Saisonvorbereitung Teil 2

24.08.2011 Charityslam in Gelsenkirchen
oder: Wo sich Hund und Slammer "Gute Nacht" sagen

Der Meyer, bekannt als Moderator und Organisator der "C@fe42"-Slams in Gelsenkirchen, hatte mit seinem Team die tolle Idee, das lokale Tierheim zu unterstützen. Einem Zeitungsartikel zu folge waren dort äußerst viele Katzen untergekommen in der letzten Zeit, mehr als das Tierheim problemlos versorgen kann. Also entwarf das Team den "Charityslam" zu Gunsten des Tierheims oder besser gesagt, der Tiere, denn der Eintritt wurde in Form von Katzenfutter kassiert: Zehn Dosen minimum.
Jens Krüger
Ich hatte sowieso nach Terminen gesucht, an denen ich mich auf die kommende Saison vorbereiten kann, die in meinem geistigen Kalender nach der deutschsprachigen Meisterschaft startet. Ein guter Zweck für die Katzen, einer für mich, der Slam in der Nachbarschaft angesiedelt und einen geschätzten Kollegen, Jens Krüger, konnte ich auch überreden an dem Abend mitzumachen.
Warum habe ich ausgerechnet Jens überredet? In Köln im Jahresfinale hat er einen Text gebracht "Der verkaterte Stiefel", den ich zum einen extrem witzig finde und der zum anderen natürlich perfekt in diesen Slam passte. Jemand anderen brauchte ich nicht überreden, den mit Andre, Dunja, Ilja, Maschi, Sarah Latza, Felix Krull und auch Johannes Floehr war die typische Gelsenkirchen-Truppe schon versammelt. Sascha, der auch zumindest schon mal in Gelsenkirchen war, ergänzte das Feld und abschließend kam auch Torsten Sträter. Letzteren kann man guten Gewissens als einen der "größeren" Slammer nennen. Zumindest war mir der Name schon oft begegnet, wenn von Gewinnern gesprochen wurde.
Die Atmosphäre war von Anfang an sehr gut, die Location, die Cafeteria des Tierheims, natürlich nicht perfekt auf Bühnenprogramm eingestellt, aber die Vorfreude war offensichtlich sehr groß. Zudem gab es mit Tommy Klapper auch tolle musikalische Begleitung des Abends. Trotz sehr trockenem Neonlicht, kündigte sich also ein guter bis sehr guter Slamabend an, bei dem, mit erfahrenem Personal eigentlich nichts schief gehen konnte.

Schief gegangen ist dann auch nichts, aber als vorgestellt wurde, wie das Publikum Punkte vergibt, da machte sich bei mir leise Zweifel bemerkbar.

Der Streit darüber welches Abstimmungssystem das Beste ist, ist groß, lang und unlösbar. Einige schwören darauf, das es Abstimmungszettel gibt, die in einer Pause ausgezählt werden, andere geben an ca. Fünf Zuschauer Punktekarten aus, die dann, ähnlich einem Tanztunier damit bewerten können. In Finalrunden sind auch Applaus-Lautstärke-Abstimmungen sehr beliebt, jeglicher Ungenauigkeit zum Trotz. Es gibt noch einige weitere Varianten, von wissenschaftlich bis äußerst abenteuerlich ist für jeden etwas dabei.

Hier sollte es nun also, zum einen, eine Jury aus dem Publikum geben die von 1 (ganz schwach) über 7,5 (Nicht schlecht, nicht toll) bis hin zu 10 (großartig) Punkten vergeben durfte, dabei aus fünf Personen bestand und zusätzlich aber auch einen, per Dezibelmessgerät eingefangenen, Applausometer. Aus der Fünf-Personen-Jury wurden dann immer noch die schwächste und die höchste Punktzahl gestrichen, wegen der Durchschnittsbildung, die sich dann aber wieder erübrigt hatte, da der Dezibelwert einfach aufaddiert wurde.
Man muss jetzt kein Profi im Zwischenzeilenlesen sein, um zu merken, dass ich kein besonders großer Fan von diesem System war. Kritik in aller Kürze: Applausometer können nur dann funktionieren, wenn man im gleichen Abstand den ganzen Raum erfassen kann. Sollte der Applaudierende in Mikrofonnähe nämlich besonders schallfreudige große Hände haben, zählt seine Meinung mehr, als die der zarten Klatscher, die am anderen Ende des Raumes sitzen. Funktioniert auch anders herum.
Da das Mirkofon aber eh für alle am gleichen Ort stand, vor gleichem Publikum und mir auch niemand mit Fussballtorwarthandschuhen aufgefallen war, dachte ich mir: "Was soll's. Probieren kann man alles."

