Magisches Duell

Etwas schweres rollendes zog sich langsam im Morast zusammen, so dass die Oberfläche der dicklichen Flüssigkeit gleichmäßig in Schwingung geriet. Der faulige Geruch der vergangenen Pflanzen ergänzte sich um eine Note, die etwas von Ohmacht hatte. Ein Geruch, der an nichts Lebendes mehr erinnern konnte.
Die schattenhaften Schwaden warfen einzelne Fäden nacheinander aus und verwoben sich. Das schwere Rollen zerschlug Wurzeln und verkümmertes Buschwerk und verdrängte immer mehr von der zähflüssigen Substanz, die hier den Boden bedeckte. Aus den Tiefen des nächtlichen Sumpfes, aus den Tiefen der Wolke aus Verwesungsgeruch und Rauch, zerriss ein Koloss mit langem Körper die Luft vor und um sich. Zermalmend schlug sich das Wesen durch die Sümpfe, welches auf den Namen „Massakerwurm“ hört.
Und es bahnte sich nicht nur den Weg durch die Sümpfe, denn mit scharfen verkanteten Klingen bewehrt, schmetterte der Wurm durch lebendes und dann verfallendes Fleisch einiger kleinerer minderer Kreaturen. Einige von ihnen ließen mit dem letzten Atem ihre Seele in den Äther auffahren, andere warf es in Verletzung und Ekel zurück.

Verwelkter vergangener Stoff wallte unter dem Schwung und der hervorgeschobenen Luft des Massakerwurms um einen Mann. Sein Blick war weder seinen gerade sterbenden Soldaten, noch der beschworenen Monstrosität, ihm gegenüber, gewidmet. Kein Schmerzensschrei der, in den Klingen des Wurms verblutenden, Wesen konnte seine Aufmerksamkeit aus dem Buch reißen, das von unsichtbarer Hand geführt vor ihm im Raum schwebte.
Ähnlich wie Mantel, Kleid und Haut des reifen Mannes, war auch sein Buch ledern und abgewetzt. Schwer gebraucht und stark verbraucht, hielten sich die Seiten nur noch an einigen Fasern, welche aber von solcher Kraft strotzten, dass man sie nicht in einem einfachen Handgriff entreißen konnte. Nichts deutete noch auf Leben in diesem scheinbar gebrechlichen Körper, außer einigen kleinen Wassertropfen, die sich im Spiel der Finger des Mannes gegenseitig über Fingerkuppen und Handrücken jagten.
Es war kaum ein Wunder, dass man ihn Karastaire, den Vergangenen nannte. Aber man nannte ihn auch Karastaire, den Unnachgiebigen und deshalb wusste Enrik, dass auch wenn sein Kampf schon wie gewonnen schien, es keine Sicherheit für ihn gab, bevor Karastaire nicht sein Buch niederlegte.

