Der Ruhrgebietsgroßvater

Dass es im Ruhrgebiet einen ganz bestimmten Typus Mensch gibt, ist ja bekannt.
Als "Homo Bergwercus" in die Biologiebücher eingegangen, fasziniert er schon seit Jahrzehnten die Biologen und Sprachwissenschaftler dieser Welt.
Doch es gibt noch eine Untergruppe dieser Spezies, die besonders faszinierend ist.
Die Rede ist vom gemäßigten Ruhrpottoppa.

Der gemäßigte Ruhrpottoppa ist in aller Regel leicht zu erkennen, denn er kleidet sich nach folgendem Schema:
Schiebermütze (oder Filzhut) + Hemd (optional mit Pullover oder Pullunder) + Cordhose.

Das ganze dann gerne in schlichten Schlammfarben gehalten. Zusätzlich zu diesem matschfarbenen Gewand, hat der gemäßigte Ruhrpottoppa auch immer einen Gehstock dabei und geht, dem Alter geschuldet, stets etwas krumm.

Der alte Ruhgebietsmensch hat eine lange Geschichte. Bis zu zwei Mal mussten die starken Männer von damals das Land wiederaufbauen. Man muss fairerweise noch dazu erwähnen, dass sie es vorher auch kaputt gemacht haben.

Erstaunlicherweise hat, so geht es jedenfalls aus Erzählungen der Großväter hervor, immer nur ein einziger von ihnen das Land wieder aufgebaut. Und dann auch immer genau der, den man fragt. Das ist faszinierend.

Da er mittlerweile Rentner ist, hat er viel Freizeit. Ein durchschnittlicher Tagesablauf sieht für gewöhnlich so aus:

Der milde Ruhrgebietsoppa steht gegen 7 Uhr morgens auf. Länger lässt die Prostata nicht zu. So gegen 10 geht dann seine Frau zum Einkaufen, wo sie alle wahnsinnig macht, weil natürlich nur eine Kasse geöffnet ist, sich die Schlange durch den halben Laden erstreckt, die Ommma ihre Brille vergessen hat und minutenlang im Kleingeldfach ihres Portmonees rumfummelt und dann den Satz "Sie haben's ja lieber passend, nicht?" hervorholt.

In der Zwischenzeit "schnibbelt" er Briefmarken. Heißt, dass er von aufgeklebten Postwertzeichen überstehendes Restcouvert wegschneidet, damit die Briefmarken weiterverkauft werden können. Oder er klebt sie in sein Briefmarkenalbum, nachdem er fein säuberlich den Restumschlag entfernt hat. Wenn seine Frau wieder zurück ist, fängt sie zu kochen an, während er weiterschnibbelt. Und da ist es von enormer Wichtigkeit, dass nur Deftiges auf den Tisch kommt. Und Kartoffeln. Und reichlich Soße, wo sich oben schon das Fett absetzt.

Nach dem Mittagessen setzt er sich in seinen bequemen Fernsehsessel und schläft etwa 1 1/2 Stunde, damit er frisch und ausgeschlafen seiner Lieblingstagesaktivität nachgehen kann:
Auf ein Kissen gestützt im Fenster liegen und Leute beobachten.

Natürlich befindet sich unterhalb des Fenster seine kleine Wiese, die er regelmäßig mit Nagelschere zurecht schneidet. Diese Wiese wird dann gerne von den Nachbarskindern zum drauf Spielen verwendet, worauf der Ruhrpottoppa Dinge wie "RUNTER VON MEIN RASEN!" ruft. Wobei es da auch welche gibt, die dann die Stöpsel der Nachbarn auf der Grünfläche spielen lassen. Aber nur bis zu einem bestimmten Pegel. Ist es zu laut, kommt nämlich dann sowas wie "RUHE DA UNTEN!"

Wobei man auch dazu sagen muss, dass es schon sehr laut sein muss, da der Rentner ja an sich schon nicht gut hört, auch wenn er da immer anderer Meinung ist. Es ist überall gleich. Unterhält man sich mit einem Rentner kommt irgendwann ein "Sprich lauter, Jung. Du nuschelst so in dich rein!". Dass man in angemessener Lautstärke gesprochen hat, spielt dabei keine Rolle. Ältere Menschen sagen ja auch immer wieder, dass sie ja gut hören würden, alle anderen nur zu leise oder zu undeutlich sprechen würden. Wenn man sich mit älteren Menschen unterhält und dann fertig monologisiert hat, ist man heiser und der Hals fühlt sich an, wie nach einer Flasche schwarz gebranntem Ouzo.

Was aber viele Rentner gemeinsam haben, ist einen gewissen rustikalen Ton, um es mal so ausdrücken zu wollen. Nicht selten sprechen, besonders Großmütter, wenn man sich längere Zeit nicht gesehen hat, den Satz: "Jung, was siehst du wieder elend aus.". Dass sie selber aussieht, als wäre der Sensenmann schon auf dem Weg, sollte man sich dabei aber nur denken und nicht laut aussprechen.
Auch sehr beliebt der Satz: "Was bist du wieder dick geworden.". Wenn man aber bei ihnen beispielsweise zu Mittag ist, schaufeln sie einem ironischerweise den Teller, sobald er leer ist, wieder bis obenhin mit Essen voll. Das Witzige daran ist, dass sie, während sie schon die nächste Portion auf den Teller kippen fragen: "Nimmst du noch eine Portion?"
Jetzt sag' da mal "Nee."

