Runde 12


Meine Beine fühlen sich wie Brei an. Ich glaube meine Rippen bewegen sich wie ein Windspiel und meine rechte Wange will die Flucht aus meinem Körper antreten. Irgendwie habe ich kein richtiges Körpergefühl mehr und bin müde. Aber ich muss weiter machen. Ich kann hier nicht aufhören. Der wichtigste Kampf meiner Karriere. Ich bin ein Boxer, ein Kämpfer und das schon mein ganzes Leben lang.
Es ist nicht so, als hätte ich kämpfen wollen. Eigentlich wollte ich immer nur ein einfaches ruhiges Leben führen. Eine kleine Familie, ein erholsames Heim, eine Hand voll Freunde. Mehr brauchte es nicht für mich um vollkommen glücklich zu sein.
Aber die Kämpfe hatten mich gesucht. In meiner Kindheit kamen sie zu mir, forderten mich heraus und gingen nie wieder weg. Mal hatte ich viel Zeit mich vorzubereiten, manchmal gar keine.
Diesesmal war es auch einer dieser unerwarteten Kämpfe. Es ist ja nicht so als würde ich ihnen ausweichen. Ich bin ein starker erwachsener Mann und die bisherigen Kämpfe haben mich nur besser gemacht. Und sehr hart. So vieles konnte mich treffen, ohne zu schaden. So viele konnten auf mich einschlagen, ohne mich unter zu kriegen.
Aber es ist diesesmal anders. Mein Gegner ist größer als ich, er ist unsagbar schnell und er ist stärker. Er ist mir in allen Belangen überlegen. Ich kann nicht sagen wie all das in ihm ruhen kann. Ruhen. Er war die ganze Zeit unheimlich ruhig und sein Gesicht nicht zu lesen. Seine Augenhöhlen sind unendlich tief und mindestens genau so dunkel. Ich bin mir gar nicht sicher ob ich überhaupt einmal seine Augen gesehen hatte.
"Bleib einfach stehen", schrie mir mein Trainer immer zu. Irgendwie sah er aus wie eine Mischung aus all meinen Brüdern. Sie waren auch Boxer. Einer hatte auch gegen meinen Gegner schon verloren. Es war einer der längsten Kämpfe die ich je gesehen hatte. Er war gut und kämpfte hart, aber es reichte leider nicht.
Ich würde mich jetzt gerne von Aussen sehen können um zu beurteilen wie gut ich mich schlug. Wobei, meine Verletzungen würde mich vermutlich nicht ermutigen.
Während mein Trainer auf mich einpeitscht werfe ich einen Blick übers Ringseil in die erste Reihe. Meine Frau sitzt da und macht eine zuversichtliche Geste. Aber ich durchschaue sie. Sie hat Angst und macht ein "lass mich nicht länger warten" Gesicht.
Mein Sohn ist nicht da. Er ist auch ein Boxer. Und er hat seinen eigenen Kampf zu bestreiten. Zeitgleich mit meinem. So kann es gehen im Sport. Wenn ich hier fertig bin werde ich mal schauen wie es bei ihm läuft. Sein Gegner heißt "Deimos".
Ich war mein lebenlang erstaunt über diese dämlichen Spitznamen für Boxer. Vorallem dass immer die anderen Boxer so dämliche hatten. Nun gut, mich nennen alle den "Bullenbeißer", da kann man drüber streiten ob der "cool" ist. Aber er flößt Respekt ein.
Mein Sohn, "Blitz". Hatte er von mir. Er ist schnell und gescheit. Blitz erschien mir einfach passend.
Mein Gegner nannte sich "Charon". Hatte ich irgendwo schon mal gehört. Von meinem Sohn. Irgendwas aus der Antike.
Er gab mir zu Beginn des Kampfes eine Münze und machte eine Wette mit mir: "Wenn du verlierst, legst du sie mir vor all deinen Freunden, Fans und deiner Familie unter die Zunge." Bevor ich mir überlegen konnte was er tun müsste wenn ich gewinne, schlug ich ein.
Er war ein komischer kalter Genosse. Und er war sich seiner Sache sicher. Das motivierte mich nur um so mehr. Ich mochte es der Außenseiter in einem Kampf zu sein. Den Gegner in Sicherheit wiegen und dann eiskalt um pusten. Keine Chance für einen weiteren Schlag lassen.
Die Pausen in diesem Kampf erschienen mir inzwischen noch länger als die Runden. Und sie kosteten mich auch fast mehr Kraft. In der Mischung von Adrenalin, Blut und Schweiß verfiel ich in den Pausen in seltsame Traumwelten. In den ersten Runden sah ich immer wieder für einen kurzen Moment etwas auf mich zu rasen, in den darauf folgenden dachte ich, ich wäre in einem weißen Raum an ein Bett gebunden.
"Lass dich davon nicht beeindrucken! Mach weiter! Hör nicht auf! Da geht noch mehr!" donnerte es den ganzen Kampf über aus meiner Ringecke. Würde mein Bruder da stehen, würde er wohl wollen das ich ihn räche. Seine Niederlage lindern. Der Familienname musste glänzen.
Der Gong zur letzten Runde läutet. Mein Gegner wartet auf mich in der Ringmitte. Er sieht dass mein Körper gebrochen ist. Und er schaudert, denn ich lächle.
Wenn ich jetzt verliere, weiß ich das meine Karriere vorbei ist. Alles ist vorbei. Aber ich muss nichts bereuen. Alles was ich getan habe, war gut. Oder ich war wenigstens darum bemüht. Ich denke ich war immer ein guter Mann, ein guter Vater und ein guter Freund. Aber, ich werde nicht verlieren. Nicht heute. Später vielleicht. Aber nicht heute.
Und er schaudert, denn ich lächle. Weil ich mir sicher bin. Der Sieg ist mir. Das ist seine Schwachstelle. Der Willen. Der Willen nicht aufzuhören. Weiter machen zu wollen.
Er wirkt unsicher und lässt sich treffen, treibt in seine Ecke zurück.
Ich sehe nur die Münze vor meinen Augen. Ich werde niemandem eine Münze unter die Zunge legen.
Ich höre Freunde meinen Namen rufen. "Hör nicht auf!", "Du kannst das schaffen!" , "Lass dich nicht unterkriegen!" Ich sehe sie nicht, ich erinnere mich gerade nicht an ihre Namen, aber ich weiß das es Freunde sind. Meine Besten.
Mein Körper fühlt sich besser an. Mein Willen trägt ihn vorwärts und schiebt wuchtig meine Fäuste in Charon, Den Fährmann über den Styx, der Wegbegleiter in die Unterwelt.
Das war es; daher kenn ich ihn.
Mit allerletzter Kraft presse ich meine Faust so tief es geht in sein Gesicht.

