Hundert Meilen nach Hause

Als ich gegangen bin, da ging ich mit dem Gefühl einer letzten Berührung. Einer letzten Berührung von dir, mein Liebling. Eine allerletzte Berührung, die von ganzem Herzen kam, mit allem, das du je gefühlt hast. Ich fühlte mich direkt betroffen und getroffen. Deine letzte Berührung, deine sanfte Hand auf meiner Wange, deine himmlische Hand in meinem Gesicht, war ein Ohrfeige.
Als ich gegangen bin, da hast du nicht geweint. Und gelacht hast du auch nicht. Und geschrien hast du auch nicht. Du gabst mir die Ohrfeige und hast die Tür geschlossen.
Jetzt marschiere ich nach Hause. Ich bin bestimmt schon Hundert Tage unterwegs. Ich gehe durch Wüsten, Hundert Meilen lang. Ich steige über Berge, Hundert Meilen hoch. Ich schwimme durch Meere, Hundert Meilen tief.
Meine Haut ist Leder. Sie ist trocken und verbrannt. Aufgeplatzt brechen die staubigen Schuppen von meinem Fleisch. Wie Erde die seit Hundert Jahren kein Wasser gesehen hat sieht sie aus, meine Haut. Kleine Schweißtropfen geben meinen Lippen Hoffnung, aber Salz frisst alles auf. Meine Haut knarrt wie alte Holzplanken.
Meine Muskeln sind Stein. Wie Felsen reiben Beuger und Strecker aufeinander. Sie zersetzen sich, verwesen noch während ich lebe. Sie zu bewegen ist Schmerz, aber stehen bleiben ist die Hölle.
Es sind nur noch Hundert Meilen nach Hause.
Meine Knochen sind Wüstensand. Keine Struktur und kein Halt in ihnen. Zerstoßen und gemahlen. Es fällt mir schwer aufrechtzugehen. Möchte mich in kleinen Körnern vom Wind tragen lassen.
Mein Blut ist Lava. Jedesmal wenn mein Herz pumpt, brennt mein Körper und der Schmerz auf. Ich sehe wie es durch meinen Körper kocht und den Boden unter sich verbrennt. Hier und da springt es aus meiner Fassung aber es fließt nicht. Es krümelt.
Es sind nur noch Hundert Meilen nach Hause.
Wenn du mich heute fragst, dann kann ich dir nicht sagen warum ich gegangen bin. Ich kann dir nicht einmal sagen wohin. Ich war in Gedanken immer bei dir, konnte nicht von dir lassen. Jedes Wort endete und begann auf deinem Namen. Jede Frage wurde eine Frage nach dir. Mein Kopf war bei dir, aber unsere Herzen getrennt. Hundert Meilen zwischen uns. Aber jetzt komm ich zurück. Noch Hundert Meilen nach Hause.
Als ich im Türrahmen stehe, da fühle ich wieder die Ohrfeige, aber viel mehr noch, ich verstehe sie. Alles was damals Sinn machte, vergesse ich. Die Welt in meinem Kopf steht in Flammen und geht unter.
Ich lege meine Kleidung ab, reiße die Haut von mir. Ich breche meine Muskeln von mir und sehe wie die sandigen Knochen in den Spalten des Parkett verschwinden.
Ich stehe hier, nur mit meiner Seele. Ich bin daheim, aber für mein Herz, da sind es noch Hundert Meilen nach Hause.

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