Kurzgeschichte: Smartphones

"Morgen.", schiebe ich gerade noch so raus, als mein Arbeitskollege Jürgen* auftaucht. Es ist scheiße früh und eigentlich habe ich nie Lust mich zu unterhalten, aber Jürgen ist ganz okay, da kann ich mal eine Ausnahme machen.
"Morgen. Na Ute*, wie isset?" - Manchmal frage ich mich, ob wir Menschen irgendwann in der Zukunft mal Small Talk weiter entwickeln werden, aber ich bin da nicht sonderlich optimistisch.

"Ganz gut.", jetzt musste ich noch was anheften, sonst wirkte ich, als wäre ich an einem Gespräch nicht interessiert, "Wir haben gestern ein Mammut-Projekt abgeschlossen. War echt anstrengend, aber ein riesen Gewinn für unsere ganze Unternehmung." Jürgen nickte euphorisch: "Ja, das hatte sich rumgesprochen. Das muss ja echt ein riesen Ding gewesen sein, so wie die Leute darüber gesprochen haben. Die meinten alle, dass uns das Teil lange im Geschäft halten wird.", und dann klopfte Jürgen mir auf die Schulter, was mir sehr gut gefiel. Ich war sehr stolz darauf, da war es aber auch gut, wenn andere auch sahen, das die Arbeit ordentlich war. "Geil.", schob Jürgen noch nach, was aus seinem Mund irgendwie nicht ganz altersgerecht klang.

Während wir auf unseren Anschluss zur Arbeit warteten, lief Einer aus einer anderen Abteilung vorbei. Wir grüßten knapp mit einem Winken und er erwiderte auch den Gruß, aber plötzlich wirkte Jürgen aufgebracht. Und tatsächlich, als der Kollege aus Hörweite war, legte Jürgen los: "Hasste das gesehen? In seiner Hand? Das war eins dieser neumodischen Scheißteile!", so ganz konnte ich nicht folgen, "Die Hinterlassen sich jetzt ständig Nachrichten und sowas. Überall. Den Ganzen Tag hängen die über diesen Dingern rum.", spuckte Jürgen und schaute grimmig dem Typen hinterher.

"Was meinste denn?" - Mehr erlaubte meine Müdigkeit noch nicht zu fragen und Jürgen wurde direkt mal eine Oktave lauter, weil das immer hilft, wenn dein gegenüber inhaltlich nicht ganz versteht: "Hasste die Hände nicht gesehen? Die waren ganz rötlich! Das ist diese Kreide! Die Scheißkids benutzen gar nichts anderes mehr! Du kannst hingehen wo du willst, überall sind welche, die irgendwas malen und zeichen!"

Ich hatte von der Kreide gehört. Meine Tochter hatte mich auch gefragt, ob sie welche haben könnte, weil die anderen in ihrem Alter auch schon manchmal welche hatten. Ich musste sie vertrösten, da ich mir das vor dem Abschluss des Projektes nicht leisten konnte. Kreide war wirklich nicht ganz so günstig.

"Diese Dinger regen mich so auf! Du kannst mit den Leuten echt kein vernünftiges Gespräch mehr führen, weil jede verdammte Katzenkirmes auf die Wände gemalt werden muss! Was ist denn bitte so schlecht daran, mit den Menschen zu reden? Hat doch bisher auch alles wunderbar geklappt!"

Langsam wurde ich ein wenig wacher, weshalb ich im Gespräch endlich mal ein wenig Widerstand leisten konnte: "Aber was ist denn so schlimm daran? Tut doch keinem weh!" Aber Widerstand erzeugt halt manchmal noch größeren Gegenwiderstand: "Was ist denn so schlimm? Willst du mich veräppeln?", er wartete auf eine Antwort, ich überlegte aber ob "Äppel" nicht ein guter Name für ein Unternehmen wäre, "Das ist voll der Kulturverlust! Wir haben immer schon mit einander gesprochen und das war auch gut so. Und jetzt tauchen diese Hipster mit ihrer Kreide auf und das gut gepflegte gemeinsame Gespräch verfällt langsam. Es muss ja gemalt werden! Nur weil es gerade "In" ist. Dieses dumme Hinterhergerenne nach den Trends! Hoffentlich setzt sich das nicht auch noch durch! Wo kommen wir denn da hin?"

Der Gedanke mit "Äppel" ein Kreide-Unternehmen zu gründen und den Aufschwung dieser Branche zu nutzen reizte mich schon. Kreide war gerade sehr gefragt und ich könnte damit Lebensmittel ertauschen, ohne selber noch Jagen gehen zu müssen. Oder Sammeln! Ich hasse sammeln. Wenn irgendwann mal Menschen glauben sollten, dass irgendwer, egal ob Mann oder Frau gerne gesammelt hat, dann weiß ich das wir verloren sind.
"Äppel" war aber eine gute Idee. Ich musste nur einen Weg finden, mich von den anderen Kreide-Anbietern ab zu setzen.

Jürgen starrte mich immer noch an: "Worüber denkst du nach? Es ist doch ganz einfach: Wenn wir unsere Kultur verlieren, was bleibt uns denn dann noch? Dann sind wir doch von unzivilisierten Affen kaum noch zu unterscheiden!" - "Jürgen, wir haben auf über 50% unseres Körpers Haare! Wir sind von Affen nicht ganz so einfach zu unterscheiden!" Jürgen wurde noch etwas wütender: "Fang jetzt nicht mit Klugscheißen an!"

