Was mir mein Hund über Demokratie beigebracht hat

Mein Hund und ich, wir haben diese Vereinbarung. Wenn ich im Wald die Leine von seinem Halsband trenne, dann darf er los laufen. Das macht er aber meist erst, wenn ich sage: „Keks, wenn ich dich rufe, dann kommst du.“ Das hat sich als Ritual eingebürgert. Und dann läuft der kleine Kerl los. Bis zu einer Stelle, an der ich ihn noch sehen kann. Dann dreht er sich um und guckt, wo ich bin. Ich guck, wo er ist. Und dann signalisiere ich ihm, dass er weiter kann. Jedes mal vergrößert sich dann sein Radius und er kann dann auch ganze Abschnitte laufen, ohne, dass ich ihn sehe. Aber zwischen durch, lugt aus dem Gebüsch mal ein pelziger Kopf raus. Doch nochmal nachgucken, wo ich denn jetzt gerade so bin.

Wenn andere Hunde kommen, die an der Leine sind, dann nehme ich ihn auch an die Leine. Das ist Keks gewöhnt und das sollte mensch so tun. Vielleicht ist der andere Hund krank oder hat Angst. Dann wäre es unfair, wenn sich Keks sich frei bewegen kann, der andere Hund aber nicht. Dann kann er oder sie nicht ausweichen, wenn was sein sollte. Also leine ich meinen Hund auch an. Und das ist kein Problem. Ich weiß nicht, ob Keks weiß, dass die Leine keine Strafe für ihn ist. Er verhält sich nicht so, als wäre sie ein Problem.

Der Bach, der ist ein Problem. Für mich. Für Keks nicht so wirklich. Keks ist ein Wasserhund, wie mensch am Namen ja ganz eindeutig erkennen kann. Keks liebt den Bach. Keks liebt jedes Wasser. Und wenn wir dann auf dem Rückweg aus dem Wald sind und er schon ein bisschen müde und ausgetobt ist, dann geht halt seine Impulskontrolle flöten. Egal wie gut dieser kleine Gauner vorher gehört hat, am Ende der Runde, steht er im Bach und will nicht gehen. Wenn ich im Bach stehen bleibe und ihn angucke, dann bellt er. Wenn ich ihn abrufen will, dann bleibt er im Bach stehen. Wenn ich weitergehe, kommt er nicht. Ich habe dann nur eine Option. Ich muss aussehen, als würde ich noch viel mehr Spaß haben und machen, als er da gerade alleine im Bach hat.

„Hach, was habe ich denn hier für einen tollen Stock gefunden?“, rufe ich dann und renne die Waldkante oberhalb des Bachs entlang, bis der kleine Kerl denkt, dass es jetzt da das allerbeste Stöckchen-Spiel aller Zeiten gibt. „OOOH, was ist das nur für ein fantastischer Stock?“, rufe ich und renne die Waldkante entlang, wo sich die anderen Fussgänger*innen freuen, wie ich mich zum Idioten mache. Aber dann kommt Keks zu mir, er bekommt den Stock, ich kann ihn anleinen und dann ist plötzlich alles wieder entspannt. Die Leine ist keine Strafe. So ist die Leine auch nicht gedacht.

Manchmal, da sehe ich Arschlöcher. Die dürfen leider auch einen Hund haben. Mit tausendprozentiger Treffsicherheit sind sie an einer dieser Zip-Leinen zu erkennen. Die sind in ihrer Wirkung ganz ähnlich, wie wenn mensch die Notbremse im ICE während der Fahrt zieht. Der daran hängende Hund wird auf Knopfdruck bequem zu seinen Besitzer*innen zurück katapultiert. Zip-Leinen sind das internationale Erkennungszeichen dafür, dass du einen Hund hast, aber keinen Hund haben möchtest. Weil du nicht mal mehr das Vertrauen aufbringen kannst, dass dein Hund zurückkommt, wenn du ihn rufst, aber auch nicht die Energie hast, ihn zu rufen. Ich finde, wer im Laden eine Zip-Leine kauft, dem sollte vor Ort der Hund abgenommen werden.

Wenn ihr etwas über Demokratie lernen wollt, dann lernt von Hunden. Mein Hund versteht die Leine nicht als Strafe, weil er gelernt hat, dass sie seiner Sicherheit dient. Ich benutze die Leine aber auch nur, wenn Sicherheit eine Rolle spielt und nicht, wenn ich es mir leicht machen möchte. Ich übernehme Verantwortung für ihn, was nicht bedeutet, ihn zu bestrafen, sondern ihn zu erziehen. Mein Hund lernt dabei, was er alles selbst kann und was er nicht tun soll. Weil unsere Beziehung auf einem liebevollen Umgang beruht, vertraut er mir, dass ich mich für seine Sicherheit interessiere. Ich interessiere mich aber auch für seine Freiheit.

Aber Sicherheit kann manchmal bedeuten, Freiheiten aufzugeben. Und Moral bedeutet auch, auf Freiheiten zu verzichten. Denn Moral, das ist die Entscheidung, für wie viele Lebewesen wir Verantwortung übernehmen wollen. Wir behaupten manchmal, dass Menschen sich unmoralisch verhalten, aber Moral kommt in Stufen. Die Leute, von denen wir dann behaupten, sie hätten keine Moral, die handeln oft auf der untersten Stufe der Moral. Auf dieser haben wir hauptsächlich Angst vor der Strafe und schauen nur auf unseren persönlichen Vorteil. Wie gut wäre da denn jetzt bitte die Zip-Leine?

Wenn Keks im Bach steht, schaut er auch nur auf seinen persönlichen Vorteil. Er interessiert sich in dem Moment nicht dafür, was für uns alle besser wäre. Und es wäre ein leichtes, sein „unmoralisches“ Verhalten mit einer Strafe zu behandeln. Es ist aber viel angenehmer, ihm eine positive Alternative anzubieten. Denn zu sehen, wie der kleine Kerl dann fröhlich an meiner Seite läuft, dass bringt mir großen Frieden. Manchmal wünschte ich mir, ich wüsste, mit was für einem Stock ich rum rennen müsste, um zum Beispiel Faschisten aus dem Bach zu holen. Vielleicht Arbeitsplätze, vielleicht Sicherheit, vielleicht bin ich nicht die Person, die an der Waldkante rumrennen müsste. „Ooooooooh, was habe ich denn hier bitte für ein fantastischen Arbeitsplatz gefunden?“ Ich würde es mir gerne ansehen.

Was ich an der Demokratie mag, habe ich von meinem Hund gelernt. Es gibt Gesetze und die fühlen sich manchmal an, als würden unsere Freiheiten begrenzt. Manche von den Gesetzen sind als Zip-Leine angelegt und zeigen, dass im Vertrauen zwischen uns und denen die Gesetze machen, etwas nicht mehr ganz gut ist. Aber zu wissen, dass wir die Möglichkeiten haben, mit Bildung und Erziehung bessere Angebote zu machen, das beruhigt mich. Zu hoffen, dass unsere Gesellschaft im Spiel zu einem vertrauensvollen Umgang gebracht werden kann, dass ist fast so gut, wie ein pelziger Kopf, der überraschend aus dem Gebüsch guckt.



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