How to Slam - Bühnenpersönlichkeit
Wrestling ist eine hochintelligente Performancekunstform. "Ist es nicht, Wrestling ist faker Unsinn und verstumpfende Gewaltverherrlichung!", sagst du jetzt und das ist vielleicht wahr, aber ganz sicher ein Vorurteil. Vorurteile sind aber gar nicht mal so schlimm, wir müssen nur einen Schritt weiter in die Tiefe gehen. Hinter einem Vor-Urteil liegt ein Urteil und das nutzt uns mehr. Dafür braucht es aber einen Prozess.
Warum bringe ich überhaupt Wrestling mit ins Spiel, es geht doch darum, wie Poetry Slam funktioniert? Die These, dass beide Kunstformen sich näher sind, als uns lieb ist, verfolge ich schon etwas länger. Was uns aber heute besonders interessiert ist die Arbeit mit dem, was im Wrestling als "Gimmick" bezeichnet wird, im Slam aber keinen eigenen Begriff hat. Ich nenne es für diesen Beitrag die "Bühnenpersönlichkeit".
Wenn wir auf die Bühne gehen, haben wir eine Mission. Die bringen wir uns selbst mit. Manche wollen unterhalten, andere einen Denkanstoß geben, wieder andere wollen beeindrucken. Um diese Mission zu erfüllen, haben wir uns bei einem Slam angemeldet, einen Text geschrieben und uns auch überlegt, wie wir das alles zusammen vortragen wollen. Wir versuchen begünstigende Faktoren für unsere Mission zu schaffen.
Wenn wir beim Slam auf die Bühne gehen, haben wir schon, ohne auch nur ein Wort gesagt zu haben, einen Eindruck gemacht. Unser Aussehen, unsere Kleidung, der Name mit dem wir anmoderiert werden, unsere Körperhaltung, unsere Bewegung und noch andere Faktoren wecken bei den Zuschauer*Innen einen Bekannten aus dem Intro: Vorurteile. Vorurteile sind aber grundsätzlich nicht schlecht, sie sind nur dann schlecht, wenn sie uns schaden. Wenn wir uns aber damit auseinander setzen, was wir auf der Bühne zeigen und sind, können wir damit unsere Mission unterstützen.
Die meiste Zeit sind wir einfach wir selbst. Wir tragen, was wir auch heute in der Uni oder Schule anhatten, viel mehr dürfen wir ja auch gar nicht mitbringen, denn Requisiten sind ja in der Regel verboten. Wir sind ja aber zum Glück nicht nur unsere Oberfläche, sondern auch unser Inneres. Deshalb sind wir oft nach einem stressigen Tag auch am Mirkofon ein bißchen matt, ja manchmal sagen wir sogar, dass heute "einer dieser Tage" ist. Damit lenken wir den Eindruck, den das Publikum von uns hat.
Im Wrestling ist diese Lenkung überdeutlich. Eines der berühmtesten Gimmicks ist der Undertaker. Er trug lange Mäntel, redete wenig, bewegte sich langsam, hatte hauptsächlich schwarze Kleidung an, war immer recht blaß und stellte eine mythische Figur da, die stark mit dem Tod verbunden sein sollte. Durch sein Auftreten als großer Dude, wirkte er zwangsweise sehr mächtig. Dadurch entstanden sofort Erwartungen, wenn die Zuschauer*Innen ihn erblickten, ja sogar, wenn nur seine Musik gespielt wurde. Die Person hinter dem Undertaker war aber mitnichten eine mythische Figur, sondern ein ganz okayer Dude, der gerne Motorrad fährt und zurückgezogen lebt.
Auch im Poetry Slam gibt es prominente Beispiele für Personen, welche ein fiktionale Bühnenperson bemühen. So ist Nico Semsrott über Jahre hinweg mit schwarzem Kapuzenpullover und langsamer Sprechweise zu einer überspitzen Version eines Vorurteils geworden. Er wirkt lethargisch und depressiv, was ihm beim Vortrag seiner Texte dann einen zusätzlichen Multiplikator auf seine Pointen gibt, welche sich ebenfalls mit diesem Thema beschäftigen.
Michael Goehre hat den Ruf des Metalbeauftragten der Poetry Slam-Szene. Da er selbst auch der Metal-Szene angehört, trägt er auch die subkulturellen Erkennungszeichen. Lange Haarpeitsche, Bandshirts und so weiter. Das hat ihm nicht alleine seinen Titel verschafft. Er nimmt Metal als Thema in Texten auf, bemüht Begriffe der Subkultur in seinen Texten. Dadurch ergibt sich ein stimmiges Bild, ein vollständiges Gimmick, wenn mensch so will.
Bedeutet dass, die Beiden sind fake, so wie Wrestler-Gimmicks?
Nein.
