Ungewohnte Post
Der Tag ist immer dann ein schöner,
wenn man ein fröhliches Lied auf den Lippen hat. Und auch wenn es
heute ein anstrengender Tag im Atellier war, bin ich bester Laune.
Ich freue mich auf meinen Balkon und einen leckeren Salat, vielleicht
auch eine Tasse Wein. So fummel ich die Post nur unaufmerksam aus dem
Briefkasten und lasse mich auch von der neuen Nachbarin im Hausflur
nicht lange aufhalten.
Heute ist eine besonders warmer Tag,
aber mit angenehmen Wind, der zwischen den Häusern seiner Wege geht.
Ich mag es, wenn es klingt als würde es regnen, tatsächlich aber
nur die Blätter der Bäume rauschen. Heute wird ein perfekter
"Julika-Abend", den ich mal ganz alleine verbringe. So wie
die letzten zwei auch. Doofer Kasimir.
Der ist inzwischen richtig erwachsen
und geschäftlich für einige Tage in Paris. Er wollte mich
mitnehmen, aber leider bin ich auch etwas erwachsen geworden und darf
jetzt Ausstellungen an ausgefallenen Orten organisieren. Alles für
den Kulturausschuss der Stadt. Da sitzen aber leider nur Männer in
Anzügen drin und deshalb muss ich auch einer sein. Zumindest was
meine Arbeit angeht. Präzise, pünktlich und dem Auftrag
entsprechend. Schade Paris, lernen wir uns wieder nicht kennen.
Als ich rechtshändig meinen Salat
vorbereite, überfliege ich die Post. Einiges liegt schon mehrere
Tage im Briefkasten, aber das ist meine Post gewöhnt, das ist fast
immer so. Die Rechnungen und die Werbung sind ja auch noch da, wenn
man sie zwei Tage später rausnimmt. Viel ist es diesesmal nicht,
aber zwischen zwei Werbeprospekten fällt mir plötzlich eine
Postkarte auf. Der brave eifrige Kasimir hat mir natürlich
geschrieben, so strahlt mich ein Eifelturm im Nachthimmel an. "Das
Meeting ist langweilig, das Essen gut, schade, dass du nicht hier
bist" kann auch noch etwas darauf warten gelesen zu werden.
Kasimir möchte mir ja immer Weingläser
schenken, da er es schrecklich findet, dass ich nur Tassen besitze.
Gut, dass er nicht hier ist, so kann ich bei bestem Gewissen Rotwein
aus einer Käpt'n-Blaubär-Tasse trinken und ganz ohne die ewige
Diskussion, im Stillen auf meinem Balkon sitzen.
Trostlos schaut mich der Salat an, der
Wein wirkt auch unmotiviert und als der Wind aufhört mir perfekten
falschen Regen vorzuspielen, merke ich, dass ich mir etwas vor mache.
Ich war eigentlich noch nie so lange von Kasimir getrennt.
Sind da Ringe um den Eifelturm gemalt?
Beim näheren Betrachten der Karte sehe ich, dass mit Kugelschreiber
einige Linien um den Turm führen, der beleuchtet in feinstem
Nachthimmel steht. Sie deuten auf die Rückseite.
Na huch, so bunt bin ich das ja gar
nicht gewöhnt. Da strahlen mich verschiedenste Briefmarken an, ich
weiß gar nicht wo ich anfangen soll. Eine mit Käse und Baguette,
eine andere mit Wein darauf, vermutlich aus einem Ort, der sich "lè
Clichè" nennt. Dann ist da noch ein Doppeldeckerflugzeug und
eine netter Herr, der direkt aus der Vergangenheit lächelt. Herny
Pequèt ist sein Name und erträgt einen Schnäuzer, der wundervoll
aus Mode gekommen ist.
Geschrieben, hat Kasimir kaum etwas.
"Bis bald, Kasimir", steht da ganz unten, sonst verbindet
nur eine dünne blaue Tintenschnur die verschiedenen Briefmarken. Die
Adresse steht natürlich auch noch darauf, und ein roter Stempel mit
französischem Text, vermutlich ein dezenter Hinweis, auf die
aggresive Überfrankierung.
Erst jetzt wird mir klar, dass mein
bester Freund mich entweder in die Pfanne hauen will oder da doch
mehr Künstler in ihm steckt, als ich ihm zuschreiben wollte. Aber
was er mir mit der Karte sagen will, lässt mich ziemlich im
Dunkelen.