Inzwischen war unsere Gruppe vollständig und wir auf dem Weg zur Arbeit. Als ich die anderen ansah, wurde mir etwas klar: "Jürgen, was ist denn, wenn diese Kreide nicht nur Mode ist, sondern echt die Zukunft?" Jürgen zeigte mir einen Pterodactyl: "Spinnst du?" Aber ich schüttelte den Kopf: "Nee. Überleg doch mal! Wir haben unsere Arbeit auch noch mit der Keule gelernt. Und dann kam irgendwann der Speer auf den Markt." - "Ja, und?" - "Wir mussten uns erst daran gewöhnen, aber würdest du jetzt noch gegen die Zahntiger*² lieber mit einer Keule kämpfen wollen?"
Jürgen überlegte nur kurz: "Nee, das ist ja was anderes. Das ist ja nützlicher Fortschritt. Damit werden ja Leben gerettet! Weißt du wie stark die Zahl der Krankschreibungen seit dem Speer gesunken ist?" Wusste ich nicht, aber: "Ich kann es mir vorstellen. Aber warum soll sich denn unsere Kultur nicht auch weiter entwickeln können? Und die ist auch wichtig fürs Überleben!"

"Bullshit!", sagte Jürgen und wirkte damit weder zeitgemäß noch altersgerecht. Ich aber erhob meinen Zeigefinger: "Doch doch! Ohne Kultur wüssten unsere Kinder nicht was Familie ist, wir könnten nicht in unseren Gruppen zusammen leben und ich hätte dir schon lange meinen Speer zwischen die Augen gerammt, weil mir nie jemand beigebracht hätte, dass ich das nicht tun darf." Und dann lachte ich ein wenig, um Jürgen zu deuten, dass es sich dabei nur um einen Scherz handelt. Jürgen schmunzelte etwas gequält und ich sah, dass er ins nachdenken geraten war.

"Aber unsere aktuellen Werte sind doch gut, warum sollten wir etwas daran verändern? Warum müssen wir den jetzt mit Kreide kommunizieren? Vorher hat uns doch nichts gefehlt!" Ich musste wieder ein wenig lachen: "Jaha, das haben wir auch gesagt, bevor wir das Feuer kannten. Wie sollten wir etwas vermissen, was wir nicht kennen?", aber ich war noch nicht fertig: "Und wer sagt denn, dass unsere Kultur sich wirklich verändern muss? Die Leute mit Kreide reden bestimmt trotzdem auch noch mit anderen, sie haben einfach nur einen neuen Weg mit Menschen in Kontakt zu geraten. Wer weiß, vielleicht sogar nicht nur mit Menschen unserer Zeit. Worte verhallen, aber die Bilder bleiben ja für länger. Stell dir mal vor: Du zeichnest dein Leben auf und die Kinder deiner Kinder wissen wer du bist, obwohl du Rentengerecht mit 30 gestorben bist."

"Bring jetzt nicht auch noch die Rente ins Spiel!", mahnte Jürgen, konnte aber wieder ein wenig lächeln. Ich gab ihm einen leichten Boxer auf die Schulter: "Und, was meinst du jetzt? Immer noch sauer auf Kreide?" Er schaute ein wenig in Richtung der Jagdgründe zu denen wir zur Arbeit gingen. "Ich denke, ich werde mich daran gewöhnen müssen. Neue Technologien und Entwicklungen machen mir halt etwas Angst." - "Was ja auch gut ist! Das macht uns vorsichtig! Du darfst halt nur nicht alles direkt vorher verurteilen!" Jürgen blickte mich etwas beschämt an: "Ich weiß."

WEIß! Das war es. Wenn ich den Kreidemarkt an mich reißen wollte, musste ich ein anderes Design wählen! Weiße Kreide, dreifacher Preis! Und nach ein paar Jahren bringe ich eine neue weiße Kreide raus, die nichts zu richtig besser kann. Und dann mal ein kleineres Stück, dass ich ganz neues Produkt vermarkte. Weiße Kreide für coole Steinzeitmenschen! Direkt nach dem heutigen Tag würde ich kündigen und "Äppel" gründen!*³

* Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Menschen damals Jürgen oder Ute hießen, sondern vielleicht eher Grha, Ugh oder Pfnt. Das wäre aber für den Lesefluss sehr undankbar gewesen und somit hat sich der Übersetzer die Freiheit genommen, andere Namen zu verwenden, die annähernd ähnlich alt sind.

*² Da es Säbel zu dieser Zeit noch nicht gab, ist es ausgeschlossen, dass die Menschen der Stein- bzw. Angehenden Kreidezeit von Säbel-Zahntigern gesprochen haben. Daher wurde vom Übersetzer das Wort Säbel ausgespart. Ehrlicherweise muss der Übersetzer aber auch zugeben, dass vermutlich Tiger auch nicht bekannt waren. Aber nur mit "Zahn" würde das ja gar keinen Sinn ergeben.

*³ Den Kreidezeichnungen nach, starb "Ute" an diesem Tag in einem Jagdunfall, da sie versehentlich zur Raptorenjagd eine Keule statt einem Speer eingepackt hatte. "Jürgen" gab später zu, dass dieser Unfall mit einem Kreide-Memo an alle Mitarbeiter zu verhindern gewesen wäre.

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