Kleiner Freund

Autor: Jay
Verfasst: 11.07.2009

Kleiner Freund

In meiner kleinen Kammer hocke ich über einem Buch. Es ist zwar Sommer, aber das Wetter verhält sich nicht entsprechend. Es ist zwar warm genug die Fenster weit geöffnet zu lassen, aber zu verregnet um draußen einen zufriedenstellenden Tag zu verbringen. So bietet es sich also an, ein wenig in längst eingestaubten Büchern umher zu blättern und einfach etwas zu "schmökern", wie man früher noch so gerne sagte.
Ich verirre mich in düsteren Horror-Wäldern und verlese mich in traurigen Gedichten. Irgendwie berühren mich diese Texte. Sie sind ängstlich und beschäftigen sich mit Liebe und Tod, mit Tod und Liebe. Ich versuche mich ein zu fühlen, aber nicht all zu tief. Nicht so, dass ich mich selbst in ihnen sehe. Ich versuche mir ein paar schöne Metaphern einzuprägen und mir einen guten Reim zu merken.
Plötzlich höre ich ein leises Geräusch. Ein Schlag gegen ein Regal, wo keiner hingehört. Von meinem Platz aus kann ich es nicht genau sehen, beuge mich etwas vor. Als ich um meinen Tisch zwinkere, da erstarre ich. Ob aus Ehrfurcht oder Überraschung, kann ich nicht unterscheiden.
Nachtschwarz sitzt dort ein ganz kleiner Vogel, sanft und zerbrechlich gebaut. Er schaut mich an und beobachtet mich, wie ich ihn anschaue und beobachte.
"Wie kommst du denn hier her, mein kleiner Freund?"
Er beantwortet meine Frage nicht, vermutlich ist er schüchtern oder es ist ihm unangenehm, erwischt worden zu sein. Da ist keine Spur von Angst in ihm zu sehen. Kein zitterndes Gefieder, keine nervösen Füße, ganz im Gegensatz zu mir. Ich erfriere in meiner Position, erstaunt und leicht verängstigt.
"Bist du nur zu Besuch hier? War es ein Versehen, oder wolltest du tatsächlich zu mir, mein kleiner Freund?"
Ich kenne mich nicht besonders gut mit Vögeln aus, merke aber seine ruhige überzeugte Art auf mich ausstrahlen. Ich fühle mich ihm unterlegen und lasse mich von seinem stahlharten Blick ins Sofa drücken. Ich verstumme und auch mein Atem wird ganz flach und leise. Wenn er etwas zu sagen hatte, dann wäre jetzt seine Gelegenheit.
Die Luft ist statisch, aber nicht geladen und die Zeit ist langsam, aber nicht ewig. Wir reden.
Ich sage ihm, dass er sich nicht fürchten braucht. Ich habe nicht im Sinn ihm etwas zu tun, ich möchte ihm nur helfen weiter zu kommen. Gerne würde ich noch etwas Zeit mit ihm verbringen, wie mit jedem guten Freund. Gerne würde ich ihn besser kennen lernen, mit ihm raus gehen etwas erleben, aber vielleicht sind unsere Welten dafür zu verschieden. Auch wenn meine Welt da draußen keinen Platz für ihn hat, die in meinem Herzen hat ihn.
Er sagt mir, dass er mich beobachten will und soll. Er will nur schauen wie es mir geht. Ich soll mich von seinem Gefieder nicht irritieren lassen und seinem jägerischen Blick, er ist kein böses Vorzeichen oder Omen, sondern einfach ein Freund. Er ist eine Sorge um mich, ein kleiner flüchtiger Gedanke an mich. So bald er genug gesehen hat, fliegt er wieder zurück in sein Nest. Er will die Antwort auf eine gedachte Frage sein.
"Ich verstehe, mein kleiner Freund."
Ich lächle ihn an. Meine Lähmung fällt von mir ab, wie ein Stein vom Herzen. Ich atme einmal ganz tief ein, als wäre ich gerade aus einer tiefen Höhle zum ersten Mal seit langem an das Tageslicht gekommen. Ich bin mir nicht sicher, aber mir ist, als würde er mich auch anlächeln. Zumindest hat er seinen Kopf etwas zur Seite gelegt.
Ich öffne ihm weit mein Fenster und biete ihm sowohl an frei zu fliegen um wieder sein zu hause zu finden, biete ihm aber auch an zu bleiben. Mein Nest soll ihm zur Erholung dienen, er soll wenigstens etwas Ruhe sammeln können, eh er wieder fliegen muss. Aber ich sehe, dass ihm nicht der Sinn nach Ruhe steht.
Ich beschließe es bei ihm zu belassen. Er ist so viel erwachsener als ich, da kann er selbst besser entscheiden, wann es für ihn weiter geht. Ich vertiefe mich wieder etwas in meinen Tag, habe aber immer etwas Raum im Augenwinkel, um zu sehen wo er ist. Immer irgendwie in meiner Nähe, aber nie einschränkend, nie beeinflussend.
Erst als ich spät am Abend auf meiner Bettkante sitze, da steht er am Fensterbrett. Nachtschwarz vor dem Sonnenunterganggefärbten Nachbarshaus wirft er einen letzten Blick auf mich. Er wünscht mir eine gute Nacht und sagt mir, ich soll mich nicht um ihn Sorgen. Er sagt mir, ich muss ihm keinen Platz in meiner Erinnerung schenken, gibt aber auch zu, dass er es trotzdem schön fände.
"Das mache ich, mein kleiner Freund. Du bekommst deinen Platz, kleiner Freund."
Erst als ich am nächsten Morgen etwas verspannt wach werde, merke ich, dass ich am geschlossenen Fenster geschlafen habe. Habe ihm hinterher gesehen und mich um ihn gesorgt, obwohl er es nicht wollte. Ich lächle und überdecke das Zwicken im Nacken mit dem wohligen Gefühl, da draußen einen Freund zu haben.

"Mach es gut, kleiner Freund."

Kommentare

  1. Sehr schön, aber du hast "da draußen" nicht nur einen Freund. ;-)

    Ein paar kleine Anmerkungen habe ich noch.

    Lies dir mal den 3. Satz durch ^^ und "jägerischen Blick" finde ich furchtbar von der Formulierung her.

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  2. Dunkelheit und trüb´ Gedanken,
    lassen Euren Blick wohl schwanken.
    Gesellig´ Geist der Ihr wohl seid,
    lebt ihr doch nicht in Einsamkeit.
    Viele Augen suchen Eure Werke,
    glaubt wie wir an Eure Stärke!

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  3. An Imperator und Falden:
    Ich möchte an dieser Stelle nocheinmal betonen, dass die Texte nicht zwangsläufig aus meinem Leben erzählen. Autor und Erzähler sind nicht ein und die selber Person.
    In meiner Vorstellung beim Schreiben des Textes hat mir nur dieses etwas düstere Gefühl besser gepasst, als ein fröhliches.
    Eure Freundschaftsbekundungen freuen mich zwar, aber überinterpretiert meinen Text nicht.
    Aber vielleicht bekommt Meadow genau deshalb den Zuschlag für den "Weg zum Text", damit ich sowas da mal eher erklären kann.

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  4. Yaaaaaaay! Weg zum Tähääääääääkst! :D

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