Johannes Floehr, Hobby-Gelsenkirchner
Wenn man seine Bühnenkollegen schon öfters gesehen hat und ergänzend mit einem ganz brauchbaren Gedächtnis beschenkt/bestraft ist, dann konnte man merken, dass irgendetwas an dem Abend nicht stimmte.
Die Tierheimwitzmechanik zwingt mich zu sagen: Die meisten Slammer wirkten verkatert.
Johannes Floehr, der einen neuen Text ausprobierte, musste selbst, unter Lachen, mitten in seinem Auftritt sagen: "Was für ein Scheiss-Text"; was ich im übrigen nicht teile. Maschi versuchte sich ebenfalls an ganz neuen Texten, die aber auch seiner üblichen Qualität hinterher standen. Ilja brachte ein Tagebuch über Darth Vader, was gut, aber auch nicht sein üblicher Standard war. Jens schien vom Sträter eingeschüchtert und verhaspelte sich öfters, was ich so auch nicht von ihm kannte. Ich selbst kann mich davon aber nicht frei machen, bin ich doch mit viel zu schnellem Lesen an meine Wurzeln zurückgekehrt. Auch Sascha, den ich als schwungvoll in Erinnerung hatte, schien nicht ganz in Fahrt zu kommen.
Zusammenfassend: Viele von uns wirkten entweder verunsichert oder auch müde. Ursache: unbekannt, aber die Lektion hier ist: Auch PoetrySlam hängt ganz stark von der Tagesbestform der Beteiligten ab.
Bevor jemand jetzt denkt, ich hätte alle(s) schlecht gefunden: Es war ein toller Abend, aber man muss auch einfach mal auf hohem Niveau meckern dürfen.
Etwas kritisch wurde es für mich, als Sarah ihren Mädchenabendtext vortrug. Der Vortrag war sehr unterhaltsam und hatte Sex als Thema, was so offen auf Slams meist ein Tabu ist, aber da sie als Stilmittel in ihrer Kurzgeschichte ein Buch verwendete, aus dem sie scheinbar zitierte, war es nur schwer zu erkennen, ob der Text nun Eigenleistung war oder hauptsächlich zitiert. Ich gehe davon aus, dass es eine Eigenleistung war, denke aber, dass diese stilistisch noch heftiger betont werden muss.
Eine Kleinigkeit, die aber nur mich störte, war zusätzlich die Tatsache, dass einige Slammer auch während der Auftritte (nicht der eigenen) draußen saßen und sich laut unterhielten. Ich verstehe, dass man sich irgendwann nicht mehr alles bei voller Konzentration anhören kann und will, aber dann sollte man wenigstens Störgeräusche vermeiden.  
Was haben all die bisherigen Punkte gemeinsam: Dem frischen Publikum, das nicht Teil der Szene ist und noch nicht so intensive Berührungen mit den Künstlern hatte, sind diese Dinge nicht aufgefallen. Außerdem war der ganze Abend für eine äußerst gute Sache, daher kann man mein ganzes Genörgel auch getrost vernachlässigen.

Sträter, der
Außerdem hatte der Abend auch absolute Highlights zu bieten und da meine ich noch nicht mal den Hassausbruch meiner Freundin, die sich bei einigen Slammern über die Publikumsjury vergangener Veranstaltungen auslies. "Eigentlich müsste man eine Jury einrichten, die die Jury bewertet."
Torsten Sträter auf der Bühne sehen zu dürfen, stellte sich sehr bald als Ehre heraus. Nicht, dass er besonders lyrisch oder sprachgewaltig gewesen wäre in seinen Texten, nein, er war einfach gut. Neben dem Text sind auch Performance und Natürlichkeit wichtig und beides brachte der Sträter sehr gut rüber. Seine Prosa wirkte nicht ausgedacht und sein Auftritt, als würde er es dir auch privat genau so erzählen. Gesegnet mit einer angenehmen Sprechstimme und tollem Humor, hat er sich den Sieg an dem Abend locker einstecken können und das war auch sehr verdient.
Mein Favorit war aber Felix Krull. Habe ich ihm in meinem letzten Abschnitt des Slamtagebuch noch Unreife zugesprochen und vermutet, dass er seinen Stil noch nicht gefunden hat, stand da dieses Mal fast schon ein anderer Felix auf der Bühne. Ein sicherer Auftritt mit gedankenreichen Texten, die sich Bildern bedienten, die nicht zu abgehoben sind. Daran kranken emotionale Texte nämlich sehr oft, das sie zu bunt und überfüllt sind mit Metaphern. Felix nahm nur das was er brauchte um in den Köpfen des Publikums anzukommen. Selbst wenn er Strophen neuansetzen musste, denn er trug frei vor, wirkte das beabsichtigt. So war es nur passend, dass bei seinen Texten die Hunde des Tierheimes an den passenden Stellen laut heulten.
Der neulich erwähnte Text über die Busfahrt war auch wieder dabei, klang aber plötzlich ganz anders: stärker, intensiver und vor allem: echter. Nach der ersten Runde habe ich Felix dann ganz genau beobachtet, denn ab jetzt gilt es für mich von ihm zu lernen.
Zu dem gilt mein Respekt Dunja. Sie hat einen anspruchsreichen Text vorgetragen, über den Verlust unserer Bindung zu Büchern. Inhaltlich war es ein sehr starkes Stück und literarische Vorkenntnisse waren in jedem Fall hilfreich. Leider war der Text nicht besonders bühnenfreundlich, wurde zum Glück und zu Recht aber von einem fairen Publikum sehr gut bewertet. Trotzdem erinnerte er mehr an einen Artikel einer Fachzeitschrift oder auch einen Kommentar im Kultursegment einer Zeitung. Das ist natürlich nichts schlechtes, ganz im Gegenteil, ich wünsche mir mehr Texte mit Kritik und Bildungsauftrag auf unseren Bühnen.

Ein großes Kompliment muss man dem Publikum aussprechen, das sich dann insgesamt Vier Stunden Programm angesehen hat, bei nicht nachlassender Begeisterung für die Poeten und den Abend. Unabhängig von dem seltsamen Abstimmungssytem, welches übrigens im Laufe des Abends noch verkleinert wurde auf die Jury, hat das Team vom C@fe42 hier einen besonderen Abend geschaffen und absoluten Respekt verdient. Für die gute Sache: sehr sehr gerne wieder, und auch so: gerne wieder, ist mein nächster Slam im Kalender doch auch im C@fe42 in Gelsenkirchen.

Kommentare

  1. Ein sehr schöner Bericht, lieber Jay. Gefällt mir wieder sehr gut, da du erneut sehr offen berichtest. Ich wäre gerne dabei gewesen; insbesondere weil ich die Vorträge des guten alten Tosten Sträter sehr mag.
    Ich freue mich schon auf den WestStadtSlam.

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  2. Ich gebs ungern zu: aber das ist zu meiner Schande der erste Post übers Slammen, den ich komplett gelesen hab. Trozdem (oder vielleicht grade deswegen) würde ich mir das gerne mal anschauen. Mal dabei sein. Machst mich neugierig.

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  3. An den Träger:
    Danke sehr. Ich habe immer die Angst, offen und ehrlich, wäre gefährlich.
    Ich freue mich auch sehr sehr sehr darauf und bin sehr aufgeregt. Von der WestStadtStory werde ich hier demnächst auch noch erzählen.

    An Madse:
    Das ist auch überhaupt nicht schlimm, denn ich erwarte nicht, dass da jeder meine Begeisterung teilt. Wenn ich jetzt neugierig machen konnte, dann freut mich das aber natürlich.
    Also auch in deinem weiteren Umfeld gibt es einige Slams. Da kannst du am besten die Karte oder den Kalender bei www.myslam.net bemühen, falls du dir das anschauen möchtest.

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  4. TheMeyer/C@fe-426.9.11

    Wow, wieder mal ein schonungslos ehrlicher Bericht. Aber ich bin begeistert. Ja das Abstimmungssystem krankte etwas, das gebe ich zu, wir hatten die Idee, neben der Jury das restliche Publikum einzubinden ohne langwierige Abstimmung, nun was soll ich sagen: Gescheitert, trifft es.
    Aber da das ja nicht unser normales C@fe-42 Abstimmungssystem ist, bin ich weder besinders enttäuscht noch frustriert. Der Grund für dieses Abstimmungssystem an dem Abend war auch, das sich viel mehr Leute angekündigt hatten als Zuschauer, als letztendlich anwesend waren. Bei angekündigten 150 Personen dauern bestimmte Systeme einffach viel zu lange, aber es waren ja "nur" 95 Personen anwesend.
    Wie auch immer, wer uns kennt, weiß das wir aus solchen Dingen immer etwas lernen im C@fe-42.
    Ansonsten möchte ich Jay´s Bericht nur um eine Sache ergänzen:
    Jürgen Ludwig vom Cenarius-Verlag hat noch einen TExt gelesen, da er mit seinem Büchertisch mit dabei war, um 20% der Einnahme des Abends an das Tierheimzu spenden.
    Im Großen und Ganzen war es ein anstrengender aber schner Abend.
    Am 09.09,. geht es mit einem normalen Slam im C@fe-42 weiter

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  5. Schön und anschaulich wie immer. Das Veranstaltungsgefühl fängst du immer so gut ein, soweit ich das aus meiner spärlichen Lesungserfahrung beurteilen kann.

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  6. An den Meyer:
    Danke für die Ergänzung. Den guten Herren hatte ich tatsächlich ausgespart, mea culpa.
    Aber mit deinem Nachtrag ist der Bericht nun ja vollständig.
    Ich verstehe ehrlich gesagt nicht ganz, woher diese Wahrnehmung des "schonungslosen" kommt. Gehe ich zu weit? Bin ich zu offensiv? Spreche ich etwas an, was sonst nicht angesprochen wird?

    An Citara:
    Danke sehr. Wenn es gelingt mit einem Bericht ein Gefühl einzufangen, dann habe ich mehr erreicht, als geplant war. Freut mich sehr.

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