Ungewohnte Schatzsuche

Ich pfeife fröhlich die Melodie einer Zeichentrickserie, die ich früher immer wirklich gerne gesehen habe, während ich vor dem Spiegel stehe und mich schminke. Ich mach nur ein paar kleine Handgriffe und bin fertig, die Melodie pfeife ich aber weiter. Ich will Kasimir heute mal überraschen. Heute bin ich mal pünktlich fertig, vergesse nichts in der Wohnung und mache keine meiner „kleinen Verrücktheiten“, wie er es immer nennt. Wir gehen mit einem Pärchen essen, mit dem er sich angefreundet hat. Wir sind kein Pärchen. Trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb wollte Kasimir mich dabei haben.
Ich weiß, dass ich ihn oft genug mit meiner Art in Verlegenheit bringe. Ob ich in Cocktailbars Geschichten mit den Früchten aus den Getränken als Protagonisten erzähle, mit Lippenstift Autoscheiben beschrifte oder einfach nur zum Tanzen im Regen die Schuhe ausziehe, oftmals glaube ich, ihm ist das alles sehr unangenehm. Deshalb geht er bestimmt auch meist mit mir alleine weg, ohne seine Arbeitskollegen oder andere Freunde.
So ein sympathischer Kerl wie er, der muss einfach total beliebt sein. Kasimir ist freundlich, freundschaftlich und hilfsbereit. Manchmal muss man ihn nur ein wenig in die richtige Richtung schubsen, damit seine Fantasie in Bewegung kommt. Dann kann man mit ihm auf Luftschiffen fliegen und in Pullovern verschwinden, nach Geistern im Keller suchen oder einfach die Geschichten der Sterne erzählen.
Ich habe mir extra für heute ein hübsches Kleid gekauft und warte ganz brav schon unten vor der Tür, als er mit seinem Wagen vorfährt. Ein wenig werde natürlich auch ich rot, als er sagt: „Julika, du siehst wirklich toll aus.“ Denn egal wie oft ich sage, dass mir Aussehen nicht wichtig ist, bekomme ich doch trotzdem gerne Komplimente.
„Hast du auch wirklich alles?“, fragt Kasimir mit begründeter Skepsis und einem verschmitzen Grinsen im Gesicht. „Ja, wir können los.“, gebe ich ihm mit einem Knuff auf die Schulter zurück. Während der Fahrt erzähle ich Kasimir von der Ausstellung in Köln die ich gestalten darf, auf die ich mich total freue, weil es meine erste Ausstellung außerhalb von Essen ist. Und dann erzähle ich ihm von dem Bild, das ich heute gemalt habe, in dem die Sonnenblumen mit den Computern tanzen und von der Auftragsarbeit, die ich heute fertig gestellt und abgegeben habe. Dann erzähle ich ihm noch einmal von der Ausstellung und sage so lange „Ich freue mich voll!“ bis er sich auch für mich freut und nicht merkt, wie aufgeregt ich bin. „Du bist ganz schön aufgeregt.“, bemerkt er, als er mir die Autotür aufhält. Doofi, merkt so was aber auch immer.
Das Essen ist toll und die Stimmung gut. Dafür, dass das Pärchen mit dem wir Essen gehen auch nur im langweiligen Büro arbeiten, sind sie trotzdem total witzig und dann kennen sie sich auch noch ein wenig mit Kunst aus. Sie war sogar schon mal in der Galerie in Köln, von der ich den ganzen Tag rede und träume; Er hat früher selbst mal gezeichnet, aber nur zum Spaß, er will da aber nicht von Kunst reden. „Ist doch egal wie man es nennt, Hauptsache es bereitet Freude.“, sage ich und merke gar nicht, dass Kasimir nur oberflächlich gute Laune hat. Normal sehe ich so was sofort, aber diesmal musste man mich erst mit reichlich Essen den Mund stopfen, damit ich aus dem Augenwinkel heraus sehe, dass Kasimir in seinem Kopf kramt.
Der Stimmung tut das keinen Abbruch und Kasimir erzählt seine Witze eigentlich genau so gut wie immer. Eigentlich. Denn unsere Begleiter kennen es nicht anders; sie wissen nicht wie viel besser der Witz ist, wenn Kasimir den Bauern nachmacht und seine Augen verdreht. Irgendwas stimmt nicht, aber ich versuche keine Aufmerksamkeit auf Kasimir zu lenken. Wenn ich heute ausnahmsweise mal erwachsen sein will, dann muss ich ihn jetzt schützen und später fragen was los ist. Also schiebe ich mich im Gespräch noch etwas weiter vor und bemühe mich Kasimir eine „Auszeit“ zu verschaffen. Als man uns fragt, wie lange wir zusammen sind, komm ich kurz ins Stottern, hoffe aber Souveränität zu finden: „Zusammen sind wir schon lange, nur wir sind kein Paar. Wir sind einfach tolle Freunde.“ – „Schade eigentlich.“, toastet uns das Pärchen mit dem letzten Wein zu, den man bestellen konnte, bevor das Restaurant schließt.
Ich weiß immer nicht, wie ich nach Sorgen fragen soll. Ich mag sie nicht. Sorgen sind doof und ich ignoriere sie oft. Wenn man einfach Spaß hat und es einem gut geht, dann geht es einem halt meist gut und man hat mehr Spaß. Was soll mich dann noch der andere Kram kümmern? Aber weil Kasimir da anders ist, muss ich da jetzt einfach mal anders sein.
