Zäsuren - eine kurze Begriffsbeschneidung
11.09.
9/11
Elfter September
Vor vierzehn Jahren stürzten die Türme. Sechs Worte und
jeder erkennt darin die Geschichte.
Und Geschichte war es auch, die an dem Tag geschrieben
wurde. Massenweise Geschichte.
Geschichten in Artikeln, Geschichten in Fotos, Geschichten
in Interviews, Geschichten in Sondersendungen, Geschichten in
Verschwörungsforen, Geschichten in Familien, Büros, späteren Kriegsgebieten.
Vielfach hört man davon, dass der 11.09.01 historischer
Wendepunkt gilt, als Zäsur, Ende des 20. Jahrhunderts und Beginn einer neuen
Epoche.
Tatsächlich titelten Zeitungen mit Worten wie ,,Es wird
nichts mehr, wie es war‘‘, von einem ,,vorher‘‘ und ,,danach‘‘ wurde gesprochen
und genau zu wissen vor und wonach was und die Welt hielt den Atem kurz an.
Aber ist der elfte September wirklich die Zäsur, die ihm so oft nachgesagt wird?
Seit 2011 frage ich mich jedes Jahr, ob das alles gewesen
sein soll.
Ob ich jetzt gerade in diesem Moment im zehnten, elften,
zwölften, 13., 14. Lebensjahr einer neuen Epoche aufgewacht bin und das alles
gewesen sein soll.
Für mich war der 11.09. lange Zeit nur eins gewesen: die Rückkehr zum mittelalterlichen Glauben an den gerechten Krieg. Heute weiß ich mehr, was mich auch nicht klüger macht und meide dieses Thema an Theken, Tresen und Biertischen jeder Art. Zum Wohl aller. Keine Sorge, ich bin keine Eso-Verschwörungstante, im Gegenteil. Das ist es ja.
Was mich aber beeindruckt und immer wieder stutzig macht, ist
wie genau wir uns selbst beobachten seitdem. Das ist keine Anspielung darauf, dass man auch behaupten
könnte, dass unsere neue Epoche die des Überwachungszeitalters sein könnte. Spion-Age.
Hihi. Ja. Der musste; wenn auch seit 9/11 Schnitt für Schnitt immer tiefer in
unser Leben eingedrungen wird. Wegen Sicherheit und Freiheit und so, ´ne?
Immer
wieder witzig, das mit der Freiheit.
Wie gesagt, es ist keine Anspielung darauf, sondern wirklich
auf unsere eigene Spiegelung zu gefühlt jedem Moment, der vergeht, als hätte es das Wort ‚Selfie‘
im Medialen schon lange vor Instagram& Co gegeben und wir merkten es einfach nicht. Wir knippsten nur weiter, kommentierten, beurteilten, fanden schön, fanden hässlich, waren altklug und neugierig.
Eine Zäsur kann auch erstmal nur durch Betrachtung entstehen. Sie existiert ja so nicht. Für den Fall, dass jedoch irgendwann ein massiver Block vom Himmel fällt, der die Lettern Z-Ä-S-U-R miteinander verbindet, möchte ich an dieser Stelle betonen, dass das hier alles höchst subjektiv ist und nur meine Gedanken zu diesem Thema. Wie jedes Jahr.
Zäsuren sind nachträglich übergestülpte Konstrukte, die
zeitlich, räumlich und sachlich begrenzt sind. Nachträglich. Wie nachhaltig ist
es dann, wenn Historiker unserer Zeit- wenn unsere Zeit denn am 11.09.01 neu
begann, unserer recht jungen Zeit- diese Einordnung vermögen vorzunehmen?
Jedes Jahr an diesem
Tag wiege ich auf’s Neue zwei Argumente bzw. Fragen ab, die mir wie Zwillinge
aneinander zu hängen scheinen: Hat der Zeitgenosse mehr Empathie, mehr Augen
für die Veränderungen in der Gesellschaft, in der er sich bewegt und haben wir
gerade heute, wo theoretisch so gut wie aus jeder Ecke dieser Erde Meinung in
die Sphären unserer Wahrnehmung dringen kann, was bei der Beurteilung der
Glaubwürdigkeit ja nun keine unwichtige Rolle spielt, viel breitere
Möglichkeiten Geschichte zu beurteilen, nah am Geschehen, nah an den
Zeitzeugen?
Verschätzt, überschätzt Menschheit aber nicht andererseits
auch die Relevanz aktueller Geschehnisse eher? Vielleicht. Ich weiß es nicht.
Zeit, Zitat kluger, angesehener Menschen in die Runde zu werfen:
,,Wenn man zwei Stunden lang mit einem Mädchen
zusammensitzt, meint man, es wäre eine Minute. Sitzt man jedoch eine Minute auf
einem heißen Ofen, meint man, es wären zwei Stunden. Das ist Relativität.‘‘ [Albert
Einstein]
Oder ist es doch so,
dass ein gewisser Abstand da sein muss, um das Gesamte zu sehen und muss der
Gebrauch von Worten wie ,,Revolution‘‘, ,,Epoche‘‘ und ,,Zäsur‘‘ so vorsichtig
wie möglich stattfinden, allein schon um sinnweltliche Zäsuren, sprich Zäsuren,
die durch den Eindruck eine Zäsur zu erleben erst den Wandel in Gang setzen, zu
vermeiden oder zumindest von historiographischen Zäsuren zu unterscheiden?
Letztlich ist der Begriff der Zeit auch nur relativ.
Wir zerhacken Zeit,
weil sie uns Angst macht mit ihrer Weite und Offenheit und ihrer niemals
endenden Art.
Wir zerhacken Zeit, weil wir denken, so Abschnitte einteilen zu
können und Schlussstriche und Neuanfänge.
Vielleicht sind wir
in 100 Jahren ja klüger, vielleicht dachte man das aber vor xxxx Jahren auch
schon.
Vielleicht ist das aber auch wirklich das 14. Jahr einer
neuen Epoche und wir lassen uns gerne beobachten und spiegeln uns bei jeder
Gelegenheit irgendwo drin, weil wir jetzt in der Pubertät sind und denken,
Selbstbewusstsein hat was mit Ansehen und Aussehen zu tun.
Vielleicht stülpen wir uns gerade auch ein Konstrukt über,
das uns gar nicht passt.
Vielleicht passiert bald noch etwas ganz anderes, großes und
das war garnicht alles. Vielleicht aber doch und wir sind jetzt 14, weil wenn ja, dann: Happy Birthday.
Einen schönen elften September weiterhin.
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