu Boden und erdrücken mich.

Normalerweise habe ich keine Angst vorm nächsten Schritt. Auch nicht vorm ersten. Aber bei dir, da fühlen sich diese paar Zentimeter zwischen uns schon nach metertiefem unüberwindbaren Abgrund an.

Normalerweise weiß ich was ich will. Und weiß das auch zu artikulieren: Ich habe eine große Klappe, ein loses Mundwerk und trage mein Herz auf der Zunge. Aber wenn du da bist, dann vergesse ich mich einfach. Dann verstummt nicht nur meine Stimme, sondern auch mein Verstand. Einen klaren Gedanken zu fassen wird schwer, ihn auszusprechen unmöglich. Mein Kopf ist voll mit dir. Dann ist alles ausgefüllt mit deiner Präsenz. Dann ist da ganz viel du und ganz wenig ich.

Normalerweise vertraue ich meinen Freunden. Ihre Meinung ist mir wichtig und ich schenke ihnen Gehör. Aber du lässt mich vorsichtig werden. Ich lege Worte auf Goldwaagen, verdrehe Sätze in fremden Mündern und höre nur das, was ich hören will. Oder besser gesagt, was ich nicht hören will, weil es das ist, von dem ich denke, das es mein Gegenüber eigentlich meint. Wenn ich mit anderen über dich rede werden ihre Ratschläge plötzlich zu Vorwürfen und ihre Fragen zu Angriffen auf meine Persönlichkeit.

Normalerweise bringt mich nichts aus der Ruhe. Aber du, du bereitest mir schwitzige Hände, zitternde Knie und nervöses Lachen. Nachts wenn ich alleine bin auch leises Weinen. Weil du mich so ohnmächtig machst. So kopflos. So entscheidungsunfähig. So ängstlich. So misstrauisch.

Und deshalb schreibe ich dir diesen Brief. Denn wenn du da bist, dann bringe ich ja keinen geraden Satz heraus. Dann fehlen mir die Worte. Dann verstumme ich einfach. Deshalb hier jetzt meine Ansage auf Papier, Schwarz auf Weiß: Hau ab aus meinem Leben! Mach Platz für mein Vertrauen in mich selbst. Das brauche ich viel dringender als dich, du VERDAMMTER ZWEIFEL!

Grüße,
Miriam

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