Wenn du schreiben willst, musst du mehr machen als zu schreiben

Für einen Moment stellen wir uns mal ein großes Unternehmen vor. Unternehmen stellen was her oder bieten was an. Ein "Produkt" oder eine "Dienstleistung". Viele Unternehmen sind mit einer kleinen guten Idee gestartet, haben einen Bedarf erkannt oder waren einfach von ihrer Sache sehr überzeugt. Irgendwann, wenn Unternehmen wachsen, wachsen auch die Strukturen. Und irgenwann muss auch darüber nachgedacht werden, wie mehr Menschen mit dem Produkt erreicht werden können. Das Produkt muss sich auch verändern, weil es neue Kund*innen und neue Bedürfnisse gibt. So weit, so Kapitalismus. Was hat das mit uns zu Kreativschaffenden und besonders Schreibenden zu tun?

Ganz häufig wenn ich mich mit Künstler*innen austausche oder auch mit Mentees rede, sprechen die Leute von einer "Blockade", weil sie nichts mehr zum Papier bringen. Die "Schreibblockade" ist ein äußerst prominenter Begriff im Deutschen. Während im Englischen einige Nachweise für "Artist's Block" zu finden sind, sind bei uns kaum andere Blockaden im Sprachgebrauch vorhanden.

Für einen Moment denken wir uns selbst als Kreative mal als Unternehmen. Auch wenn ich dringend davon abraten möchte, sich selbst auf Gewinne und ewiges Wachstum zu optimieren. Und ebenso davon, eigene Kunst als "Produkt" zu betrachten. Aber schauen wir uns mal ein Unternehmen an. Der Schreibende ist blockiert, wenn nicht geschrieben wird. Aber ein Unternehmen findet auch Arbeit für die Leute, auch wenn mal nicht produziert wird. Wer sich hinsetzt und brainstormt welche Abteilungen ein Unternehmen hat, kommt schnell darauf, dass eben nicht alles die Produktion ist. Denn natürlich müssen auch Materialien bestellt werden und dann muss die Firma sich natürlich auch über Innovationen und neue Technologien informieren. Unter Umständen forscht eine Firma auch selbst. Auch eine Instandhaltung der verwendeten Werkzeuge kann wichtig sein. Und manchmal, wenn Probleme im Unternehmen auftauchen, werden auch externe Expert*innen eingeladen oder angeworben, um sich weiter zu entwickeln.

Die kreative Person sieht sich als blockiert, wenn sie nicht kreativ ist. Aber da auch wir ein ganzheitliches System als Mensch sind, können wir uns nicht auf einen Prozess reduzieren. Das bedeute für mich, dass Teil meiner "kreativen Unternehmung" eben nicht nur ist, wenn ich "schaffe", sondern auch, wenn ich forsche, mich fortbilde, mich mit meinen Räumlichkeiten und Arbeitsmaterial auseinander setze. Und auch, wenn ich mir selbst Impulse hole. Denn auch als kreative Menschen, brauchen wir Impulse um wieder selbst Material zu haben. Genauso, wie eben auch jede Fabrik wieder neues Material braucht, um etwas erschaffen zu können.

Julia Cameron empfiehlt in "The Artist's way" dafür zum Beispiel die "Artist's Dates". Verabredungen, wo wir als Künstler*innen mit uns selbst ein Treffen haben, das uns pflegen und anfüttern soll. Eine Sache die wir vollumfänglich erleben und dadurch wieder "unseren Brunnen auffüllen", wie sie es nennt. Und das Bild passt ja auch sprachlich irgendwie, denn genau wie bei einem Brunnen, schöpfen wir ja, wenn wir Kunst machen.

Wenn euch das Bild mit dem Unternehmen übrigens nicht gefällt, was ich durchaus nachvollziehen kann, kann ich euch noch eine Alternative anbieten. Unternehmen empfinde ich nur deshalb als gutes Bild, weil wir jeden Tag sehr viele sehr unterschiedliche Eindrücke bekommen, wie Firmen in der modernen Welt handeln. Sie sind eine einfache schnell verfügbare Metapher.

Die Alternative ist kein Bild und bietet auch nochmal einen anderen Blickwinkel auf mögliche eigene Blockaden, aber auch Entwicklungen. Der Mythologie-Forscher Joseph Campbell hat den "Monomythos" begründet. Eine wissenschaftliche Betrachtung des menschlichen Geschichtenerzählens, in der er behauptet, dass einige Elemente in allen Geschichten vorkommen die wir erzählen. Da Geschichten eine ganz zentrale Basis unseres Denkens sind, auch wenn wir über uns selbst nachdenken, könnten wir uns also Fragen, ob seine These auch auf unser Leben und/oder unser kreatives Arbeiten passen.

Deutlich verkürzt sieht Campbells Formel für "alle Geschichten der Welt" so aus:
Es gibt eine Person als Held*in. Diese bekommt irgendeine Form von Nachricht, durch eine*n "Herold*in", dass er*sie sich gegen ein Problem in der Welt erheben muss/kann; gegen einen Schatten. Dieser Schatten muss keine Person sein, sondern auch ein anderes Problem. Trotzdem bringt dieser Schatten Herausforderungen für den*die Held*in mit, in Form von den Wächter*innen. Um die Herausforderungen zu bewältigen, gibt es Lektionen für die Held*innen in Form von Mentor*innen. Und das ist es schon. Also, Campbell hat noch ein paar Bonus-Charaktere, aber die brauchen wir hier gerade nicht.

Wie hilft mir diese Geschichte meine eigene Arbeit zu betrachten?
Wir sind Kreativschaffende, die eine Motivation haben. Viele von uns wollen auch für ein bestimmtes Thema oder eben gegen ein Problem in der Welt stehen. Es gab einen Moment, wo wir Kunst als unser Medium entdeckt haben, ja uns vielleicht dazu berufen gefühlt haben. Aber wir stoßen auf Hindernisse, welche uns davon abhalten wollen, weiter zu machen. Was uns da helfen kann, sind eben Mentor*innen und/oder andere Verbündete. Aber wenn wir schon an anderer Stelle in dieser Erzählung unsicher werden, können wir uns darauf prüfen.

Wenn meine Held*innen-Reise meine Kunst ist, was ist mein Schatten? Welche Hindernisse habe ich? Welche Fertigkeiten muss ich entwicklen, um diese Hindernisse zu besiegen? Wenn ich nicht gegen meine Hindernisse ankomme, wo könnte ich Mentor*innen finden? Es ist eine gute Übung, sich selbst in diesen Monomythos einzusetzen und zu prüfen, wo wir vielleicht offen Fragen haben. Ich empfehle das mit Stift und Papier zu machen und für sich haltbar zu machen. Es ist eine gute Übung um Ziele und die aktuelle Lage zu überprüfen.

Und wenn wir etwas finden, dann können wir auch ableiten, wie wir uns als "Unternehmen" weiter entwickeln müssen. Weil wie in jedem Monomythos, in jeder Geschichte, reicht es oft nicht, wenn die Hauptperson nur eine einzige Sache kann oder verbessert. Oft gibt es viele Schrauben oder eine ganze Haltung, die sich nach und nach ändern muss. Und das kann eben beinhalten, dass ich auch kreativ Arbeite, wenn ich gerade nicht kreativ arbeite, sondern lese, lerne, material kaufe, podcasts höre, den brunnen fülle und so weiter

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