Über

Der deutsche Philosoph Lukas Podolski wurde mal nach einem Länderspiel gefragt, ob er sich mehr ärgert, dass es nur eine Unentschieden gegeben hat, oder ob er sich mehr darüber freut, dass er das Tor zum Ausgleich geschossen hat. Er sagte darauf hin: "Am Ende überwiegt beides."

Überschuss. Überfluss. Übertreibung.

Wo immer das Wörtchen "Über" auftaucht, geht es darum einen statistisches Fehlverhältnis aufzuzeigen. Und wenn von einer Sache zu viel vorhanden ist, offenbart sich gleichzeitig der Mangel einer anderen. Wenn die Waagschale auf einer Seite herunter geht, muss sie auf der anderen hinauf. Einfache Physik.

Überfremdung.

Die Zuwanderung nach Deutschland nimmt zu. Selbst wenn sie es nicht in harten Zahlen tun würde, dann zumindest emotional. Die Debatte über Asylanten ist laut und unüberhörbar. Im Internet, im Fernsehen, auf der Straße. Die Angst einer kulturellen Invasion scheint groß zu sein. Aber wo immer das Wörtchen "Über" auftaucht, zeigt sich nicht nur was es zu viel gibt, sondern woran es mangelt. Und wenn Hunderte Flüchtlinge aus ganz diversen Kulturen gegen die Millionen (Ur-)Einwohner Deutschlands stehen und dann schon von Überfremdung die Rede ist, dann ist die Frage schon berechtigt, wie schwach die vorhandene Kultur zuvor gewesen sein muss, wenn die Waagschale sich so leicht verschieben lässt?

Einfache Physik.

Wenn Menschen ohne Mittel und Sprachkenntnisse wirklich im Stande sein sollen den Lebensstandard hier zu gefährden, müssen wir uns ja gesellschaftlich wie ein leeres Blatt präsentiert haben, dass nur darauf gewartet hat, dass es endlich mal beschrieben wird.

Überfremdung.

Fremd ist ja etwas, was sich unserem bisherigen Horizont entzieht. Etwas neues, unbekanntes. Überfremdung bedeutet also, dass zu viel neues aufkommt. Wenn Frau Merkel also 2014 das Internet als Neuland bezeichnet, dann war das Überfremdung. Und wenn sie 2015 mit LeFloid für Youtube ein Interview macht, dann hat sie sich scheinbar darum bemüht, möglichst viel über Neuland zu erfahren, damit es ihr nicht mehr fremd ist. Natürlich hätte Frau Merkel das Internet auch verbieten lassen können, weil sie Angst davor hat, aber scheinbar lag dort verborgenes Potential für sie.

Überfremdung bedeutet, wenn zu vieles unbekannt ist. Sprache, Kultur, Gesetze, Gepflogenheiten und Geschichten. Wenn ich also in ein anderes Land komme, bin ich überfremdet. Das macht nervös und ängstlich, zwei Gefühlslagen, in denen Menschen zu Übersprungshandlungen neigen. Hände reiben und schwitzen zum Beispiel. Und Nervosität steckt an.

Lukas Podolski hat einmal auf die Frage ob er sich mehr über sein Tor freut oder er sich ärgert, dass das Spiel nur ein Unentschieden geworden ist gesagt: "Am Ende überwiegt beides." Er konnte damals nicht ahnen, dass diese Auflösung des philosophischen Konzeptes "Oder" mal passend für die Debatte um Überfremdung ist. Denn ob es uns einfach an eigener Kultur mangelt oder wir nicht ausreichend bereit sind das Fremde uns bekannt zu machen, kann ich nur mit seiner Weisheit beantworten: "Am Ende überwiegt beides". Denn wenn wir aus Flüchtenden stolze Mitglieder einer gemeinsamen Kultur machen könnten, die diese bereichern, auffüllen und weiter tragen, dann sind es nicht nur Sie, die gewinnen.

Eine intelligente fortschrittliche Gesellschaft ist meines Erachtens nach eine, der nichts fremd ist. Das haben schon andere Kulturen vor uns erkannt. Egal ob Konstantinopel, welches heute besser als Istanbul bekannt ist, Timbuktu oder auch Alexandria, führten alle diese Städte ihre Nationen in goldene Zeitalter, welche durch die Offenheit gegenüber anderen Kulturen aufkeimten.

Diese Offenheit ergab sich übrigens dadurch, das Toleranz gegenüber anderen Nationen gut fürs Geschäft ist. Wie ironisch, dass wir uns hier ausgerechnet ums Geschäft durch ein paar Flüchtlinge so große Sorgen machen.

Und in dem bisschen, dass wir unsere Kultur nennen, hat nicht nur der Kölner Lukas Podolski, sondern auch die Kölner Sendung mit der Maus schon erkannt: "Wer nicht fragt, bleibt dumm." Wer sich also einschließt hinter dem Wohlstand und der Angst etwas gestohlen zu bekommen, wird offensichtlich dumm bleiben. Und wer dumm ist, dem steht nur selten die Chance offen, etwas besonderes zu leisten. Schon gar nicht für seine Kultur.

Und dann, dann stehen wir da, nehmen keine Flüchtlinge aufm haben Angst vorm Fremden, denken Syrien wäre Neuland und alle anderen um uns herum fragen sich: Hat Deutschland keine Gesellschaft oder sind die nur dumm?

"Am Ende überwiegt beides."

Kommentare

  1. Gut was du da sagst. Die Frage wie in Auffanglagern eingesperrte Flüchtlinge unsere Kultur "gefährden" oder "unterwandern" stellt sich sonst offenbar niemand. Oder auch nur, was unsere Kultur ausmacht, da haben wir auch schon seit Jahren nicht mehr ernsthaft drüber nachgedacht.

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    1. Ich glaube halt oft, dass wir uns wirtschaftlich globalisiert haben - Wo sich damals nicht ausreichend gegen gewehrt und Attac belächelt wurde - Aber dabei vergessen haben, dass durch diese Globalisierung auch eine kulturelle Globalisierung passieren muss. Und die funktioniert nicht, wenn alle in ihren geschlossenen Systemen bleiben, sondern wenn wir den Austausch beleben. Diese Kultur, eine der Neugierde, würde mir schon reichen.

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