Ende Gelände - Über einen Besuch im Klimacamp und über die Guten
Es gibt Dinge, in denen es mir schwer fällt das Gute zu sehen. Wenn meine Zahnärztin den Bohrer ansetzt uns sagt, „Wir probieren das erst mal ohne Betäubung, Frau Talalini!“
Wenn die Frau von der Thaimassage sagt,
„Keine Sorge, das muss so knacken!“. Wenn die entsetzlich gut
gelaunte Fitnesstrainerin ruft, „noch zwei, kommt schon! Noch
einen, super! Und nochmal acht!“
Ich mag das alles nicht so gerne. Da
bin ich ganz Wohlstandskind, ich schiebe den Zahnarztbesuch auf,
solange es geht. Ich mache keinen Sport, bis ich wieder von
jämmerlichen Rückenschmerzen heimgesucht werde und mich die Frau
bei der Thaimassage anguckt und ungläubig fragt, „Wie bitte? Sie
sind erst neunzehn?“ Dann merke ich schon, so ein Körper will
bewegt werden.
Am 13.08.2015 stand ich zum ersten Mal
in meinem Leben unter einem Windrad. Der Himmel war diesig verdeckt,
das Rad drehte sich schnell und war laut. Sehr laut. Wie das Röhren
eines riesigen Motors oder das Gebrüll eines sehr lauten schlecht
gelaunten brummigen alten Riesen. Ich stand auf dem Feldweg, den Kopf
in den Nacken gelegt und die Rotorblätter kamen nacheinander immer
wieder bedrohlich auf mich zu. Es war, als würden sie sich gleich
lösen und alles unter sich zermalmen. Als würde eine außerirdische
Spezies uns den Krieg erklären. Und ich übertreibe hier nicht. Wer
sich gerne fürchtet, auf Achterbahnen oder den Hamburg Dungeon
steht, der sollte seinen nächsten Ausflug zu einer Windkraftanlage
planen.
Ich musste mich mehr als ein mal daran
erinnern, das hier sind die Guten.
Dieses (mein erstes) Windrad steht mit seinen Kollegen auf einem Feld in Lützerath bei Erkelenz,
wo vom 07.-17.08.2015 das Klimacamp stand. Über tausend
Klimaaktivisten lebten dort auf nachhaltige Weise, um sich
weiterzubilden und in direkten Aktionen gegen den Klimawandel und
Umweltverschmutzung zu protestieren.
Dieses Jahr protestierten sie gegen den
Braunkohleabbau in NRW. Mit dem Bündnis „Ende
Gelände“ wollten sie die Bagger in Garzweiler bei
Erkelenz stoppen und den Tagebau besetzen. Die Polizei war mit ihren
Hundertschaften vor Ort.
Und wen will die Polizei da stoppen?
Das sind Menschen jeden Alters, Studenten, Familien mit Kindern,
ältere Leute. Das sind Menschen, die über einer
Woche zusammen in Workshops lehren und lernen über Kohleabbau, nachhaltige Alternativen, gewaltfreie Kommunikation, Kapitalismus und
anderer Wirtschaftsformen und noch viel mehr. Es wird zusammen gelernt,
Kunst und Musik gemacht und praktisch gearbeitet. Meine persönlichen
Höhepunkte sind die Solarzellen und das selbstgebaute Windrad, die
das Camp mit Strom versorgen, und die selbstgebauten Komposttoiletten
(andere gibt es auf dem Camp nicht), durch die verhindert wird, dass
wertvolles Trinkwasser oder Chemikalien für die Toilettenspülung
genutzt werden. Gegessen wird bio-vegan und die Campstruktur läuft
solidarisch und demokratisch. Die gelebte „bessere Welt“.
Aber sie wollen mehr als das. Und wer
gegen etwas protestiert, was ein großer Konzern macht, für den
wird’s gefährlich.