Doch Karastaire legte sein Buch nicht nieder und er machte auch nicht die leiseste Geste, die ihm auch nur den geringsten Zweifel ins Gesicht treiben konnte. Die einzigen Gesten die er machte, die spielten sich an seinen Fingern ab, als er aus einem stillen breiten Fluss zu seinen Füßen, die sterblichen Grenzen der Erdanziehung überschritt und Tropfen um Tropfen zu einem Wasserstrahl zusammen führte, der dann zwischen seinen Fingern mündete. Entgegen Enriks Erwartungen nahmen die Tropfen aber keine konkrete Form an, sondern blieben eine unbestimmte Masse, die zu erst einfach vor Karastaire zu Boden fiel, dann aber mit einem Brodeln begann an Größe zu gewinnen. Erst als ein schweres Rollen sich langsam im Fluss unter Karastaire zusammen zog und ein fauliger Geruch aufkam, der zwar dem seines Sumpfes ähnelte, aber nicht die selbe ekelhafte Intensität hatte, da wurde Enrik bewusst womit er es zu tun hatte.
Die wenigen Wesen, die noch auf Karastaires Seite standen, nahmen diesmal bereitwillig den Schmerz hin, denn aus der Breite der Wassermasse schlug ein Klon des Massakerwurmes aus und schnitt und riss ebenfalls mit einem klingenbesetzten Körper durch ihr Fleisch. Selbst in Enriks Massakerwurm schliff er sich ein, der, mit dem was er als seine Stimme vermutete, einen ächzenden Ton des Schmerzes auswarf. Die frisch verletzten Wesen Karastaires rafften sich aus ihrer letzten Kraft hinaus auf und stürzten zu einem verzweifelten Angriff.
Enrik, von der Beschwörung des Klons und seiner offensichtlichen Macht sehr beeindruckt, hob erst im letzten Moment seine Hand, um seinem einzigen treuen Soldaten, verkörpert durch seinen Massakerwurm, die Verteidigung zu befehlen. Und so nahm der Wurm die schwachen müden Schläge der Wesen hin, die er dann mit einem einzigen Schlag seines Körpers zermalmte, der, wäre er nicht verletzt gewesen, durchaus als mächtig hätte bezeichnet werden können.
Seinen Sieg in Sichtweite, lag Enrik auch der Spott auf der Zunge: „Die Idee mit dem Klon war ja ganz gut, aber offensichtlich fehlt es deinen Dienern an Durchschlagskraft!“
Karastaire, der mit einem silbernem Kelch, einem Artefakt aus einer fremden Welt, voll aus dem Fluss schöpfte, schüttelte lediglich den Kopf und sprach: „Es gibt einen Grund, weshalb du mich mit Meister ansprechen sollst.“ Mit einem Fingerzeig deutete er auf seine besiegten Wesen. „Nicht die Stärke des Angriffs ist entscheidend, seine Absicht ist es.“ Und so bemerkte Enrik erst im zweiten Blick auf die Leichen, an denen er sich zuvor noch ergötzen konnte, dass die Klauen der Verstorbenem mit dichtem waberndem Gift versetzt waren, welches sich nun auch fest in den Wunden seines Wurm einbrannte.
Mit Schrecken erkannte Enrik in Karastaires Händen die Infektionsschnalle, ein weiteres Artefakt einer anderen Welt, welches ihm aber sehr wohl bekannt war. Enttäuschung und Wut durchfuhren seine Haut und ließen seine Haare aufspringen, als sein gegenüber die leuchtende Flüssigkeit des Kelches über dieses Schmuckstück fließen ließ. Entflammt durch die zugeführte Energie, begann die Schnalle ihr finsteres Werk und ließ das Gift, welches seinen Massakerwurm quälte an Dichte und Bissigkeit gewinnen, so dass dieser nur erneut ächzen und dann mit schmetterndem Lärm zu Boden stürzen konnte. Eine Schnalle, die jeden tumorösen Auswuchs, jeden Anflug von Generation und auch Degeneration, jede noch so kleine Erkrankung vergrößern und verstärken konnte. Ein Artefakt, welches Karastaire in diesem Kampf schon lange trug und eines, welches Enrik nur zu gerne besessen hätte. Doch der einzige Weg es zu bekommen, hätte wohl über Karastaires Tod geführt.
Doch selbst wenn Enrik dieses Ziel als erstrebenswert erachtet hätte, so hätte er kaum noch die Möglichkeiten gehabt so etwas zu bewirken. Zwar stand Karastaire ihm nur mit diesem verfluchten Klon gegenüber, aber seine Möglichkeiten schienen beschränkt. Er war müde und geschwächt, hatte er doch einige harte Treffer seines Gegners einstecken müssen. Ein Blick in sein Zauberbuch gab ihm zwar die Hoffnung, noch etwas Zeit zu gewinnen, aber bisher war es auch nicht die Zeit, die ihm gefehlt hatte.
Trotz all seinen Zweifeln, begann er einzelne Fäden aus dem teerigen Boden zu ziehen, um diese dann in Form einer geballten Sumpfkrankheit dem Klon einzutreiben. Und auch wenn der Klon es seinem Vorbild gleichtat und seinen Lebensfunken dadurch verlor, so drängte sich Enrik noch kein weiteres Vorgehen auf.
Karastaire beobachtete Enrik genau und erkannt in seiner Körpersprache die Aufgabe. „Streckst du die Waffen, Schüler?“, fragte Karastaire in ruhigem väterlichen Ton.

