Poetry Slam von Innen: Leuchttürme


Immer mal wieder schreibe ich hier über Poetry Slam - früher habe ich hier quasi Spielnachberichte geschrieben und auch ganz ganz selten mal Kommentare und Einblicke in die Szene. Worüber ich seltsamerweise nie so wirklich geschrieben habe, ist mein eigener Slam. Irgendwo am Rande habe ich wohl mal erwähnt, dass ich in Essen einen Poetry Slam veranstalte, aber sonst nicht.

Das hätte so nach Eigenwerbung und Selbstdarstellung gerochen und das hat mir bisher nie so wirklich gut gefallen. Aber inzwischen hat sich etwas eingeschlichen, was ich als Stolz bezeichnen würde. Denn jetzt in unserem vierten Jahr wird mir plötzlich bewusst, was wir da eigentlich geschaffen haben. Aber das dient nur als Intro für eine für mich sehr wichtige Geschichte, die ich viel zu selten erzähle. Und für diese Geschichte müssen wir ganz vorne anfangen.

Es ist ein ungeschriebenes Gesetz von hoher Tradition, ja fast schon ritueller Wichtigkeit, dass ein jeder und eine jede, die irgendwie für sich selbst in Betracht ziehen Poetry Slam auszuprobieren oder gerade zufälligerweise frisch darauf gestoßen sind, mit eben diesen zwei magisch unbekannten Wörtern die Suchmaschine des Vertrauens zu bemühen. Genauer die Video-Suchmaschine des Vertrauens. Denn dass mensch selbst nicht der erste ist, der sowas auf der Bühne macht, ist einem für gewöhnlich bewusst.

Oft passiert es dann, dass mensch in einer Versenkung aus Selbstzweifel im ewigen Peitschenschwund sich selbst zerfleischt, weil die dort entdeckten Texte so unwahrscheinlich vielfach besser wirken als die eigenen Stücke. Das kommt aber auf den Typ Mensch an, denn mit einem Hauch mehr Optimismus findet mensch auch auf dem allseits beliebten Videoportal einen Leuchtturm. Einen Text, von dem mensch nicht geahnt hätte, dass es so überhaupt möglich ist auf die Bühne zu steigen und der alle anderen überstrahlt. Allerdings eben nicht um zu vernichten, sondern um den verirrten auf dem Meer der Bühnenliteratur den Weg zu zeigen, der sie in Sicherheit bringt oder wenigstens beschreibt wo das Ufer liegt.

Das passiert natürlich alles im Kopf des Empfängers. Der Vortragende hat das nie so geplant, dass er durch seinen Text zum Helden erwählt wird. Wenn doch: meinen höchsten Respekt!

Mein Leuchtturmvideo wurde zu einer Zeit gesucht, als meine ganzen geschätzten deutschsprachigen KollegInnen noch nicht das Videoportal für sich eingenommen hatten und so landete ich bei dieser jungen Frau aus den U.S.A. Bitte einmal kurz durchatmen, Kopf frei machen, und dann anhören:



Ich weiß nicht mehr wirklich, wie ich bei ihr rausgekommen bin, aber so ist es ja mit Leuchttürmen. Sie tauchen am Horizont als Lichtschein auf, ohne dass wir genau wissen, wo er eigentlich steht.
Sarah Kay hat mich direkt in ihren Bann gezogen. Das Thema ist simpel, die Ausführungen tief und auch keine Sekunde hat sie nicht die gesamte Bühne inne.

Ihr Video wurde das erste, dass ich zu meinen "Favoriten" bei Youtube gespeichert habe. Und es war sehr sehr lange auch das Einzige. Ich hörte mir weitere Texte von ihr an, wovon es damals gar nicht mal so viele im Netz gab und mein Kopf machte etwas, was ich früher sehr gut mit Poetry Slammern konnte: Ich war so ein dezentes kleines bisschen verliebt. So sehr, dass ich - nicht so wie sonst - eigentlich niemandem das Video zeigte. Das sollte mein kleines Geheimnis bleiben. Schnitt.

Als wir damals am 29.10.2011 in einem Nebenraum der Weststadthalle zum ersten Mal zu unserem eigenen Slam eingeladen haben, da hatten wir nicht viele Ziele. Ich weiß nicht mal, ob meine Jungs, Gabriel und Tobi, überhaupt Ziele hatten. Ich wollte gerne eine Kulturveranstaltung in Essen anbieten, die sich jeder anschauen kann, unabhängig von seinem Stand in der Geldbörse. Ich habe dabei in erster Linie an Schüler und Studenten gedacht, weil ich mich gut erinnern konnte, wie teuer ein Konzert für vier Euro alleine schon manchmal sein konnte, wenn gerade Ende des Monats war. Hätte mir damals jemand gesagt, dass aus den etwa 60 Seelen vor der Bühne mal fast 500 werden, die jetzt jeden Monat in der Halle sitzen und klug erdachten Texten lauschen, hätte ich mich kaputt gelacht. Nie im Leben!

Wir sind gewachsen, meine Ziele haben sich minimal verändert. Ich will immer noch Kultur bei freiwilligem Unkostenbeitrag anbieten, aber ich fühle mich unseren Zuschauern gegenüber stärker verpflichtet als früher. Einfach weil ich weiß, dass sie uns dahin gebracht haben, wo wir jetzt sind.
Es hatte sich inzwischen viel getan, wir wurden bekannter, die Zuschauerzahlen stiegen wie erwähnt an, wir hatten begonnen ein wenig zu netzwerken und haben Freundschaften und Allianzen mit anderen Slams geschmiedet. Und dann standen wir gerade kurz vor unserer vierten - gerade laufenden Saison - als folgendes in meinem Postfach passiert:

Nachricht von Sebastian23:
Hey Jay,
Ich habe eine Anfrage vorliegen von einer amerikanischen Slammerin, die so gut ist, dass es knistert. Sie gibt nächsten Monat einen Workshop in Bonn und sucht für den Abend des 18ten noch eine Show, bei der sie und ihr Kollege featuren könnten. Das ist sie:

Nun ist an dem Tag eben WestStadtStory - die Frage ist nur, ob ihr Lust habt und euch gewappnet fühlt, zwei der bekanntesten amerikanischen Slam Poeten als Feature außerhalb des Wettbewerbs auftreten zu lassen. Was meinst du?

Erst als meine Seele, welche gerade mit einer Heftigkeit einer Artilleriekanone meinen Körper verlassen hatte, langsam wieder den Kontakt herstellt, kann ich versuchen mit meinen zitternden Fingern so etwas wie eine Antwort zu schreiben:
"Sebastian. Ich weine hier gerade fast. Ich liebe Sarah Kay. Wirklich. Ich will. Ja. Ich will. Was war nochmal die Frage?"
Bis heute kann ich in keinsterweise dem guten Sebastian in Dankbarkeit aufschütten, was er da für mich getan hat. Ja, für mich. Natürlich sollte es unseren Slam unglaublich veredeln, zum Auftakt der vierten Saison nicht nur Sarah Kay, sondern sogar auch noch ihren nicht minder begnadeten Bühnenpartner Philip Kaye auf unsere bescheidene Bühne zu holen, aber die bloße Vorstellung ich könnte meine Leuchtturmpoetin auf "meiner" Bühne live sehen, sprengte das Fassungsvermögen meines Kopfes. Den ich, wie sich herausstellen sollte, eh im Laufe dieser Geschichte etwas ausbauen musste, damit er eben fassen kann.

Denn nicht nur, dass die beiden bei uns auftreten sollten; wegen einer Messe in der Stadt gab es keine -bezahlbaren- Hotelzimmer mehr und so haben diese Rockstars des Poetry Slams (Meine Meinung) in den bescheidenen Wänden gelebt, die ich mein Zuhause nenne. So ist es innerhalb unserer deutschsprachigen Slamszene recht üblich, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass es für die beiden auch klargeht. Ging es aber.

Und so hatten wir/ hatte ich nicht nur die Gelegenheit den beiden eine Bühne zu bieten, sondern auch mit ihnen über Slam hier und in den Staaten zu sprechen, zu bewundern, wie stapelbare Aufschnittdosen sie vollkommen begeisterten, übers Schreiben, Inspiration, Motivation für Slam,  über die Seele von Sprachen zu reden und sie mit unserem Pferderennen zu amüsieren. Es brauchte ein wenig, aber die Rockstargefühle bauten sich langsam ab und an ihre Stelle trat das Gefühl, hier einfach Freunde oder geschätzte Kollegen sitzen zu haben.

Das war neben der Bühne. Auf der Bühne verwandelten sie unsere Halle schlagartig in einen neuen Ort. Es war immer noch ein Poetry Slam, aber es hatten sich Dinge verändert. Ich weinte vor Stolz fast bei der Anmoderation unserer Gäste und unsere Poetry Slammer an diesem Abend zeigten sich vor den internationalen Gästen angespornt, wie ich es nur selten zuvor gesehen habe. Unser Publikum an dem Abend war uns dankbar für Sarah und Phil und haben gar nicht gemerkt, dass sie sich dafür selbst hätten danken müssen. Jeder spürte es an diesem Abend ganz deutlich: Bei Poetry Slam kann manchmal auch diese Magie passieren, die viele von uns nur noch aus Disney-Filmen kennen.

Wäre es nach mir gegangen, hätte ich Sarah und Phil für immer behalten. Ich habe zwar meine Star-Wahrnehmung dämpfen können, aber aus nächster Nähe konnte mensch sich nur viel mehr in die beiden verlieben. Da herrschte hier auch bei allen Einigkeit. Und als die beiden dann abreisen mussten - ironischerweise mussten meine Freundin und ich vor den Gästen das Haus verlassen - waren wir am Ende einfach nur stolz, so gute Gastgeber gewesen zu sein und zwei tolle, herzensgute Menschen kennen gelernt zu haben.

Auf die Gefahr, dass ich mich wiederhole: Ich werde Sebastian nie in meinem Leben genug dafür danken und es ihm vergelten können, was er da für mich getan hat. Auch dieser Beitrag ist ein viel zu kleines Denkmal.

Eines, dass ich meinen beiden Poetry Slam Leuchttürmen setzen möchte. Die es vielleicht, schon lange wieder in ihrem Leben zurück, nie erfahren werden. Ich bin euch zutiefst dankbar, dass ihr uns den Stolz auf das gebracht habt, was wir da seit Jahren machen. Ihr habt dieses Gefühl in uns eingepflanzt und wir werden es hegen und pflegen.


Und auch wenn meine Verliebtheit einen kleinen Funken mehr Sarah gilt - sorry Phil -, möchte ich euch auch noch einen Text von Phil mitgeben, den er auch auf unserem Slam vorgetragen und uns damit bewegt hat.

Kommentare

  1. Meine Güte sind die gut!
    Ich denke mit diesem Text hast du nicht nur den beiden Slammern und Sebastian ein Denkmal gesetzt, sondern der ganzen Leidenschaft für Poetry Slam. Ihrer, seiner und natürlich auch deiner.

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    1. Das wäre echt hoch gegriffen, aber tatsächlich gehört es zu den Sachen, die ich jetzt endlich mal bloggen wollte, damit sie andere erfahren, ich aber auch nie in die Verlegenheit komme sie zu vergessen.

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  2. Ohne Übertreibung, hatte Tränen in den Augen. Ich weiß wie selten es ist, wenn Träume wahr werden :) Danke für diesen schönen Text und vor allem danke ich dir, das ich sie auch damals live erleben durfte :D

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    1. Wie gesagt: Der Löwenanteil liegt bei Sebastian und bei diesem Genossen namens Schicksal. Die in diesem Fall beide in einer Person aufgetreten sind.

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