Das aber nur als kurze Zwischenanmerkung.

Abends steht das Fernsehprogramm fest: Entweder Volksmusiksendungen oder Krimis im ZDF, auch wenn es früher natürlich besser war, allein von den Dialogen her. Und dann noch diese Jungschauspieler, die im Fernsehen zum Beispiel fluchen. "Das hätte es früher nicht gegeben!" ist dann die Anmerkung, die immer kommt. Während der Sendung schläft er dann irgendwann ein und der ganze Ablauf geht von neuem los.

Das Wochenhighlight ist dann natürlich der Sonntag. Denn sonntags wird richtig die Sau rausgelassen. Morgens wird der Mercedes aus der Garage gefahren und auf Hochglanz poliert. Gegen Mittag, wenn der Wagen dann wie geleckt aussieht, fährt der rüstige Ruhrgebietsrentner irgendwo hin. Wohin ist eigentlich irrelevant, so lange es auf dem Weg dorthin eine Autobahn gibt, wo er dann mit 80 auf der linken Spur fahren kann. Konsequent. Da bringt ihn auch nichts aus der Ruhe. So rächt er sich an der Gesellschaft für alles.

Soweit der gemäßigte Ruhrgebietsrentner.

Kommen wir nun zum klassischen Ruhrpottoppa.

Dieser unterscheidet sich in seiner Vergangenheit nicht vom gemäßigten Vertreter der älteren Ruhrgebietsherren. Doch in der Gegenwart, ja da sieht das schon ganz anders aus.

Während die gemäßigte Version Wert auf ein passables Äußeres legt, hat der klassische Ruhrpottoppa ein ganz anderes Erscheinungsbild. Er kleidet sich nach folgendem Schema:
80er- Jahre- Trainingsanzug (wobei er die Jacke bis Höhe Bauchnabel offen lässt) + Unterhemd (wobei dieses einen tieferen Ausschnitt hat, damit sein Brusthaar herausguckt, denn das muss ja schließlich atmen) + Goldkettchen + Adiletten. Dazu trägt er entweder krauses kurzes Haar oder, wenn seine Haarwurzeln es noch zulassen, Vokuhila, also die Mantafrisur aus den 80ern.

Seine Freizeit verbringt er meist im Kiosk um die Ecke, seinem Stammbüdchen, wo er morgens zum Frühshoppen erscheint und sich sein Pils und seinen Korn einverleibt. Da er ungefähr den halben Tag dort verbringt, frühstückt er auch dort. Das Frühstück besteht in der Regel aus Käsestullen und " 'nem Käffchen". Natürlich wird der Kaffee schwarz getrunken, denn Milch und Zucker sind ja bekanntlich "wat für Schiffschaukelbremser."

Bis zum Mittagessen unterhält er sich dann mit dem Kioskbesitzer. Wenn er dann gegen Mittag Hunger hat, folgt die Frage an seinen Gegenüber: "Hömma Willi, tuste mich ma so 'ne Fricka?", was übersetzt soviel bedeutet wie "Willi, ich hätte gerne eine Frikadelle." Mit reichlich Senf verschlingt er dann eben diese, wobei etwa 30% des Senfs auf seinem Unterhemd landet.

Nach dem Mittagessen geht er dann wieder in seine Wohnung, wo er dann, wie auch sein gemäßigtes Gegenstück, am Fenster steht und rausguckt. Doch auch hier gibt es Unterschiede. Der klassische Ruhrgebietsrentner pöbelt keine Kinder an. Wie auch, er hat ja die meiste Zeit eine Zigarette im Mund. Außerdem gestikuliert er beim Pöbeln immer und dann schwappt der Kaffee aus der Tasse.

So gegen 17 Uhr geht er dann in die Kneipe nebenan. Dort trifft er sich mit weiteren seiner Art zum Kartenspielen und Bier trinken. Es sei denn, dass die Kneipe die Bundesliga überträgt. Dann sitzt er nämlich breitbeinig mit seiner Pilstulpe auf dem Stuhl, den Blick an die Leinwand oder den Fernseher gerichtet. In diesem Moment wir aus dem einfachen Karl- Heinz, genannt Kalle, aus Gelsenkirchen- Bismarck, Trainer Kalle von Schalke 04.
So geht es dann allen älteren Herren in der Kneipe. Sie brüllen die Leinwand, bzw. den Fernseher an und geben Anweisungen an die Spieler. Dann kommt sowas wie: "Wat spielst du denn für Flanken? Wenn dat der Kuzorra sehen würde. Man, man, man!". Dass die Spieler die Ratschläge ja gar nicht hören können spielt keine Rolle. Es gibt übrigens hierzu eine Faustregel: Je schlechter die Mannschaft spielt, desto mehr Korn wird getrunken.

Und wenn er dann den Heimweg antritt, natürlich ist er dabei voll wie ein Schwamm, sagt er jedes Mal den selben Satz, den ich nur unterstützen kann:

"Ker, leck mich is dat schön im Pott zu leben."

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