Es bedeutet, dass sie Entscheidungen getroffen haben. Sie haben sich entschieden, was sie auf der Bühne darstellen wollen und wieviel bzw. welche Geschichte sie schon erzählen wollen, bevor sie mit ihrem Text beginnen. Niemand ist besser, weil er oder sie ein Gimmick verwendet. Es wird dann zu einer nützlichen Fläche, wenn Bewusstsein entsteht. So kann es auch sinnvoll sein, Handlungen auf der Bühne zu vollziehen, die entgegen dem stehen, was die eigenen Vorurteile hergeben. Sprich: Es ist eine große Überraschung, wenn der Metal-Beauftragte der Slamszene aufeinmal einen Rap-Text macht. Das Vorurteil zerschlagen wird zum Teil des Erlebnisses.
Sich seines Gimmicks bewusst zu werden ist auch deshalb sinnvoll, weil es Selbstbewusstsein erzeugt. Denn auch ohne eigene Konstruktion eines Bühnencharakters, entsteht dieser bei den Zuschauer*innen automatisch. Das lässt sich auch nur schwer verhindern. Wenn wir eine Person sehen, vergleichen wir sie mit allem, was wir wissen. Daraus leiten wir ein Urteil ab. Wenn wir uns unserer Wirkung bewusst machen, gewinnen wir an Kontrolle auf der Bühne. (Wie immer gilt: Neutrale Beobachtungen sind der Schlüssel, nicht Selbstbewertungen.)
Natürlich sind Requisiten beim Slam nicht erlaubt, da der Text im Fokus stehen soll. Trotzdem wird die Entscheidung im Fussballtrikot, in einer Trainingsjacke, in Metalkutte oder ohne Kleidung (Hallo Jan Schmidt!) beeinflussen, was die Zuschauer*innen über uns denken. Ob wir Texte machen, die unsere Darstellung unterstreichen, ihr widersprechen oder damit spielen, vervollständigt dieses Bild. Wichtig ist es zu wissen, welche Person, welches Gimmick, welche Bühnenpersönlichkeit wir darstellen wollen.
Warum bringe ich überhaupt Wrestling mit ins Spiel, es geht doch darum, wie Poetry Slam funktioniert? Die These, dass beide Kunstformen sich näher sind, als uns lieb ist, verfolge ich schon etwas länger. Was uns aber heute besonders interessiert ist die Arbeit mit dem, was im Wrestling als "Gimmick" bezeichnet wird, im Slam aber keinen eigenen Begriff hat. Ich nenne es für diesen Beitrag die "Bühnenpersönlichkeit".
Wenn wir auf die Bühne gehen, haben wir eine Mission. Die bringen wir uns selbst mit. Manche wollen unterhalten, andere einen Denkanstoß geben, wieder andere wollen beeindrucken. Um diese Mission zu erfüllen, haben wir uns bei einem Slam angemeldet, einen Text geschrieben und uns auch überlegt, wie wir das alles zusammen vortragen wollen. Wir versuchen begünstigende Faktoren für unsere Mission zu schaffen.
Wenn wir beim Slam auf die Bühne gehen, haben wir schon, ohne auch nur ein Wort gesagt zu haben, einen Eindruck gemacht. Unser Aussehen, unsere Kleidung, der Name mit dem wir anmoderiert werden, unsere Körperhaltung, unsere Bewegung und noch andere Faktoren wecken bei den Zuschauer*Innen einen Bekannten aus dem Intro: Vorurteile. Vorurteile sind aber grundsätzlich nicht schlecht, sie sind nur dann schlecht, wenn sie uns schaden. Wenn wir uns aber damit auseinander setzen, was wir auf der Bühne zeigen und sind, können wir damit unsere Mission unterstützen.
Die meiste Zeit sind wir einfach wir selbst. Wir tragen, was wir auch heute in der Uni oder Schule anhatten, viel mehr dürfen wir ja auch gar nicht mitbringen, denn Requisiten sind ja in der Regel verboten. Wir sind ja aber zum Glück nicht nur unsere Oberfläche, sondern auch unser Inneres. Deshalb sind wir oft nach einem stressigen Tag auch am Mirkofon ein bißchen matt, ja manchmal sagen wir sogar, dass heute "einer dieser Tage" ist. Damit lenken wir den Eindruck, den das Publikum von uns hat.
Im Wrestling ist diese Lenkung überdeutlich. Eines der berühmtesten Gimmicks ist der Undertaker. Er trug lange Mäntel, redete wenig, bewegte sich langsam, hatte hauptsächlich schwarze Kleidung an, war immer recht blaß und stellte eine mythische Figur da, die stark mit dem Tod verbunden sein sollte. Durch sein Auftreten als großer Dude, wirkte er zwangsweise sehr mächtig. Dadurch entstanden sofort Erwartungen, wenn die Zuschauer*Innen ihn erblickten, ja sogar, wenn nur seine Musik gespielt wurde. Die Person hinter dem Undertaker war aber mitnichten eine mythische Figur, sondern ein ganz okayer Dude, der gerne Motorrad fährt und zurückgezogen lebt.
Auch im Poetry Slam gibt es prominente Beispiele für Personen, welche ein fiktionale Bühnenperson bemühen. So ist Nico Semsrott über Jahre hinweg mit schwarzem Kapuzenpullover und langsamer Sprechweise zu einer überspitzen Version eines Vorurteils geworden. Er wirkt lethargisch und depressiv, was ihm beim Vortrag seiner Texte dann einen zusätzlichen Multiplikator auf seine Pointen gibt, welche sich ebenfalls mit diesem Thema beschäftigen.
Michael Goehre hat den Ruf des Metalbeauftragten der Poetry Slam-Szene. Da er selbst auch der Metal-Szene angehört, trägt er auch die subkulturellen Erkennungszeichen. Lange Haarpeitsche, Bandshirts und so weiter. Das hat ihm nicht alleine seinen Titel verschafft. Er nimmt Metal als Thema in Texten auf, bemüht Begriffe der Subkultur in seinen Texten. Dadurch ergibt sich ein stimmiges Bild, ein vollständiges Gimmick, wenn mensch so will.
Bedeutet dass, die Beiden sind fake, so wie Wrestler-Gimmicks?
Nein.
Es bedeutet, dass sie Entscheidungen getroffen haben. Sie haben sich entschieden, was sie auf der Bühne darstellen wollen und wieviel bzw. welche Geschichte sie schon erzählen wollen, bevor sie mit ihrem Text beginnen. Niemand ist besser, weil er oder sie ein Gimmick verwendet. Es wird dann zu einer nützlichen Fläche, wenn Bewusstsein entsteht. So kann es auch sinnvoll sein, Handlungen auf der Bühne zu vollziehen, die entgegen dem stehen, was die eigenen Vorurteile hergeben. Sprich: Es ist eine große Überraschung, wenn der Metal-Beauftragte der Slamszene aufeinmal einen Rap-Text macht. Das Vorurteil zerschlagen wird zum Teil des Erlebnisses.
Sich seines Gimmicks bewusst zu werden ist auch deshalb sinnvoll, weil es Selbstbewusstsein erzeugt. Denn auch ohne eigene Konstruktion eines Bühnencharakters, entsteht dieser bei den Zuschauer*innen automatisch. Das lässt sich auch nur schwer verhindern. Wenn wir eine Person sehen, vergleichen wir sie mit allem, was wir wissen. Daraus leiten wir ein Urteil ab. Wenn wir uns unserer Wirkung bewusst machen, gewinnen wir an Kontrolle auf der Bühne. (Wie immer gilt: Neutrale Beobachtungen sind der Schlüssel, nicht Selbstbewertungen.)
Natürlich sind Requisiten beim Slam nicht erlaubt, da der Text im Fokus stehen soll. Trotzdem wird die Entscheidung im Fussballtrikot, in einer Trainingsjacke, in Metalkutte oder ohne Kleidung (Hallo Jan Schmidt!) beeinflussen, was die Zuschauer*innen über uns denken. Ob wir Texte machen, die unsere Darstellung unterstreichen, ihr widersprechen oder damit spielen, vervollständigt dieses Bild. Wichtig ist es zu wissen, welche Person, welches Gimmick, welche Bühnenpersönlichkeit wir darstellen wollen.
Am Anfang war ich davon überrascht, dass es hier einen Wrestling-Vergleich gibt. Beim Lesen war ich dann überrascht, dass der auch noch wirklich passend und gut ist. Vorurteile zu haben, kann man nicht so recht abschalten. Aber, sich überraschen und vom Gegenteil überzeugen zu lassen, statt es zu behalten, kann viel Spaß machen. Wie mir in diesem Moment. Und jetzt möchte ich unbedingt herausfinden, ob Michael Goehre tatsächlich mal einen Rap-Text gemacht hat! XD
AntwortenLöschenJa, die Vorurteile gegenüber manchen Formaten sind groß, aber ich glaube als Personen die Kunst machen sollten wir uns darin üben, Vorurteile abzubauen und zu überprüfen. Denn jede Sache die wir von vorne herein irgendwie ausschließen, ist auch eine Chance die uns entgeht, bei der wir etwas neues lernen könnten. Ich bin in das Wrestling-Ding versehentlich reingestolpert, aber zu merken wieviele ich da eben früher nicht verstanden hatte und wieviel Tiefe das hat, hat mich auch wiederum motiviert in anderen Bereichen offenen und neugieriger reinzuschauen.
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