Mein Salat wirkt plötzlich ganz
engagiert, den Wein schmecke ich schon, ohne auch nur die Tasse
berührt zu haben und auch wenn die Bäume nicht rauschen, regnet es
doch in meinem Kopf.
Mit kurzer Recherche entdecke ich den
Ursprung der Linie, bei meinem Namen und sie stellt sie auch eher als
ein Pfeil heraus. Sie führt von meinem Namen über Kasimirs zu Henry
Pequét und seinem Doppeldecker. "Verflixter Kasimir, was willst
du nur von mir?", denke ich in einem längeren Augenzuschlag und
vernehme unerwartet seine Stimme: "Julika", beginnt er und
im Augenaufschlag bin ich Miniatur. Stehe neben meinem eigenen Finger
auf der Postkarte und bin ein wenig beeindruckt, wie mächtig mein
Name nun plötzlich wirkt. Die göttliche Stimme von oben fährt
fort, während ich meinem Finger in seinem Lauf auf der Linie folge:
"Ich", der Pfeil zu Kasimir, "bin doch tatsächlich
mit einem französischen Postpiloten", aha, Henry Pequét, "in
einem Doppeldecker"; plötzlich wird es auf der Karte wild, ich
spüre wie es mir die Füße langsam wegzieht, da der Boden unter mir
kippt. Im panischen Umschauen erkenne ich hinter meinem Finger meine
andere Hand, die die Karte wendet um auf die Vorderseite zu kommen,
aber wenn ich jetzt keinen Halt finde, dann werde ich stürzen. Und
so schaue ich verängstigt in meine Hände, um sie vor mein Gesicht
zu schlagen, merke aber, wie die Karte plötzlich stoppt. Natürlich,
wenn das hier meine riesigen Hände sind, dann halten meine normalen
Hände natürlich auch eine Postkarte.
Und so wandere ich erst zur Kante und
sammele meinen Mut. Ein kleiner Schwung für mein ängstliches Herz
und ein großer Schwung für die Postkarte. Ein wenig vom leichten
Windstoß getragen, schwebe ich über der drehenden Platform und
gleite ihr dann sanft entgegen.
Verängstigt schlage ich die Augen zu,
doch ein plötzlicher kalter Wind schlägt mir heftigst in Gesicht.
Lärm fährt auf und als ich die Augen aufreiße, da lächelt mich ein
Schnäuzer an.
"Meine Dame, sie müssen ihren
Schal umlegen und die Brille aufsetzen, so eine Rotormaschine macht
ordentlich Wind." - "Sie sind doch Henry Pequét, oder?"
Der Franzose lächelt als Antwort so heftig, dass mir voll lauter
Sympathie etwas heiß wird. Mit Schal und Brille im ordnungsgemäßen
Zustand, nehme ich das Gespräch wieder auf: "Herr Pequét, was
haben sie mit Kasimir zu schaffen?" - "Eine gute Frage,
vor allem da sie, gescheit wie sie aussehen und wirken, bestimmt schon
längst erfasst haben, dass ich schon lange verstorben bin."
Auch ich versuche möglichst sympathisch als Antwort zu lächeln,
merke aber schnell wie meine Mundwinkel den Dienst versagen. "Keine
Sorge, meine Dame, ich bin mit diesem Zustand sehr zufrieden. Ich bin
Legende, was sollte ich mir mehr wünschen?"
Eine äußerst gute Frage, die ihn,
entgegen des Bartes, äußerst modern erscheinen lässt. "Aber
kehren wir zu ihrer Frage zurück: Kasimir und ich kenne uns nur aus
der Postfiliale in der er meine Briefmarke gekauft hat, aber ich bin
hier, um ihnen eine Geschichte zu erzählen. Und dazu ist es von
hoher Wichtigkeit, dass sie mir nicht zuhören, sondern sich
umschauen.
Auf Satellitenbildern sieht die Nacht
immer wenig romantisch aus. Die hellen Punkte in der dunkelen Scheibe
sehen immer so aus, als hätte man dort Löcher hineingeschnitten,
durch die der Tag sein Bestes in die Nacht werfen soll. Die Nacht
wirkt dadurch für mich beschädigt.
Doch wenn man dann näher heran fährt,
dann wird die Beschädigung immer mehr zum Qualitätmerkmal. Und so
stoppt mir ein wenig das Herz, als ich das nächtliche Paris unter
mir entdecke. Nur kurz denke ich, dass es wie gemalt aussieht, aber
diese Farben, die gibt keine Palette her, sei es nun Aquarellfarbe
oder Photoshop. Die Kleinheit meines eigenen Könnens steht dabei wie
eines der Lichter in der Stadt: Im Gesamtbild würde es vielleicht
nicht vermisst, aber für die eine oder andere Straße gibt es genug
Licht.
