Erzfreunde

Ich habe bis heute nicht herausgefunden, woran es liegt und ob es nur an uns Jungs liegt, aber ich habe den Eindruck, wir suchen den Wettbewerb. Ob vom Schulhof, wo es noch darum geht wer den stärksten Schlag austeilen kann, bis hin zum erwachsenen Alter, wo wir an Ampeln mit der Beschleunigung spielen, um entweder den anderen im Tempo zu überbieten oder ihn durch Provokation zur Tempoüberschreitung im Blitzergebiet zu bringen, einem Wettkampf gehen wir nur selten aus dem Weg.
Und wer jetzt schon behauptet, er wäre frei von so etwas, der macht ja auch nur den Wettkampf auf, wer einem Wettkampf am längsten widerstehen kann.
Einige von uns kämpfen um sich messen zu können, um einschätzen zu können, wo sie in den verschiedensten Ranglisten stehen. Andere sind, vielleicht durch Geschwister, den Wettkampf einfach gewöhnt. Diese Wettkämpfe sind die eine Sache, aber irgendwann kann so etwas ein höheres Niveau erreichen.

Ein alter Schulfreund von mir, nennen wir ihn mal Bert, und ich, wir haben uns auf dieses Niveau begeben. Anfänglich war es nicht so, von der fünften Klasse an kannten wir uns und waren mal sehr gut und dann wieder gar nicht befreundet. Nun, was man als Kind so Freundschaft nennt. Ähnlich wie der Wechsel zwischen Eiszeit und Wärmezeit, verändert sich die Dauer dieser Freundschaft und nicht-Freundschaftabschnitte.
In den Zeiten, die wir zusammen verbracht haben, sind wir immer zu gemeinsamen Hobbies zusammen gekommen. Ob es anfänglich mit Lego spielen, später Videospiele spielen und dann irgendwann in die Kneipe gehen war, wir hatten eigentlich immer gute Zeiten. Erstaunlich, denn meiner vorhergegangenen These folgend, haben Bert und ich uns gerne gemessen. Und das bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
Wer baut das coolere Raumschiff, wer ist besser bei Magic, wer hört die bessere Musik und so weiter. Wenn wir beide innerhalb einer Disziplin nicht gleich gut waren, dann glichen wir uns auf anderer Ebene aus. Er ist der bessere Taktiker, ich habe den größeren Ehrgeiz und so könnte man die Liste ewig weiter führen.
Wir haben uns gerne gemessen, denn einen Kontrahenten auf Augenhöhe zu finden, das ist nicht nur eine Last, sondern auch ein Luxus. Die Ungewissheit, wer bei einem Duell, egal auf welcher Ebene, als Sieger hervorgeht, gibt jedem Spiel einen besonderen, äußerst hohen Reiz.
Vor allem wenn es dann zu unserer Königsdisziplin kam, den Beat'em-ups auf Spielkonsolen (Street-Fighter, Soul Calibur und diverse Vs.-Titel seien genannt), kamen unsere Duelle zu einer heftigsten Intensität. Egal wie viele Partien wir in Folge spielten, es war immer ausgeglichen und unentschieden. Jeder hatte seine Lieblingsfiguren, es begegneten sich immer die gleichen Teams und trotzdem war kein Duell gleich. Wir hatten unsere eigene Sprache etabliert in der "Käse" und "unsichtbare Energie" feststehende Fachbegriffe wurden. Zugegeben, wir haben nicht auf Weltklasseniveau gespielt, aber innerhalb unseres Freundeskreises waren wir die Weltklasse.
Auf der Spitze unserer freundschaftlichen Spielerfeindschaft, wechselten wir plötzlich die Strategien, spielten mit anderen Figuren und schlimmer noch, wir begangen die Spielfiguren des Feindes zu verwenden. Trotzdem ändert sich nie etwas an dem Gleichgewicht. Ob wir uns auf einander festgespielt hatten und keiner besser wurde, da wir immer nur gegen uns spielten war nicht relevant. Es ging schon lange nicht mehr ums Siegen, sondern hauptsächlich um den Kampf.
In anderen Bereichen waren wir oft gleicher Meinung, haben es sogar ein Weilchen geschafft eine halbwegs funktionierende Wohngemeinschaft zu betreiben. Wir waren vielleicht nicht die besten Freunde, aber Freunde in jedem Fall. Durch den heftigen Wettbewerb, der so leicht und schnell zwischen uns entflammte entstand bald für mich der Begriff "Erzfreund".
Das Leben geht weiter, die Menschen verändern sich und ich wurde zu einem Menschen, den Bert nicht mehr (er-)tragen konnte. Unsere WG löste sich auf, wegen unterschiedlichster Verfehlungen auf meiner Seite und unsere Freundschaft bewegt sich nun wohl eher wieder auf eine Eiszeit zu, diesmal aber eine längere.
Meine Begeisterung für Beat'em-Ups ist immer noch sehr groß, aber zuletzt merke ich, dass sie gebremst ist. Es gibt keinen mehr in meinem Umfeld, der mir das Wasser reichen kann in diesen Spielen. Ich spiele wenn gegen den Computer, welcher oft zu leicht ist, oder online gegen Spieler, die der echten Weltklasse angehören und mich unbeeindruckt und unkommentiert wegkämpfen. Den Rivalen auf Augenhöhe gibt es nicht mehr.
Natürlich könnte ich versuchen, in anderen Spielen besser zu werden, mir auf anderen Ebenen einen Rivalen suchen, aber es wäre halt nur ein Ersatz. Zu dem haben meine Freunde in ihren Spielen schon ein Niveau erreicht und eine Sprache entwickelt, die ich nicht mehr einholen kann.
So komisch es klingen mag, aber Bert wird unersetzbar bleiben. Genau wie es bei einem Feind ist, kann es auch nur einen Erzfreund geben.
Wenn ihr einen habt, dann bemüht euch darum, Wettbewerb und Freundschaft zu trennen. Macht es nicht wie ich und kämpft nicht nur gegen, sondern auch öfters mal für euren Erzfreund.