Wieder seh ich etwas auf mich zu rasen. Ich glaube es ist ein Auto. Dann wieder dieser weiße Raum. Meine Frau die mich ungeduldig wartend anschaut und mein Sohn der mit der Angst kämpft.

"Du hast es geschafft!" brüllt mein Trainer. Er umarmt mich und hat Tränen in den Augen. Charon liegt vernichtet am Boden. Als er sich hochpressen will, helfe ich ihm auf. "Wir sehen uns ein weiteres mal. Du gehörst noch nicht zu mir.", wispert er mir entgegen, nimmt seine Münze und legt sie sich selbst unter die Zunge.
Als er sich dann auflöst, geht mit ihm der Ring. Mein Trainer gibt sich als mein Bruder zu erkennen und ich verliere meine Gewissheit wo und was ich bin.

"Hör nicht auf.", "Du kannst das schaffen." , "Lass dich nicht unterkriegen." höre ich Freunde und Familie leise sagen.

Mich trifft der härteste Schlag meines Lebens.

Meine Beine fühlen sich wie Brei an. Ich glaube meine Rippen bewegen sich wie ein Windspiel und meine rechte Wange will die Flucht aus meinem Körper antreten. Irgendwie habe ich kein richtiges Körpergefühl mehr und bin müde. Aber ich muss weiter machen. Ich kann hier nicht aufhören. Der wichtigste Kampf meines Lebens. Ich bin ein Boxer, ein Kämpfer und das für mein ganzes weiteres Leben.
Mein Schicksal ist der Ring und mein heutiger Gegner war der Tod.



Anmerkungen:
Der Boxer "die Angst" wurde gegen "Deimos" ausgetauscht.

Kommentare

  1. Sehr tiefgründig und treffend für das, was Du gerade durchlebst, mein guter Freund.

    Auch wenn der "Kampf" nie zu Ende geht, so lange Du Freunde und Familie hast, die zu Dir halten, wirst du niemals wirklich verlieren.

    Hör nicht auf! Du kannst das schaffen! Lass dich nicht unterkriegen!

    Gemeinsam sind wir unbesiegbar.
    Nur wer sich aufgibt verliert!

    AntwortenLöschen
  2. Anonym19.9.08

    Hm. Ich möchte dir hier auch gerne Mut zusprechen, wenn diese Geschichte tatsächlich mit einem wichtigen Kampf in deinem Leben zu tun hat.
    Lass dich nicht kleinkriegen! Kämpfe!

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Anmerkungen? Fragen? Wünsche? Schreib gerne einen Kommentar. Ich schaue regelmäßig rein, moderiere die Kommentare aber auch, also bleibt nett.

Vielleicht auch spannend: