Was Hänschen nicht lernt...

Da sitze ich nun, mit schwitzigen Händen und einer Krawatte, die von einem Galgenstrang nicht zu unterscheiden ist. Die Sekretärin würdigt mich keines Blickes. Selbst als ich angekommen bin, hat sie mich zwar in Empfang genommen, aber kein Wort mit mir gesprochen.
Als der Herr aus seinem Büro kommt, da kann ich schon am Gesicht ablesen, dass es wieder passiert. "Herr Heidrich, richtig?", fragt er schwer rhetorisch. Ich nicke nur, denn wenn ich jetzt sofort spreche, fällt mir nur ein schleimiger Kloß aus dem Hals. "Kommen sie mit in mein Büro.", bietet er freundlich an und ich folge brav.
Nach dem regulären Höflichkeitenabtausch, mit "Setzen sie sich doch." und all diesem Quatsch, löst sich zumindest meine Aufregung etwas, was auch daran liegen könnte, dass ich das kommende Programm bereits gut kenne.
"Herr Heidrich, wie sie bestimmt wissen, ist es heutzutage üblich, einen Bewerber zu googlen."
Natürlich ist es das. Das Wort bereitet mir immer einen leichten Ekel, aber nicht weil mich der Vorgang stört, sondern weil das Wort hässlich ist. Vielleicht widert es mich auch an, da es immer der Auftakt eines Prozesses ist: Scheitern.
"Wir werden Ihnen nicht die Stelle geben können. Jemand mit Ihrer Vorgeschichte ist für unser Unternehmen nicht tragbar."
Das sind für gewöhnlich die letzten Worte. Dann nehme ich meist schon mein Jackett und gehe. Und auch diesesmal brennt es mir auf den Lippen, aber ich frage nicht wie viele Ausländer hier beschäftigt sind.
Ich warte noch auf den Tag, an dem ein potentieller Chef mich fragt: "Und? Haben sie was gelernt?", aber ich glaube, der wird nicht kommen. Aber immer wieder werden die Fotos gezeigt und gefragt: "Sind sie das?" und ich werde nicht lügen.
"Ja, das bin ich. Damals." Und dann wird keiner nach dem damals fragen, denn nach dem Ja bin ich schon wieder aus dem Gedächtnis gelöscht. Da wird mit der achso toleranten Firmenpolitik argumentiert, die eine solche Einstellung eben nicht toleriert. Schnell erreiche ich dann den Standpunkt, dass solch eine verlogene Darstellung meine Einstellung grundsätzlich verhindern würde.
Natürlich gibt es auch andere Firmen. Firmen die zu international sind, um es sich leisten zu können überhaupt noch in die Pässe zu gucken. Die sind meist ganz vorne im Kapitalismus dabei, aber halt dadurch auch zwangsläufig toleranzglobalisiert. Da wird nicht gefragt wo du geboren bist, sondern wie gut du funktionieren kannst. Leider bin ich meist nicht ausreichend für diese Firmen qualifiziert.
Das ich schon lange keine Glatze mehr trage, wird übersehen. Da wird dann immer von Toleranz gefaselt, von Leuten, die in der Straßenbahn auch nicht wissen ob sie den Afrikaner jetzt angucken können, ohne dass er sich angestarrt fühlt und beim Wegschauen aber Zweifel bekommen, weil er sich ja ausgegrenzt fühlen könnte. Leute die immer noch glauben, dass dringend alles und jeder irgendwie integriert werden muss. Ja, die Türken müssen integriert werden. Ja ja, und die Behinderten. Und auch alle anderen.
Aber wenn das Geschäft dann eine Rollstuhlrampe bräuchte, dann ist die zu teuer. Und dann wird Asylant als Schmipfwort gebraucht, aber vergessen was es wirklich heißt. Nein, ein Asylant ist hier kein Schutzsuchender mehr, wenn hier Asylant gesagt wird, dann meint man nur einen Störfaktoren, einen Systemschmarotzer.
Ja wirklich, warum suchen die sich nicht in ihrem Land einen Job und bleiben? Das bisschen Bürgerkrieg oder Minderheitenverfolgung hat doch noch keinen umgebracht.