Kommentare

  1. Eine sehr schön erzählte Geschichte und eine gute Lebensanalyse, die ich aber nicht gänzlich teilen würde. Ich habe inzwischen an mir selbst festgestellt, dass mich der Wettbewerb immer mehr "mal kann". Gasspielereien an Ampeln interessieren mich nicht mehr, auf die Drängler reagiere ich nur noch mit Spiegel wegklappen - und damit meine ich meinen eigenen - und auch muss ich inzwischen weder mehr das neuste Handy, noch den neusten PC noch das größte Auto haben. Im Laufe des Jahre habe ich festgestellt, dass ein Kia Picanto einen ebenso wohl behalten von A nach B bringt wie ein Ford Scorpio Cosworth. Auch der spielerische Wettbewerb hat sich verändert. Während ich mich vor zehn Jahren noch geärgert hatte, mal wieder unterlegen gewesen zu sein, gönne ich dem Talentierteren inzwischen sein größeres Talent und genieße mehr, wenn ich meine eigenen Stärken ausschöpfen konnte; selbst ohne Konkurrenz. Freunde auf Augenhöhe sind wichtig, doch ich genieße inzwischen mehr die Gesellschaft jener, die intelligenter, weiser und erfahrener sind als ich, denn mit ihnen messe ich mich nicht, da ich um ihre Überlegenheit weiß, während ich für mich selbst, frei jeden Wettkampfs, mehr lerne als von allen Wettkämpfen zuvor.
    Ich trinke auf gute Freunde*

    Ein schönes Wochenende wünsche ich dir.

    * Kaffee natürlich. Schau auf die Uhr, Mensch. Sowas ;-)

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