Jay träumt - "Write Club"

Unregelmäßig flackert eine Neonröhre direkt über mir. Geraucht wird und das Nebeldickicht schmeckt nach Filzstiften und Brennspiritus. Die anderen schwitzen mit den Wänden um die Wette, nur die Hände wischt sich jeder immer wieder trocken. Auf einem Haufen in der Ecke liegen Hemden und Schuhe, denn so sind hier die Regeln.
„Gentlemen, da Frischfleisch anwesend ist, verlese ich jetzt die Regeln!“

Erstens:
Niemand schreibt über den Write Club
Zweitens:
Niemand schreibt über den Write Club
Drittens:
Wenn einer nichts mehr vorbringen kann oder schwindet, auch wenn er es nur vortäuscht, ist der Kampf vorbei
Viertens:
Nur zwei sind in einem Kampf
Fünftens:
Immer nur ein Kampf
Sechstens:
Es wird ohne Hemd und Schuhe gekämpft
Siebtens:
Ein Text dauert so lange, wie ein Text dauert
Achtens:
Wer zum ersten Mal im Write Club ist, der muss lesen

Styler Durden. Der „Vorsitzende“ unseres Write Clubs, wenn man so will. Ich hab ihn eines Abend vor einer Kneipe sitzen sehen, wie er, mit Tinte überströmt, einen Text auf eine Serviette schmierte und ihn dabei aus sich raus brüllte. Ich weiß nicht ob er betrunken oder einfach nur besessen war, aber er hatte in jedem Fall Feuer in den Augen.
Ich habe selbst als Jugendlicher geschrieben, ich schmierte als Student Parolen an die Wände und jetzt schrieb ich nur noch ab und an kurze Sinnsprüche an den Rand der Tageszeitung im Büro.
Styler Durden bemerkte mich erst gar nicht, so sehr stand er im Text, er schrie und brüllte, kritzelte hin und her auf dem Papier und lief den Parkplatz auf und ab und fand kein Ende und dann sackte er einfach erschöpft zusammen. Als ihm der leichte Regen die Tinte einwenig aus dem Gesicht wischte, da konnte man sein Lächeln deutlich sehen. Ich weiß heute nicht mehr, was mich getrieben hat, als ich ihn fragte: „Kann ich auch mal?“
Jetzt stehen wir hier, im Keller der „Drunken Duck“, knietief in der Tinte und schmeißen uns unsere Texte um die Ohren. Wie schreien, keifen, brüllen und schlagen mit Wörter Löcher in die Luft. Wann immer der Text nicht gefällt, wirft das Publikum offene Tintenpatronen und Fässchen.
Hier geht es nicht darum, ein paar nette Zeilen zu schreiben, eine liebevolle SMS zu formulieren oder so einen Unsinn. Hier wird der schmierige triefende Rest Inhalt den das Leben vortäuscht zu haben wie Nasenschleim hoch gezogen und den anderen direkt ins Gesicht gespuckt. Was hier präsentiert wird, das ist das schimmelige Fell auf deinem Frühstücksbrot, dass du jeden Tag ist, einfach weil es auf der Unterseite des Brotes ist. Hier gibt es keine schönen Künste, kein traditionelles Gedicht. Sollen die ganzen angepassten Spinner nur zu ihren Lesungen und Bibliotheken gehen und sich alles schön anschauen und anhören. Die Wahrheit im Wort, die liegt hier und jetzt, wo Menschen aus dem jetzt erzählen, was sie jetzt fühlen. Die glauben Goethe, Kafka und wie sie nicht alle heißen, die hätten ihre Wahrheit geschrieben, lange bevor sie gelebt haben, aber in Wirklichkeit haben sie uns nur die Grundsteine gegeben, die werfen sollen.
Das Frischfleisch im Ring frisst reichlich Tinte, zeigt sich aber auch ausdauernd. Hat einen Text über irgendwelche Liebeleien und seine Freundin mitgebracht, damit gewinnt er sicherlich keinen von uns.
Nicht, dass wir das gute Leben nicht kennen würden. Wir sind Bankangestellte, Studenten, Immobilienmakler, Devisenhändler, Lehrer, Selbstständige, Ingenieure, Bauherren, Polizisten, Politiker. Wir leben nicht auf der Straße und kratzen das Restgeld aus dem Rinnstein, nein, wir leben gut. Aber wird spüren einen inneren Drang. Den Wunsch etwas zu zerstören und uns zu bestrafen. Wenn die anderen den ganzen Tag weinen, wo es nichts zu weinen gibt, da nehmen wir unsere Stifte und freuen uns auf den harten Tintenregen im Write Club.
Styler Durden redet in letzter Zeit von Größerem. Er hat erzählt, dass nach und nach überall Write Clubs aufkommen. Er hat dann wieder diesen Irrsinn im Blick, wie bei unserem ersten Treffen. Er sagte irgendwas von „Zeitungen zerschlagen“ und „Blogosphäre bombadieren“. Klang spannend. Die Leute aus ihrem zu weich gebetteten Kopfkissen heraustreten. Das Elend nicht auf der Straße, sondern in den Köpfen aufzeigen. Radikaler werden.

Diesen Traum träume ich solange weiter, bis die erste Bibliothek explodiert. Als ich zu mir komme, bin ich nassgeschwitzt und panisch. War ich das alles? Sind das meine Wünsche?
Es ist Blut geflossen, Menschen waren radikal und losgelöst in ihrem Zorn. Aus der Schreiberei wurde intellektuelle Gewalt. Will ich so was? Sehen so meine Träume aus?
Nein.
Oh nein.
Nein.
Ich renne zum Spiegel und will nur eines wissen:
Bin ich Styler Durden?

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