Ich Könnte Eventuell Auch...

...oder: Wer ich einmal sein könnte II


"Chef, kann ich Pause machen? Es ist gerade nichts zu tun." Ich muss meinen jungen Kollegen leider korrigieren: "Es ist immer etwas zu tun Aster, immer." Gosa Aster ist der Neue in meiner Truppe. Wirkt noch ziemlich verschlafen, aber sonst ist er ein ganz helles Kerlchen. "Lass uns noch eine Runde gehen und dann ist eh für heute Schluss." Missmutig drücke ich meine Zigarette aus, fülle noch eben meinen Munitionsgurt nach und packe meine Waffe in den Halfter. "Showtime.", geht es mir jedes mal über die Lippen und ich merke schon seit Jahren nicht mehr, wie albern das ist.
Das die Sicherheit kein kritisches Thema sei, dass hat man früher immer wieder gedacht. Man hat auf eine familienfreundliche warme Umgebung gesetzt. Das war ja auch nicht verkehrt, aber irgendjemand muss den kriminellen Elementen die diesen Frieden stören einen Riegel vorschieben. Natürlich muss man immer den schmalen Grad zwischen Diplomatie und unmittelbarem Zwang finden. Unser Chef ist auch der festen Überzeugung, die Diplomatie ginge vor, aber der sitzt auch in einem dieser Lederbürostühle und geht nur mal raus ins Feld, wenn sowieso gerade alles friedlich ist. Ein Tag Dienst an meiner Seite und der weiß wie hässlich es hier werden kann. Vorallem, wenn er heute dabei wäre.
Wir haben gerade erst einen Schritt aus dem Aufenthaltsraum getan, da geht es direkt los. Okay, kein Ärger, aber schon Arbeit. Pflicht am Bürger. Wir werden nach dem Weg gefragt und ob wir zufälligerweise einen Stift hätten. Eine der Taschen an meiner Cargohose ist voll dieser kleinen Bleistifte und die Region hier kenn ich in und auswendig. Alles kein Problem, bis hier ist noch alles Routine.
Bis zum ersten Checkpoint werden uns immer wieder Fragen gestellt, wir helfen wo wir können. Eine verdächtige vermummte Person wird uns von Kollegen gemeldet, aber es stellt sich heraus, dass der Mann auf der Bank nur eingeschlafen und in seine Jacke gesackt war. Wir kommen an der Versorgungsstation vorbei und riechen das gute Essen. "Chef?" - "Was denn Aster?" - "Willst du auch nach hause?" - "Komm Aster, reiß dich zusammen. Wir haben es ja bald geschafft.", sage ich in frohem Übermut doch dann kommt über die Lautsprecher die Durchsage, die alles ändern sollte.
"An alle Mitarbeiter, wir haben einen Code Fünfhundert im Smålland!" Aster und mir stockt der Atem. "Ich wiederhole ein Code Fünfhundert im Smålland!"
"LOS LOS LOS!", brülle ich  "Das verflixte Smålland ist auf der anderen Seite der Filliale!" Aster spurtet mir mit sorgenvollem Blick hinterher. "Chef!? Hatten sie schonmal einen Code Fünfhundert?"
Als es das letzte Mal einen Code Fünfhundert gab, da war der Sergeant noch hier. Sie war ein harter Knochen, hat trotz des Verbotes im Dienst geraucht und zwar Zigarre und obwohl der Chef sie mehrfach darum gebeten hatte, da es Kunden schwer gefallen war den Sergeant richtig an zu sprechen, hatte sie sich nie ihren Damenbart abrasiert. Der Seargent konnte alles, hat mit angepackt und hatte die Truppe im Griff. Nur Diplomatie, das hatte sie nicht. Als ich damals zu meinem Dienst kam, da wurde der Seargent von der Polizei abgeführt. Ich weiß noch wie verzweifelt ich war. "Du bist hier jetzt der Boss.", hatte sie gesagt und mir zärtliche ihre Zigarre in der Hand ausgedrückt. Warum sie verhaftet wurde? Code Fünfhundert kann dich verändern.
Aster und ich kreuzen unsere Laufwege, sichern an jeder Ecke. Im Lager schnappen wir uns die Deckel einiger Mülleimer als Sturmschilde und sprinten auf die Kassen zu. Wir springen über die Absperrungen, machen einen harten Turn nach rechts und rutschen noch vor dem Kinderkino in Sicherheit. Der Kollege, Karl Stad ist auch schon hier, allerdings ist er vollkommen verunsichert und verängstigt. "B-b-b-boss! Gut, dass sie hier sind." - "Was ist los? Wie weit sind sie schon?" - "I-i-i-ich weiß es nicht." - "Okay. Haben sie schon Forderungen gestellt?"
Code Fünfhundert: Übernahme des Smålland durch eine nicht gestattete Menge, paramilitärisch organisierte und noch viel schlimmer, clevere Kinder mit quengeligem Hintergrund. Häufig durch zu lange Einkäufe der Eltern ausgelöst. Übliche Forderungen: Freigabe aller Daim-Packungen, zusätzliche Bällchen ins Bällchenbad und ein Glas Cola.
Ich nehme einen Taschenspiegel aus meiner blau-gelbe Camoflagehose und versuche damit um die Ecke zu schauen. Pling! Und direkt fliegt der Spiegel aus meiner Hand. "VERFLIXT! Scharfschütze! Wissen wir wie viele Kinder da drin sind?" - "Nein. Nur, dass es mehr als Fünf sind.", gibt Stad zurück. Aus irgendeinem Grund keimt jugendlicher Leichtsinn in Aster auf. Blitzartig rollt er sich aus der Deckung und stellt sich seinen Schild vor. Wie ein Hagelsturm wettern bunte Kugeln auf ihn zu, doch schon im nächsten Moment rutscht Aster in Deckung, da ich ihn im Sprung zu Boden werfe.
"So wird das nichts Aster. Wir müssen klüger vorgehen." Stad staunt mit offenem Mund in unsere Richtung, allerdings eher wegen der immensen Menge an Bällen die immer noch aus dem Smålland geflogen kommen. Während ich besorgt zu Stad schaue, schaut Aster auf seine Uhr: "Es ist Feierabend Boss, ich geh dann jetzt." Ich greife Aster am Kragen seines IKEA-Hemdes und zieh ihn nah an mein Gesicht: "Du gehst überhaupt nirgendswo hin, wir bringen das hier jetzt zu Ende."
Mehrere Versuche mit den Besatzern in Kontakt zu treten sind gescheitert und damit auch all die Diplomatie, die unser Chef uns immer nahe bringen will. Trotzdem muss es einen Weg geben die Rabauken da raus zu bekommen. Der direkte Zugriff wird nicht funktionieren, denn wir dürfen uns ja nich offensiv bewaffnen. Das Ausrufen der Eltern hat bisher auch nicht viel genutzt. Und selbst wenn, was sollen die schon tun? Die sind bestimmt eh noch im Einkaufsrausch oder stehen mit ihren sechzig verschiedenfarbigen Kopfkissenbezügen noch an der Kasse. In so einer Situation gab es aus meiner Sicht nur noch einen Ausweg: "Wir lassen die Hunde los!", sage ich zu Aster. "Wir haben Hunde?"
Es vergeht etwas Zeit, bis wir das Material zusammen haben, aber dann läuft alles nach Plan. Wir schieben längliche Rollschränke, auf denen wir Tische seitlich aufgestellt haben vor den Eingang des Smålland. So können wir einem Großteil der Schüsse entkommen und haben genug Zeit unsere Geheimwaffe zu platzieren. Als wir uns in Sicherheit und unsere Barrikade zur Seite gebracht haben, da fällt kein einziger Schuss. Im Bällchenbad wird diskutiert. Ich versuche zu hören, was dort besprochen wird, verstehe aber kein Wort. Ich brauche aber auch nicht hören was gesagt wird, um zu wissen, dass es funktioniert, als nämlich die ersten Kinder auf ihren Socken heraus gelaufen kommen, da weiß ich: Dieser Code Fünfhundert ist gerade nochmal gut ausgegangen.