Ich gab ihm einen bei weitem zärtlicheren Knuff als am Anfang des Abends und ließ ihn wissen, dass ich da bin. „Julika, kann ich mir Sachen aus deiner Werkstatt nehmen?“ – „Na klar, aber meinst du jetzt?“ Kasimir nickte mir zu: „Dann bring ich dich jetzt nach hause und hohl mir die Sachen.“ – „Ne ne, nachher bringst du mir noch alles durcheinander, ich komm mal schön mit.“, flachste ich, legte aber einen Blick nach, bei dem klar war, dass ich wirklich mitkomme.
Zwei Fackeln, eine Schaufel, ein Feuerzeug. Ich wusste nicht mal, dass ich diese Sachen in meinem Atelier, in meiner Werkstatt habe. Kasimir griff den ganzen Kram überzeugt. „Kasimir, was ist los?“ Ich versuche es einfach mal deutlich und direkt. Kasimir sieht mich intensiv mit einem sehr zerbrechlichen Blick an, der aber schnell aufklart: „Wir gehen auf eine Schatzsuche. Also nur, wenn du mit willst, Julika.“ Supertoll! Eine Schatzsuche! So Ideen war ich von ihm gar nicht gewohnt. „Na klar! Ich schnapp mir meine Gummistiefel und dann kann es los gehen!“
Ich stehe in Abendkleid und Gummistiefeln mit einer Fackel bewaffnet am Rande des Stadtwaldes. Kasimir rückt in Jeans und Hemd nach, mit hochgekrempelten Ärmeln, unentbrannter Fackel am Gürtel und Schaufel auf der Schulter. Sehr piratisch. „Aye! In diesem Wald liegt der Schatz!“, scherzt er, greift meine Hand und nimmt mich mit auf eine wundersame Reise.
Durch die Wurzeln umgekippter Bäume klettern wir und stapfen durch ausgetrocknete Flussbetten, die sich beim Betreten als doch nicht ausgetrocknet herausstellen. Einen Hügel springen wir hinauf und kleine morsche Mauern hinunter. Zauberhaft dreckig macht Kapitän Kasimir sich und ich fliege wie Tinkerbell im leichten Fackelschein hinter ihm her und kichere, wann immer er flucht. Wann immer ich frage: „Käp’ten, mein Käp’ten, wo liegt denn nur ihr Schatz?“, so sagt er mit seiner rumgetränkten Stimme: „Bald sind wir da, beim Klabautermann!“
Ich kehre immer wieder in die Realität zurück, denn so kenne ich Kasimir nun wirklich nicht. Mir ist so wohlig komisch, denn irgendwie habe ich den Eindruck, Kasimir und ich hätten die Körper oder zumindest die Rollen getauscht.
„Käp’ten, mein Käp’ten? Was suchen wir hier denn überhaupt?“, will ich zum ersten Mal wissen, als plötzlich Kapitän Kasimir seine Schaufel ins Erdreich rammt: „Meine Kindheit. Hier muss sie sein.“
Eine Kiste voller Fundsachen, Glücksbringer und Andenken hält er in Händen. Artefakte und Schätze von früheren Streifzügen des Kapitäns. Im Fackelschein sind sie alle aus Bernstein und Gold, wertvoller als alles, was ich jemals gesehen habe. Ich würde lügen, würde ich sagen, dass da nicht auch Gier in mir sprüht. Neu-Gier. Was sind das für Dinge, was haben sie zu bedeuten, was sind sie wohl wert? Doch der wertvollste Schatz, den trägt Kasimir. Er lächelt befreit und sein Blick strahlt.
„Alle reden von ihren Kindern, alle Kinder reden von Abenteuern. Ich hatte mir mal geschworen, immer mein eigenes Kind zu sein und zu bleiben, nie meine Fantasie zu verlieren.“ Er atmete tief durch. „Wenn ich mal Kinder hätte, dann würde ich mit ihnen in ihren Welten leben und spielen können. Ich wollte kein „Erwachsener“ sein, der „das nicht versteht“. Ich habe meine Schätze immer hier im Wald versteckt, früher vor meinem Bruder, jetzt auch irgendwie vor mir selbst. Ich habe mir geschworen, wenn ich aufhöre Kind zu sein, dann komme ich hier hin zurück und schau nach, wie es um meine Kindheit steht.“ Eine Träne kommt mir, da ich es so schön finde, mal tief in Kasimirs Seele schauen zu können. Eine Träne kommt mir aber auch, da ich mich tief und aufrichtig ärgere, diesen Mensch in Kasimir nicht gesehen zu haben.
Er drückt mich ganz feste, so dass mir fast die Fackel aus der Hand fällt. „Danke Julika.“

Anmerkung:
Falls du Julika und Kasimir noch nicht kennst, dann schau doch hier nach.

Kommentare

  1. Chrissi4.4.10

    Eine sehr sehr schöne Geschichte. Ok, nachdem ich gestern die "Vorgänger" gelesen habe, habe ich auch nix anderes erwartet. Ich würde mich freuen, häufiger etwas von Julika und Kasimir zu hören. Mach weiter so.

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  2. Der is wirklich schön, der Text :) Bei den beiden hätte ich aber auch nich wirklich was anderes erwartet. Aber warum Kasimir...?

    Egal, der Text is trotzdem schön :)

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