In Lützerath leben fast keine Menschen
mehr. Sie wurden umgesiedelt, damit auch dort nach Braunkohle
gegraben werden kann. Campteilnehmer Elias zeigte mir den Ort. Noch
stehen die Häuser. Aber sie sind leer. Ein Krankenhaus, eine Kirche,
Wohnhäuser, eine Bankfiliale, ein Briefkasten, Straßenlaternen –
alles unbewohnt. Wie eine Filmkulisse oder die Fassaden in einem
Freizeitpark. Ein letztes Fenster ist noch beleuchtet. Elias erzählt,
dass die Bewohner, wenn sie nicht da sind, ein Schild raus hängen,
„Dieses Haus ist noch bewohnt.“, um Diebe, die ein leichtes
Spiel erwarten, davon abzuhalten auch ihre Kupferrohre mitzunehmen.
Als wir eine Runde gedreht haben und wieder in Richtung Ortsausgang
schlendern, fährt ein Auto an uns vorbei. Irritiert starren uns die
beiden männlichen Insassen an. Wir gehen weiter und hören, wie das
Auto wendet. Wir blicken uns um, der Wagen folgt uns im Schritttempo.
„Das ist die Securityfirma.“, erklärt Elias. Wir bleiben stehen
und unterhalten uns. Das Auto fährt im Schneckentempo an uns vorbei.
Ich will schon freundlich winken, doch die Männer geben vor, uns
nicht zu sehen. Der eine hält sein Handy ans Ohr, der andere starrt
auf die Straße. Ich frage mich, ob man diese Strategie lernt, wenn
man Security-Mensch wird oder ob die beiden uns für bescheuert
halten. Als sie an der Straßenecke angelangt sind und wir immer noch
am gleichen Fleck stehen, beschleunigen sie und fahren davon. Wir
laufen weiter und ich versuche mir vorzustellen, wie der Ort bewohnt
aussieht. Wir sind keine zehn Meter gegangen, da kommt uns ein
Polizeiauto entgegen, wendet hinter uns und fährt noch einmal an uns
vorbei. „Ganz schön viel Aufwand dafür, dass das alles hier eh
bald platt gemacht wird.“, sage ich. „Warum haben sie nur geguckt
und nicht gefragt, was wir hier wollen?“
„Wahrscheinlich sehen wir zu harmlos
aus.“, sagt Elias.
Zurück im Camp, sucht eine junge Frau
gerade jemanden, der einen Führerschein hat. Einige Aktivisten
wurden festgenommen und müssen aus dem Gefängnis abgeholt werden.
Das Bündnis „Ende Gelände“ will
die Kohlebagger von RWE stoppen, da die Kohlelobby gegen den
Kohleausstieg arbeitet. Kohlekraftwerke verursachen riesige CO2-
sowie Schwermetall-Emissionen (Quecksilber). Folgen des
Braunkohletagebaus sind Luftverschmutzungen, Feinstaub, Zerstörung
von Wäldern (Hambacher Wald) und Orten,
Zwangsumsiedlung von Menschen, Bergschäden, Veränderung der
Grundwasserbestände (wenn Seen und Flüsse angegriffen werden,
zahlen übrigens die Steuerzahler die Hälfte der Renaturierung).
Trotzdem werden weitere Kohlegrabungen geplant. Nach einer Studie der
Umweltorganisation Greenpeace könnte Deutschland die Stromversorgung
jedoch auch ohne die Kohlekraftwerke gewährleisten.
Wenn „Ende Gelände“ in irgendeiner
Innenstadt gegen den Kohleabbau demonstrieren würde, wäre das
legal. RWE würde das dann im höchsten Fall mitbekommen, aber normal
weiterarbeiten.
