Hirnaneurysma

Es ist mit Sicherheit kein sanftes Geräusch, das da an meiner Hirnrinde klopft. Ich sitze in meinem Detektivbüro und genieße bei einem Glas Whiskey und einer Zigarette den Erfolg eines gelösten Falles, als plötzlich mein Mobiltelefon klingelt. Das Problem ist nur, dass ich gar kein Mobiltelefon besitze.
Langsam tastet sich meine Hand zum Digitalwecker vor, der "Feeling Good" von Michael Bublè spielt. Und tatsächlich, auch wenn es noch halb Sechs am Morgen ist, fühle ich mich schon fantastisch. Natürlich, es ist Montag und es beginnt die selbe Routine wie in jeder Woche, aber Routine, das kann auch etwas wundervolles sein.
Wenn man weiß, dass einem jeden Moment dieselbe sanfte Hand über das Gesicht streicht, man einen sanften Kuss bekommt und dann die Liebe sich in vertrauter Gewohnheit zur Seite dreht. Und auch wenn ich vom Joggen zurück bin, jeden Morgen einen Blick auf unser Haus werfen kann und im doppelten Sinne denken darf, dass wir doch schon so vieles geschafft haben. Dann ist Routine doch etwas wundervolles. Heute die Sicherheit, morgen nicht enttäuscht zu werden.

Und so bin ich übervoll mit Stolz, wenn mein Kinder, brav aber nicht eingeschüchtert am Frühstückstisch sitzen und sich von mir die Zeitung vorlesen lassen. Nicht weil sie gerne wüssten, was darin steht, sondern weil sie schon so früh neugierig sind. Mit wachesten Lebensgeistern, setze ich die Beiden ins Auto und freue mich zu wissen, dass wenn meine Frau aufsteht, ihr Lieblingsbrot schon geschmiert auf dem Teller liegt, der Kaffee genau die richtige Temperatur für sie hat und auch genau eineinhalb Teelöffel Zucker verrührt sind.
Für die Schule nehme ich jeden Morgen gerne einen Umweg in Kauf und freue mich, dass meine Kindern möglicherweise irgendwann einmal ein Abitur haben. Anstatt eines "Ach, hätte ich doch damals", denke ich, wie schön es ist, dass sie die Gelegenheit haben, mich einmal zu überflügeln.
Auf der Arbeit angekommen, deutet sich ein wenig die Ödnis des Trotes an, aber ich bevorzuge sie jedem Tag der Gefahr. Ich bin lieber ein harmloser Lagerverwalter, als über Leben oder Recht entscheiden zu müssen. Die Sicherheit, seine Arbeit mit dem Feierabend ablegen zu können und zu wissen, dass wenn man sorgfältig arbeitet, gar keine Bedrohung entstehen kann, die ist purer Luxus, viel erbaulicher, als jede Jagd nach Adrenalin. So fahre ich gelegegentlich mit dem Hubwagen umher, kontrolliere Wareneingänge, bereite den Versand vor und freue mich einfach, wie gut ich, entgegen dem Schwierigkeitsgrad meiner Arbeit, bezahlt werde.
Ganz selten frage ich mich, ob ich denn das perfekte Leben führe und auch ich antworte mit "Nein.", aber wann immer mich jemand anderes fragt, sage ich ich lebe die beste unperfekte Version die mir möglich ist. Ich bin kein guter Schüler gewesen, auch kein fleißiger Arbeiter. Ich hatte die Mittelmäßigkeit zur Spitze getrieben und bewegte mich dort jetzt auf höchstem Niveau.
Wenn ich ehrlich bin, ist auch meine Frau weder besonders schön, noch auffällig interessant, aber was nicht vollkommen ist, das kann man sich ja immer zu recht lieben. Und Liebe ist es vermutlich auch, die unsere Kinder antreibt. Unsere beiden Kleinen werden einmal sehen, dass man nicht irgendwelchen Idealen entsprechen muss, um ein zufriedenstellendes Leben zu führen. Ich weiß nicht, ob die Kinder von reichen, schönen, perfekten Eltern, das jemals verstehen werden, sind sie doch immer auf die oberen Zehntausen geeicht.
Die Arbeit geht dem Ende zu, der Chef und ich gehen meine Aufgaben des nächsten Tages durch und witzeln ein wenig über den Erfolg unserer bevorzugten Fussballvereine in ihren jeweiligen Ligen. Gerne gehe ich morgens zur Arbeit, aber wenn ich ganz ehrlich bin, gehe ich doch noch viel lieber am Nachmittag zurück. Erschöpfe kleine Genies von der Schule abholen und dann daheim ein wenig fernsehen. Gerne helfe ich meinen Kindern auch bei den Hausaufgaben, so fern ich dazu im Stande bin. Englisch war nie meins und weder Französisch noch Latein haben in meiner Schulzeit eine Rolle gespielt. Mathe und Sport, dass lag mir und wie ich in den anderen Fächern über eine Drei gekommen bin, dass wundert mich heute noch. Während meine Frau Quizsendungen schaut um mit zu raten, will ich nur versuchen die paar Brocken Allgemeinwissen zu mir zu nehmen, die man mir hinwirft.
So sitze ich auf dem Sofa, mit Müdigkeit in den Knochen und merke, wie plötzlich kleine Beine über mich springen und meine Lebensgeister wecken. Ich hüpfe auf und beginne unmittelbar mit den Beiden fangen zu spielen. Sie flitzen vom Sofa hinunter, rennen in den Flur und dann hinaus in den Garten. Ein angenehmer warmer Schwall greift mich und erst jetzt merke ich, was für ein sonniger Tag es doch ist.
Den Fokus richte ich wieder auf meine Kinder, die sich hinter ihrer Rutsche verschanzt haben und noch während ich auf sie zu stürze, ziehen sie ihre Wasserpistolen und beweisen, dass sie mich eines Tages überflügeln werden, so pfiffig wie sie sind.
Der Strahl kalten Wassers trifft mich ganz heftig, aber trotzdem wird mir heiß. Meine Finger krampfen und ich..ar.....gg......hhh......sacke.....hhhhhhhnnnnnn.

Wenige Sekunden später liegt ein lebloser Körper in einem Garten.

Kommentare

  1. Während des Lesens der ersten Zeilen habe ich glatt auf neuen Stoff von Peter Mac Guire gehofft. :D

    Die Geschichte gefällt mir aber trotzdem und könnte glatt aus dem Leben gegriffen sein. Hoffentlich trifft uns/dich nie dieses Schicksal.

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  2. Sehr beeindruckend und bedrückend.

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  3. Und ich dachte fast schon, es gäbe zur Abwechslung mal einen Text frei von Zynismus (nicht, dass wir ihn nicht schätzen) oder dem, wenn auch nur mäßig, erhobenen Zeigefinger (den eigentlich jeder nötig hat).

    Trotzdem sehr schön, das Ende kommt sogar noch überraschender, als bei anderen deiner Texte.

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  4. An den Imp: Das war auch pure Absicht.

    An Madse: Danke sehr.

    An Citara: Nun, was solche Dinge angeht, da kann das Leben aber auch zynisch sein. Genau darum sollte es in diesem Text gehen.
    Freut mich sehr, dass das überraschende Ende funktioniert.
    Danke sehr.

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  5. Hmm, bei dem Titel hat mich das Ende ehrlich gesagt nicht überrascht... Eher der Anfang, da ich bei den Wörtern "Detektivbüro", "Whiskey" und "Zigarette" auch eher an MacGuire gedacht habe.

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