Wir umrunden den Eiffelturm und was für
mich bisher immer wie eine riesige Antenne aussah, offenbart sich als
Kunstwerk und Metapher menschlichen Ehrgeizes. Wie die Miniatur, die
ich kurz zuvor noch selbst auf einer Postkarte war, stehen die
Figürchen vollkommen unbewegt dort; sehen, staunen, zeigen, genau
wie ich es auch tue.
Die Lichter der Autos so plötzlich
eingefroren, dass ihre Lampen noch weiße und rote Streifen im Äther
hinterlassen haben und dabei trotzdem so druckvoll in Schwung, dass
die Stadt zu vibrieren scheint. So lebhaft und sympathisch, dass ich
kurz meine, Herrn Pequét in ihrem Gesicht erkennen zu können.
Ergriffen und verliebt, schließe ich
erneut die Augen, wie den Verschluß einer Kamera. Als sich die Linse
wieder öffnet, da ist der Wind gegangen und ich sitze mit meinem
Piloten bei Baguette, Käse und Wein, auf einem der Stahlträger des
Eiffelturms. Ich bin satt, sowohl im Bauch, als auch im Kopf und
trinke nur aus Höflichkeit noch einen Schluck Wein. "Ist das
die Geschichte, Henry?" - "Ich wiederhole nur meine Worte,
meine Dame, wenn ich ihnen sage, dass sie mindestens genauso gescheit
sind, wie es ihre wachen Augen vermuten lassen." Geschmeichelt
verstecke ich mein Gesicht erneut im Wein und als ich dann absetze,
da habe ich wieder den Salat.
Er steht vor mir und wirkt neben Paris
reichlich blaß. Die Sonne ist längst untergegangen und ich, ohne
Weintasse auf dem Tisch, bemerke plötzlich, dass ich zugedeckt bin.
"Ich habe dir neue Tassen mitgebracht aus Paris.", sprach
Kasimir aus dem Rahmen meiner Balkontür und im Aufspringen und
Umarmen, da brach es aus mir heraus, die ganze Geschichte seines
Urlaubs, die ich ihm dann erzählte. Wie er mit einem Piloten nachts
um den Eiffelturm flog und mit ihm später noch zu Abend aß. Wie er
Käse und Wein in sein Gepäck räumte, um sie mir mit zu bringen.
Wie er mit dem Geist die Stadt malte und erfuhr, wer Henry Pequét
ist. Und Kasimir lachte so, wie ich gelacht hätte. Plötzlich kam
ich von einer Reise zurück und er, er war immer zu Hause.
Paris, es war schön dich kennen zu
lernen.
Aufgefallen:
AntwortenLöschenVon Absatz 1 zu 2: Zweimal „besonders“
Absatz 2 wirkt irgendwie ein bisschen zu flapsig
Absatz 11: Wenn es auch lustige Assoziationen erzeugt, „rauchen“ sollte hier wohl „rauschen“ sein?
Absatz 14, 15: Ein Lehrzeichenfehler bei „Augenaufreiße“, „vorallem“
Rauscheregen der Bäume eine schöne Beschreibung, ist es doch etwas, das ich auch gerne mag.
Ganz toll auch „…und als ich dann absetze, da habe ich wieder den Salat.“
Eine erwärmende Auflösung und zwei sympathische Figuren, eine interessante Stimmung.
Danke für die Korrekturen, habe alles eingearbeitet.
AntwortenLöschenJulika ist manchmal flapsig und ehrlich gesagt, kann ich nicht ganz ausmachen, worin du die Flapsigkeit erkennst. Was nicht heißt, dass sie nicht da ist, ich bräuchte nur eine Erklärung.
Ansonsten freue ich mich, dass es gefällt und funktioniert.
Ich hoffe, ich erfülle deinen Wunsch nach stimmungsvollen Kurzgeschichten damit auch weiterhin?
Mag sein, dass es nur an meiner Weise lag, den Text gedanklich zu betonen, aber besonders das "drin" erzeugte für mich den Eindruck.
AntwortenLöschenDie Passage um die verschiedenen Handpaare pand ich übrigens am, hm, in Ermangelung eines besseren Wortes etwas zwischen verstörend und unpassend. Beides ist es nicht, aber fassen kann ich es grad nicht besser.
Deine Kurzgeschichten sind immer eine Lesefreude.
Ob mal wieder ein Zombiitext kommt?