Seelenkater
Ich glaube, graue regnerische Tage sind hier im Pott beschissener als an allen anderen Orten. Wenn der Himmel grau ist, die Häuserwände grau sind, die Atmosphäre irgendwie grau ist. Meine Stimmung war an diesem Tag auch irgendwie grau. Ich war weder glücklich noch richtig traurig. Es war keine Melancholie, kein tief depressives Loch. Es war einfach grau. Wie dieses dreckige Grau am regnerischen Himmel, wenn die Wolken so dick sind, dass die Sonne kaum durchkommt.
Es war einer dieser Tage, wo der Pott genauso aussieht wie man ihn sich vorstellt. Grau, hässlich und voll. Und mitten drin ich, anonym apathisch laufend durch Menschenmassen. In U-Bahnen steigend von A nach B kommen. Von B nach C. Von C nach D. Weshalb ist bedeutungslos. Wie Alles an solchen Tagen, irgendwie.
Die Bahn riecht nach Pisse und nasser Hund. Sie ist voll und die Fenster beschlagen. Die Luft ist schwer und nass. Der Boden klebt. Ein besoffener Typ schreit irgendwas in sein Handy. Ich stecke mir Kopfhörer ins Ohr und stelle mich neben ihn. Auch er riecht nach Ruhrpott, nach Arbeit. Suff und kalter Rauch.
An der Rottmanstraße steige ich aus. Ich muss heute zum deprimierendsten Ort, den diese Großstadt zu bieten hat. Der graue SB-Waschsalon, der zwischen Nachkriegsbauten und lieblos hin geklatschten Blumenbeeten mit seinem leicht dämmrigen LED-Licht 24-Stunden Service verspricht.
Schon durch das Schaufenster kann ich einen Obdachlosen erkennen, der an seinem Tetrapackwein nuckelt und eine Zigarette dreht. Im Waschsalon riecht es steril. Irgendwie weiß. Der Raum wurde möglichst effizient dazu genutzt, möglichst viele türkisblaue 80-er Jahre Waschmaschinen darin zu verstauen, während der Boden mit weißen Fließen bedeckt ist.
Als ich die Tür zum Waschsalon öffne empfängt mich die kalte, weiße Stille.
Gesprochen wird hier, wenn überhaupt, nur im Flüsterton. Gelegentlich hört man das Rascheln einer Zeitung oder das Umschlagen einer Buchseite. Nur der Obdachlose flucht manchmal leise, wenn sein Tabak beim Drehen auf den Boden fällt. Dann sammelt er ihn hektisch wieder auf und fängt von vorne an.
Vor jeder Reihe mit türkisen alten Waschmaschinen sind Bänke aufgestellt, damit man seiner Wäsche beim Waschen zugucken kann, als würde man einen sehr langweiligen Film schauen.
Ich stopfe meine Wäsche in die Maschine 13, schmeiße drei Euro in den Schlitz und setze mich auf die Bank davor. Ich zücke mein Buch. Beat Generation. Die Ästhetik von Drogen und Reisen. Vom Chaos und von Leuten, die verrückt leben und dafür brennen, während man lethargisch gefangen in einem Waschsalon im Ruhrpott sitzt.
Ich wühle in meiner Jackentasche und finde nur Tabakkrümel. Kleine verklebte Krümel, die bestimmt seit Wochen in meiner Jacke leben.
Ich krame 50 Cent aus meinem Portemonnaie und gehe zum Obdachlosen. Ich frage ihn, ob ich mir eine Zigarette drehen kann und setze mich neben ihn, während ich drehe.
Er hält mir seine Zigarette demonstrativ vors Gesicht und will etwa sagen, als er anfängt zu husten.
Sein Husten klingt irgendwie unproduktiv und resigniert. Als wäre jeder Husten vor langer Zeit mal ein Kampf gewesen, den er nicht mehr gewinnen kann. Oder will.
Draußen hat es wieder angefangen zu regnen und ein kalter Wind zieht mir durchs Gesicht, ich kneife die Augen zusammen.
Ich beobachte wie Autos durch den Regen rasen und die Scheibenwischer
hektisch im Akkord arbeiten.
Zuhause stehe ich am Fenster, trinke Bier und rauche wieder.
"Ich muss diesen verfluchten Seelenkater endlich loswerden."
Ich schreibe eine SMS und will ficken. Vielleicht auch reden. Keine Ahnung.
Der Alkohol lässt nach, das grau bleibt. Ich werfe den Sargnagel aus dem Fenster auf die Straße und will schlafen gehen.
"Auch zwischen großen Industriegebäuden und grauen Nachkriegsbauten, zwischen vollen Autobahnen und Kneipen mit verbrauchter Luft, gibt es Farbe."
Jemand torkelt biertrinkend durch die Nacht. Ein paar halbstarke Jugendliche treten gegen einen Mülleimer. Der Besoffene schreit den Jugendlichen etwas hinterher.
Farbe. Ein klebriger, gelber Fleck getrockneter O-Saft auf dem weißen Tisch von letzter Nacht. Zigarettenstümmel mit siffig gelben Filtern und lippenstiftroten Flecken.
Jemand torkelt biertrinkend durch die Nacht. Ein paar halbstarke Jugendliche treten gegen einen Mülleimer. Der Besoffene schreit den Jugendlichen etwas hinterher.
Farbe. Ein klebriger, gelber Fleck getrockneter O-Saft auf dem weißen Tisch von letzter Nacht. Zigarettenstümmel mit siffig gelben Filtern und lippenstiftroten Flecken.
Die Atmosphäre in diesem Text ist sehr mächtig und nachhaltig. Ich bin dir dankbar, dass du das geschrieben hast.
AntwortenLöschenDanke :)
LöschenIch bin nicht mehr so richtig zufrieden mit dem Text, ehrlich gesagt. An manchen Stellen zuviel Klischee, zuviel ich weiß nicht.
Mir gefallen aber immernoch einzelne Formulierungen und Bilder, die da aufgespannt werden.
Wow... Was für eine mächtige Bildersprache. Danke :)
AntwortenLöschenDanke Patrick :)
LöschenRecycled.
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