Als ich zu hause mein Feierabendbier trinke, da sehe ich durch Zufall den Schukarton mit den alten Notizbüchern von früher. Was ich nicht alles werden wollte, unglaublich. Jetzt bin ich Befehlshaber von ISAF (Ikea-Sicherheit-Aufbau-Front).
"Man, zum Glück habe ich dann doch noch was richtiges gelernt.", denke ich mir und trinke weiter mein Bier.

Kommentare

  1. Anonym27.10.10

    Ich kann nur meinen Hut ziehen vor Nightwind der hier Tommy Jaud Mannier seine Geschicchte verfasst. Ok vielleicht hinkt der Jaud Vergleich etwas, aber man sehe ees mmir nach

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  2. Sehr schöner Text. Ist die Idee dazu entstanden, als du dich durch einen IKEA quälen musstest?

    Vielleicht wäre das auch eine Idee für eine kleine Serie: Berufe anders interpretieren und mit etwas Fantasie ausfüllen.

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  3. Danke an Anonym. Ich bin erstmal froh über jede Kritik und jedes Feedback, unabhängig vom Vergleich. Ob das ähnlich wie Herr Jaud ist, das weiß ich nicht. Ich habe ihn nicht gelesen bis her.

    An den Hass:
    Ja, ich war bei IKEA. Nein, ich habe mich nicht geqäult. Es gibt "Code 500 im Smalland" tatsächlich. Der Text ist entstanden, als meine Freundin und ich uns gefragt haben, was das wohl zu bedeuten hat.
    Die haben bei IKEA noch ganz andere tolle Durchsagen. Mein Favorit bisher: "Lucky Luke in die Warenausgabe, Lucky Luke bitte."

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