Runde 12 - 2
Ich taumle und fühle mich als müsste ich mich übergeben. Der Weg zurück in meine Ringecke ist unendlich lang. Ich spanne meinen Körper komplett an und verkrampfe. Ich darf jetzt nicht umfallen. Wenn ich das hier überstehe, dann kann mich nichts mehr aufhalten. Ich bin ein Boxer, ein Kämpfer und ich weiß es wird nie aufhören.
Es ist nicht so als hätte ich kämpfen wollen. Aber ich wollte schon immer irgendwie ins Rampenlicht. Früher habe ich dafür immer den falschen Weg gewählt. Doch dann habe ich echten Ruhm verstanden. Noch wichtiger, echtes Ansehen. Ich stieg an der Stelle von Freunden in den Ring, ich trainierte mit ihnen, stand ihnen einfach zur Seite oder forderte ihre Gegner für sie heraus. Meine eigenen Kämpfe wurden mir zunehmend egal.
So fand ich dann auch viele Freunde auf meinem Weg. Echte Freunde, etwas was ich vorher zwar dachte zu kennen, aber nie gefühlt hatte. Wir trainieren zusammen, helfen uns nach Niederlagen und bauen uns für kommende Kämpfe auf.
Mein Gegenüber, "Deimos", ein hinterhältiger Kerl. Flink, schnell, versteckte Schläge. Immer wenn ich denke, meine Deckung stünde perfekt, zerstört er sie oder schlägt so feste, dass ich mir meine eigene Deckung ins Gesicht drücke.
Ich wusste bis vor kurzem gar nicht, dass ich diesen Kampf hatte. Aber als der Kampf meines Vaters angekündigt wurde, folgte diese Ankündigung kurz darauf. Ein ungewohnte Situation. Normal trainierte mein Vater mich für diese Kämpfe, diesmal konnte er es nicht. Es ging zu schnell.
Der Trainerstuhl am Ring ist leer. Aber ich weiß was er sagen würde. "Bleib ruhig. Berufe dich auf deine Stärken." Er sagte immer ich wäre gescheit. Er war sogar der Überzeugung ich könnte ihn übertreffen. Und es machte ihn stolz.
Das hatte mich nie davon abgehalten von ihm zu lernen. Ich beobachtete, analysierte und hörte gut zu. Ich entdeckte Fertigkeiten an ihm, die er selbst nicht kannte und übernahm sie für mich.
Mein Gegner sieht mich in meine Ecke taumeln. Er wiegt sich in Sicherheit. Ein Blick über meine Schulter sagte mir das. Überzeugt lehnt er in der Ringecke und zwinkert mir zu. Ein schrecklich selbstüberzeugter Gegner. Unantastbar. Denkt er.
In all der Zeit wo ich für andere gekämpft habe, habe ich gelernt ihre Gegner zu analysieren. Ich habe auf ganz viele Details geachtet. Jetzt fühle ich mich so, als würde ich zum ersten mal kämpfen. Als hätte ich noch nie einen Gegner gehabt. Oder zumindest nie einen so starken.
In all der Zeit wo ich meine Gegner und die meiner Freunde analysiert habe, habe ich nie meinen eigenen Stil überprüft. Für meine Kämpfe bin ich stehen geblieben. Ich denke, der Junge der für seine Freunde kämpft und der, der jetzt im Ring stehen sind zwei verschiedene Personen.
Da ist dieser kleine Funke in meinem Kopf, der fragt ob ich nicht lieber gegen Charon und jemand anderes gegen Deimos hätte kämpfen sollen.
Deimos ist ein stolzer Gegner. Er fordert Respekt mit seinem Auftreten. Er ist eine dieser Erscheinungen die Aufsehen erregen. Aber kein angenehmes. Sein Aufsehen ist kalt und lässt dich Nähe suchen. Deimos ist dunkel, er ist das komische Geräusch in der Nacht, er ist das weinende Kind auf der Treppe, er ist das unsichere Gefühl in deinem Herzen.
Ich schließe meine Augen. Ich sehe einen wechselhaften Schatten der zu mir spricht. Es ist die Stimme aller Menschen die mir wichtig sind:
"Steh wieder auf. Es ist noch eine ganze Runde zu gehen."
"Du kannst gar nicht verlieren. Du hast diesen Gegner eigentlich besiegt. Er lächelt um seine eigene Angst zu überspielen."
"Denke nicht an dich. Immerhin ist es unser Interesse dass du gewinnst."
"Zweifel lähmt deine Arme. Befreie dich und schlage einfach voll zu."
Ich weiß nicht ob sie Recht haben. Aber dieser Gedanke hat gerade keine Bedeutung.
Ein rollender Donner zieht durch meinen Körper, Blitze schlagen in meinen Augen, Feuer brennt in meinen Adern. Ich führe meine Fäuste zur Stirn, setze sie wieder ab, und stelle sie offen vor meinen Körper.
Deckung hatte bisher keinen Zweck, also kämpfe ich von nun an ohne. Deimos, der Gott des Schreckens schaudert selbst. Ich gebe ihm nicht den Respekt den er fordert. Ich setze alles auf eine Karte und das ist nicht mehr sein Spiel. Er erkennt nicht ob ich bluffe oder nicht. Und ich erkenne es auch nicht. Denn es ist nicht mehr wichtig.
Meine Mutter sitzt gerade an einem anderen Ring und ist zerrissen im Herzen. "Ihre Jungs" kämpfen im Ring, aber sie kämpft noch härter außerhalb. Sie weiß nicht dass ich meine Deckung fallen lasse, sie rechnet mit dem genauen Gegenteil. Sie denkt ich verteidige fester und aggressiver. Vielleicht ist es besser sie in diesem Glauben zu lassen. All diese Kämpfe haben sie schon immer mitgenommen.
Die Menge, das Rampenlicht, der Ruhm, die Anerkennung, der Zuspruch meines Trainers, meines Vaters, die Erlösung meiner Mutter: All das könnte ich verlieren. Könnte. Werde ich aber nicht.
Es ist noch eine Runde zu gehen. Eine letzte Runde. Die ich für mich alleine kämpfen muss. Egal wie weit einen Zuspruch antreibt und unterstützt, egal wie gut es sich anfühlt seinen Namen zu hören. Aufstehen und zuschlagen muss man immer selbst.
Es ist noch eine Runde zu gehen. Eine letzte Runde. Ich habe keine Ahnung wie lange sie dauern wird. Mir ist es aber auch egal wie lange sie dauern wird. Diesen Ring hier werde ich nicht als gebrochener Mann verlassen.
Kurz fallen meine Augen zu. Ich sehe etwas an mir vorbei rasen. Vielleicht ein Auto. Der Kampf meines Vaters wird angekündigt. Luft riecht nach Blut, ein weißer Raum schmeckt nach Trauer und blitzende Augen sehen aus wie Hoffnung.
Es ist noch eine Runde zu gehen. Eine letzte Runde. Für mich fühlt sie sich an wie die Erste.
Ich taumle und fühle mich als müsste ich mich übergeben. Der Weg zurück in den Ring ist unendlich lang. Ich entspanne meinen Körper komplett und bäume mich auf. Ich kann jetzt nicht umfallen. Wenn ich das hier überstanden habe, dann kann mich nichts mehr aufhalten. Ich bin ein Boxer, ein Kämpfer und ich weiß ich werde nie aufhören.
Mein Schicksal ist der Ring und mein heutiger Gegner ist die Furcht.
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