Teile des Tagebaus oder die Bagger zu
besetzen ist illegal. „Ende Gelände“ argumentiert mit Berthold
Brecht: "Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur
Pflicht!" Über zivilen Ungehorsam kann man denken, was man
will. Aber ich fasse es einfach nicht, dass trotz des Wissens über
die Umweltzerstörung, trotz des Wissens über alternative
Möglichkeiten, Strom zu erzeugen, einfach weiter nach Kohle gegraben
wird, weil es sich rentiert.
Es ist absolut grotesk, dass Aktivisten
von der Polizei ins Gefängnis gebracht werden, während es absolut
legal ist, riesige Mengen CO2 in die Luft zu stoßen. Es ist legal,
Menschen aus ihrem Ort zu vertreiben, um Kohle abzubauen. Aber der,
der aufsteht und sagt, „Das ist nicht richtig!“, der kommt ins
Gefängnis.
Man geht nicht zum Zahnarzt, weil es
dort so besonders angenehm und schön ist. Man nimmt die kleinere
Unannehmlichkeit in Kauf, um bleibende Schäden zu verhindern.
Windkraftanlagen sind ganz schön gruselig, sie sind groß, laut,
aber sie richten bei weitem weniger bleibende Schäden an als
Braunkohle und Atomkraft. Proteste und Demonstrationen im laufenden
Betrieb sind immer teuer für die Wirtschaft, aber der Profit von
heute wird uns später teuer zu stehen kommen.
Und ich spreche hier nicht gegen die Polizei. Polizei ist wichtig für eine Demokratie. Ich spreche gegen die, die anordnen, gegen wen sich die Polizei wendet. Erinnert euch, wer die Guten sind.
Infos über das Klimacamp:
Infos über die Aktion „Ende
Gelände!“:
77 Tipps, wie man die Umwelt (und den
Geldbeutel) schützt:
Infos über die Rodung des Hambacher
Forst:
Die Greenpeace Studie zur Kohle:
Infos über Braunkohle:
Warum ist Quecksilber gefährlich?
Passend zum Thema, Kurzinfo TTIP:
Jetzt werden die Leute vom Klimacamp auch noch auf Facebook angegriffen für ihre Arbeit. Natürlich sind nicht alle zufrieden mit der Art oder der Wahl des Schwerpunkts des Protestes, aber wie kurzsichtig muss mensch bestellt sein, Braunkohle noch als gangbare Energiequelle zu sehen? Also Atom-Strom lasse ich ja bei den Argumentationen - trotz all seiner Gefahren - noch gelten, aber Kohle, Öl und was auch immer wieder da noch als "Wegwerfenergie" haben, kann doch wirklich niemand mehr ernsthaft haben wollen.
AntwortenLöschenIch muss ja sagen, dass ich nicht glaube, dass wirklich jemand unter den Windrädern leben muss und ich die Dinger sogar schön finde. Auch in großen Mengen. Einfach weil ich mir vorstelle, wie simpel es eigentlich ist, den ganzen Strom zu gewinnen. Ja, vielleicht auf kosten der malerischen Landschaft, aber das sagt eine Nationalität, die oben auf die höchsten Berge Almhütten mit Party-Bühnen baut.
Atomenergie ist leider auch nicht schön. Abgesehen davon, dass sie sehr gefährlich ist, wird zB das Uran in riesigen Tagebauten abgegraben, (inklusive massiver Umweltverschmutzung und Vertreibung + oft schlechtere Sicherheitsstandarts beim Abbau weltweit) und gleichzeitig ist Atomenergie Zwillings-Geschwisterkind der Atomwaffen-Industrie. Aber dass sie sich angesichts der langen Haltbarkeit des radioaktiven Mülls nicht als "Wegwerfenergie" bezeichnen kann, da stimme ich dir zu :)
AntwortenLöschenSchön ist sie natürlich nicht, aber sie ist eine aktuell vertretbare Zwischenlösung, da es die Kraftwerke und denn daraus resultierenden Müll halt auch schon gibt. Für einen schleichenden Ausstieg schon irgendwie okay, wenn halt auch nicht optimal.
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