Und wenn wir in die Türkei fahren, dann doch so gerne, weil da alle Deutsch können.Hagen Rether hat man mir erst zu spät gezeigt.: "Die Türken leben hier jetzt seit 45 Jahren mit uns. Kann hier irgendjemand einen Satz türkisch? Ein türkisches Gedicht? Ein türkisches Lied? Irgendwas?" Nein, warum auch. Hat uns ja auch nie gejuckt.
Ja, ich war mal in NPD. Nein, ich bin kein Nazi. Mehr.
Damals habe ich den Schrott geglaubt. Ich könnte nicht mal sagen wieso. Vielleicht weil ich einsam war, vielleicht weil meine Eltern immer auf die Ausländer geflucht haben, vielleicht, weil ich gerade nichts besseres zu tun hatte.
Habe ich jetzt aber. Ich suche Arbeit, suche Anschluss. Ich bin aus meiner damaligen Heimat geflohen. Habe meinen Beruf, mein Haus und die, die sich meine Kameraden nannten, zurück gelassen. Irgendwann offenbarten sich mir die Defekte dieser Subkultur. Das Messen mit mehrerlei Maß. Da soll man Ausländer hassen und ausgrenzen, aber unseren rechten Genossen aus den Umländern den Hof machen, wenn sie zu strategischen Besprechungen zu Gast sind. Und mir, einem "treuen Landsmann" schickte man Drohungen hinterher, versuchte mich ein zu schüchtern. Es ging hier gar nicht um Nationalitäten. Es ging hier nur darum wer für einen ist. Und wer nicht für einen ist, der ist natürlich gegen einen.
Hier gab es keine schlüssigen Ideologien, hier gab es nur verschließende Idiotien.
Das konnte ich nicht gebrauchen, ich wollte und will nur einfache Lehrsätze nach denen ich mein Leben leben kann, die sich nicht so verbiegen, wie der Wind sich dreht. Ich will nicht dahin folgen, wo gierige Menschen irgendwelche Macht vermuten, ich will morgens nur aufstehen und meinen Teil der Welt verstehen.
Das klappt auch inzwischen ganz gut. Bis auf die Suche nach einem Beruf, komme ich gut zu recht. Es war zwar die falsche Reihenfolge; ich bin erst ausgestiegen, habe dann Exit kontaktiert; aber immerhin habe ich die kontaktiert. Hilfe gibt es dann, aber die können halt nicht die Welt verändern.
Vor kurzem habe ich in der Zeitung gelesen, dass ein Kandidat bei "Bauer sucht Frau" rausgeflogen ist, wegen seiner NPD-Vorgeschichte. Nicht dass ich die Sendung gucken wollte, aber wenn der Typ wirklich aus der NPD raus ist, dann finde ich das gut. Vor allem für mich. Ist gut zu wissen, dass ich nicht alleine mit der fehlenden Toleranz zu kämpfen habe.
Es sind ja nicht nur die Bewerbungsgespräche, bei denen ich es gemerkt habe. Du kannst kein Umfeld finden, in dem du sagen kannst: "Ich war bei der NPD.", ohne dass dich jemand verurteilt. Du bleibst der Nazi. Wer sagt dir, dass der Dieb nicht rückfällig wird? Wer, dass der Schläger nicht mehr prügelt?
Er selbst, wenn man sich mit ihm beschäftigt. Er strahlt es aus, er verhält sich anders. Natürlich ist es schwer ihm direkt zu glauben, aber fing damit nicht schon alles an? Hat ihn das nicht schon damals in diese Situation gebracht? Und obwohl man heute jemand anderes ist, wer sagt: "Geh nicht zurück zur NPD!"? Vermutlich ist dann keiner da, weil einem keiner geglaubt hat. Aber sollte da nicht jemand sein?
Ich war ein Nazi, ihr wollt ihn auch heute noch in mir sehen. Was ich damals nicht als Fehler erkannt habe, dass erkennt heute niemand als Vergangenheit an. Was Hänschen nicht lernt.....

Kommentare

  1. Sehr schöner Text, über ein sehr unschönes Thema. Danke, er hat mich zum Nachdenken angeregt!

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  2. Sehr eindringlich, super umgesetzt. Errinnert mich an den bekennenden Nazi, neben dem ich mehrere Stunden im Zug verbringen musste, als ich zur DTM gefahren bin.

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