Wo die dunkelen Seelen wandern

Oh Götter, erlöst mich. Ich flehe zu euch in meiner endlosen Qual: Zieht mir den Dorn aus der Lunge. Beendet des Schmerzes finsteres Spiel, reißt die Feindesklinge aus meinem Leib, damit er endlich zerbricht. Holt mich zu euch, ich bin bereit. Lang genug habe ich den Krieg gesehen. Wie freigeistige Frauen in die Ketten der Vergewaltigung geworfen wurden; wie aus verspielten Knaben Soldaten wurden, das muss meine müden Augen nicht mehr streifen. Das Leid füllte mir schon die Adern mit Tränen, so setzt die Klinge eurer Erlösung an.
Der Atem entweicht, die Lungen werden warm, der Schlaf holt mich ein.
Ein Gefängnis, in dem man mich hält, seit ich wieder zu mir kam. Mein Körper auf ein grundsätzlichstes begrenzt, halten nur etwas Knochen und Fleisch das bisschen Seele zusammen, dass ich noch das meine nenne. Weder die Sonne steigt hier zum Mittag auf, noch der Mond ist zu Nacht zu sehen. So könnte es schon seit vielen Jahren sein, dass ich hier dem siechenden Stöhnen fremder Kreaturen lausche oder doch erst seit dem gestrigen Tag.
War mein Leben so unfromm, dass ich im Tod die Qual verdient oder scheiden meine Sinne dahin, in einem Leben, dass ich doch nicht verloren habe?
Im Einbruch der Decke meiner Zelle auf Ewigkeit, erscheint unerwartet ein Rittersmann. Nicht schwer zu erkennen, dass seine Blicke mit untersuchen und als ich gerade einen Namen erfragen will, da stürzt er einen leblosen Körper hinab. Im Schreck und Ekel aufgesprungen, war der Ritter entschwunden, aber seinem zweifelhaften Mitgift war ein Schlüssel anhängig, der mir die Entlassung bedeuten sollte.
Der Kampf nun vielleicht nicht vorbei, greife ich nach einem toten Schwertergriff, den Weg durch dieses Asyl erschleichend. Aus hohlen Augen starren die armen Kreaturen durch mich hindurch, die hier ihre Fingernägel in die Fugen der Ziegel bohren. Da treibt kein Durst nach Freiheit an, nur die Gebrochenheit des bisschen Seele, das hier noch in diesen Körpern wohnt.
So folge ich dem einzigen Wege, unwissend, ob ich nun auf einen Henker hoffe, der mich doch von diesem qualvollen Dasein erlöst oder auf einen Gelehrten, der mir die Fragen beantworten kann, die nur ein unwissender Mensch zu stellen im Stande ist. So finde ich nach kurzem Weg, neben einigen körperlichen Feindseeligkeiten der irrgelenkten Mitgefangenen, die Spuren eines Lagerfeuers, noch mit genug Zünd, um sich entfachen zu lassen. Die Wärme lädt mich zum Bleiben ein, zum Ruhen und Erinnern.
Kaum ein Deut lässt sich dort in meinem Gedächtnis finden, nur zwei alten Gefährten kann ich mir nicht erwehren. Ein Dieb und ein Krieger, einst meine Freunde und in unregelmäßigen Abständen meine Gefährten. Die Sorge um ihren Verbleib lässt mich spüren, was mich von den anderen Gebrochenen hier trennt.
Die Tore einer massiven Halle pressend, suche ich die Nähe eines ohrenbetäubenden Lärms. In einem Feld aus keramischen Krügen finde ich aber nichts, bis auf einige Worte, blutig auf den Boden gemalt. "Lauf davon", steht es dort geschrieben, aber, und ehe ich mich noch fragen kann wovor, bricht hinter mir ein Dämon nieder, dessen Hammer alleine groß wie ein ausgewachsener Baum ist und auch ebenso heftig auf mich niederstürzt. So werfe ich mich noch rettend zur Seite, die Schritte in einen Sprint schmeißend, der blutigen Spur der Nachricht folgend, bis dass ich mich schlussendlich in einem Gang verkriechen kann, wie die Maus vor der Hauskatze.
Den Schreck noch in den Knochen, werfe ich einen Blick zurück, doch das Ungetüm folgt mir nicht, denn hinter mir ist ein Fallgatter hinunter gestürzt. Als ich näher an das Gatter trete, macht dieser Dämon keinen Schritt, keine Zuckung. Keine Wildheit und Blutgier, wie bei einem tollwütigen Hund lässt ihn los stürzen, sondern der kalte Instinkt eines Mörders scheint aus seinen Augen.
Ich wende mich verängstigt ab, erforschend, um heraus zu finden, wo dieser moderige Raum wohl hinführt. Bis zu den Knien steige ich in das Wasser, aber das kühlende Gefühl bleibt aus, nach den Begegnungen mit dem Dämon und auch den verzweifelten Menschenhüllen, fühlt es sich fast schon so an, als würden sich meine Beine sorgen. Aber nicht nur in meinen Beinen festigt sich die Furcht, auch mein Geist zwingt mich immer sorgsamer um Ecken und in Nischen zu schauen und nur so entgehe ich knapp dem Pfeil der, im nächsten Gang, meinen Kopf zu treffen sucht. Ohne anderen Ausweg stürze ich mich geduckt nach vorne, mich in die nächste Aushüllung des Mauerwerks zu werfen.
Ich bin mir nicht sicher, ob dies vielleicht sogar mal mein Schild war, aber ich heiße den treuen Freund herzlichst willkommen, als ich ihn aus den leblosen Händen eines weiteren Hohlen löse.
Mit erhobenem Schild dem Bogenschützen entgegen, scheint es mir, als wäre ich niemals gestorben, sondern nur, als würden Krieg und Tod nur ihre wahren ekelhaften Gesichter zeigen. Der, eigentlich, geringen Bedrohung durch einen Mann mit Schild und rostigem Schwertgriff nicht standhaltend, zieht sich der Schütze zurück aus dem engen Festungsgang, offenbarend, was er scheinbar zu schützen suchte. Oder wohl eher in seiner Blutgier nicht gesehen hat, denn als sich zu meinem Schild auch noch ein Kurzschwert gesellt, da tritt ein Gefühl der Macht ein. Eines, dass dem Schützen nun vorenthalten bleiben soll und sogar in Ohnmacht umschlägt, als ich ihn mit schnellen Hieben niederstrecke.
Nach wenigen Schritten, überraschend, höre ich ein Stöhnen. Doch keines der Hohlenmänner, sonder das eines Mannes im Schmerz. Hinter Lücken im Mauerwerk kann ich ihn erahnen, aber wie kann ich es nur schaffen zu ihm zu geraten? Und so setze ich hektisch meinen Weg fort, über eine Treppe mein Glück versuchend, aber, glücklos wie es einem im Tode nur zu steht, schlägt eine massive Eisenkugel das Treppenwerk entlang und mich zur Seite, so dass ich in einem beherzten Sturz auf die darunter liegende Treppe falle. Als der Schmerz und die Hoffnung einen anderen Lebenden zu sprechen in einer Waage liegen, da überwiegt die Hoffnung, als mein Körper sich wieder aufrafft, nur um das eingebrochene Loch zur Kammer zu entdecken.
"Tritt näher", spricht gequält der Rittersmann, "wie ich sehe, bist du auch ein Untoter, aber kein hohler Mann. Vielleicht kannst du einem einfachen Kämpfer den letzten Wunsch erfüllen?" Und in Anerkennung seines Leids und in Freude über eine Spur von Sinn, nicke ich ihm zu. "So sei es dann. In meiner Familie sagte man immer, dass wer die Welt der Sterbenden verlässt und das Zeichen der Untoten trägt", er deutet dabei kraftlos auch meinen Arm "dem steht eine große Reise bevor, eine Pilgerfahrt von größtem Wert und Wichtigkeit. Die meinige Pilgerfahrt endet hier, aber die deine beginnt erst. Hier, nehme dieses", er legt mit letzter Mühe eine Trinkflasche und einen Schlüssel in meine Hand "es ist ein sehr beliebter Trank. Er verschließt die Wunden der Untoten. Mehr kann ich nicht für dich tun. Und nun geh, bevor mein Körper zu einem Hohlen wird, der sich müht dich zu töten."
Und so gehe ich, doch schon nach wenigen Schritten verspüre ich den Hauch des Todes, der mich ergreift und mir scheint, als würde mit einer brüderlichen Umarmung die Seele meines kurzlebigen Freundes übergehen. Der Traurigkeit des Momentes zum Trotz, fühle ich mich aber bestärkt. Vielleicht, da ich nun etwas vor mir und auch etwas hinter mir liegen habe, das einer Erinnerung wert ist. Ereignisse und Aufgaben, die einem das Erwachen nach langem schweren Schlaf so sehr vereinfachen.
Wieder setze ich meine Wege durch das Gefängnis fort, hinauf getrieben vom Lauf der Treppen. Wo ein Paar der Hohlen auf mich wartet, lasse ich ihre zornerfüllten Schläge einfach zur Seite gleiten. Meine ängstlichen Schritte werden von einem Poltern begleitet, dass ich dem Dämon zu ordnen würde, den ich zu vor gesehen hatte. Wenn die Mordlust nicht gestillt wird, dann schlägt sie in Unruhe um und ich sollte mich sputen, denn aus Unruhe wird dann der Zorn. Das Vibrieren in den Muskeln, dass der Geduld entgegen steht.
Dem krachenden Schritten des Dämon folgend, bemerke ich kaum, dass ich vor einem Tor stehe, dass in dichtestem Nebel steht. Kein anderer Weg öffnet sich mir, so schiebe ich mich zögerlich durch den Nebel.
Noch ehe ich sehen kann, was sich vor mir auftut, mit reißendem Lärm stürzt der Hammer des Dämon auf mich zu, den Balkon zu zerschmettern, auf dem ich stehe. Mit einem ausfallenden Schritt bestreite ich die Flucht nach vorne, mit dem Schwert voran in die Fleischmassen stürzend. Im wilden Aufschrei brechen Balkon und Auge des Dämon auf, zerbersten, mich aus der Balance und von meinem Gegner werfend. Nicht nur von Unruhe kommt Zorn und so setzt der Dämon, nach kurzem Atemzug, in berserkerischer Wut mir nach, stößt heftigst vor mein Schild, so dass mein Arm staucht und meiner Körper den Boden auch wieder verlässt. Ich rutsche klirrend durch einige Vasen, spüre aber das Aufbegehren meines Lebensmutes, hier nicht zu Füßen des Dämons die Ruhe zu finden. Mit der Pilgerfahrt vor Augen, springe ich wieder auf, mit der Klinge den Weg ins Fleisch der Dämonen weisend. Und wie mir sein eitriges ekelerregendes Blut entgegen schießt, erkenne ich erst in letztem Augenschlag den nächsten Hieb des Ungetüms, doch kann in einer Sprungrolle entkommen. Im Rücken stehend, kaum mehr Luft in den Lungen, steht die kurze Entscheidung zwischen dem Schlag in seinen Rücken und meine Ohnmacht oder die Flucht um einige Schritt.

In einem hellen Aufschrei, zerfällt die Haut des Dämonen zu Asche und mit jedem Atemzug, der versucht meinen Halt wieder zu fangen, spüre ich die befreiten Hoffnungen vieler Vorgänger und Vorgängerinnen. Spüre, wie sich der Wunsch einer Aufgabe noch fester in mein Herz brennt, als das Mahl der Untoten, das ich trage.
Ich durchschreite das Tor, das hinter der Dämon mit seinem unwürdigen Leben schützte, eine Landschaft von falscher Schönheit erkennend. Das Asyl, nur eine alte zerbrochene Festung vor unendlichem Abgrund. Wälder und Berge lassen sich erahnen, tragen aber das Gefühl der Gespenstigkeit in sich. Wie von fremder Macht getrieben, schreite ich vorwärts bis an die Kante einer Klippe.
Soll es nun das alles gewesen sein? Mein zweites Leben am Rande eines eingestürzten Irrenhauses verbringend? Mir scheint, als würde mir der Wind ins Gesicht schlagen und mit lautem Ruf wiedersprechen, als ein riesenhafter Rabe im Gleitflug mich greift und in die Ferne führt.
Immer wenn die Reise zu Ende scheint, so geht sie doch weiter. Und so sehe ich mein altes selbst, gerade noch auf dem Schlachtfeld gestorben, nun in einem Leben nach dem Leben, pilgernd und suchend, wie nur auch an jedem Tage zu vor. Doch in meinem ersten Versuch, da bliebe es mir verwehrt, Ruhm, Ehre oder alleine mein Glück zu finden. Vielleicht ist mir, Jasper von Assindia, nun mehr Zukunft beschert, da ich schreite, wo die dunkelen Seelen wandern.

Kommentare

  1. Sprachlich dicht und sehr stimmungsvoll, schön!

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  2. Danke sehr.
    Erhält bei Lust und Laune auch eine Fortsetzung. Ein Entwurf existiert bereits.

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