Die Sümpfe tragen eine zweifelhafte magische Energie in sich. Der Geruch von Fäulnis und Verwesung lassen beim Ungeschulten schnell das Gefühl entstehen, die schwarze Magie würde ihre Kraft aus dem Tod ziehen, aber so ist es nicht. Es ist die Überwindung des geschlossenen Konzeptes „Leben“. Kein Lebensstrang ist so fest an ein Wesen gebunden, dass man ihn nicht in ein anderes umleiten könnte. Ob dieses dabei den Lebenden der Gegenwart oder gar der Vergangenheit angehört ist den Möglichkeiten dieser Sorte der Magie gleichgültig. Die Verschiebung von Lebensenergie ist nicht an Zeit gebunden, sie beugt sich lediglich den verschiedenen möglichen Wahrnehmungen von Leben und Tod. Vielleicht bedeutet in dieser Welt das Stoppen des Herzschlages das Ende, aber in einer anderen gilt ein anderes Gesetz.
„Magie ist nicht das ignorieren der Gesetze einer Welt, sondern das Einsetzen fremder Gesetze in die eigene Welt.“, so hatte es der mächtige Magier Almanach in seinem magischen Almanach einmal geschrieben und es sollte das erste und wichtigste Gesetz aller Magier werden.

Versunken in seinen Gedanken, kam Enrik die Erinnerung an einen magischen Spruch den erst einstmals bei einem Totenbeschwörer gesehen hatte, aber entschied sich gegen diesen letzten Zug.
„Ich strecke die Waffen, Meister“, sagte er und schloss sein magisches Buch. Auch Karastaire schloss sein Buch und das sie umgebende Feld aus Sumpf und Fluss, voller Leichen von Wesen aus anderen Welten, zerfiel in seine einzelnen Teile, die Magischen Elemente kehrten zurück an ihre Herkunftsorte und ein stiller dunkler Funke, der in Enrik schlummerte, erwachte mit einem stummen Schwur: „Eines Tages, Karastaire, werde ich dich im Kampf töten.“
Doch bis Karastaire von diesem schattenhaften Funken erfahren sollte, würden noch einige Zeiten und Lektionen vergehen, die der junge Enrik durchleben musste.

Kommentare

  1. Das ist sehr schön geschrieben, lieber Jay. Du sprichst alle Sinne an und schilderst ein spannendes Messen zwischen Schüler und Lehrer. Manch ein Satz ist zwar durch die Einschübe etwas holprig zu lesen, aber das ist Geschmackssache und tut dem Lesegenuss keinen Abbruch. Gern gelesen.

    LG,
    der Lichtträger

    PS Sicherheitsabfrage lautet "dersilb". Der Silb, vielleicht ein Synonym für einen metrikversessenen Poeten? ;-)

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  2. An Träger: Danke sehr.

    An Jemo: Ich weiß nicht, ob ich dieser Geschichte weiter folgen werde oder noch einmal etwas ganz anderes über "Magic The Gathering" schreibe. Vorallem, da es da schon einiges an Begleitliteratur gibt und ich mich somit ganz fern vom "Kanon" bewege.

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  3. Hättest du nicht gestern schon "Magic" erwähnt... Vor Jahren hab ich mal bei einer Freundin einen flüchtigen Blick darauf geworfen. Aber auch ohne Vorwissen ist es packend.
    Die Vgergleiche und Schilderungem um Supf und Verwesendes gefallen mir am besten.

    Sperrig die Wiederholung "nicht die leiseste Geste, die ihm auch nur den geringsten Zweifel ins Gesicht treiben konnte. Die einzigen Gesten die er machte" und die Verwendung von "welche". I.d.R. macht es das immer sperriger und undirekter, als es sein müsste.

    Die Einschübe an sich gefallen mir aber.

    Ich würde auch gern mehr aus dieser "Reihe" lesen.

    Am Anfang musste ich ja an den Trickfilm Ferngully denken.

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  4. Danke für die Kritik, Einschübe und Sperrigkeiten sind ja in meinen Texten im Moment sehr aktuell.

    Ich will keine Versprechungen zu Reihen/Serien machen, die ich, wie in der Vergangheit möglicherweise nicht halte, aber es ist denkbar, dass sich irgendetwas aus dem Magic-The Gathering-Universum weiter aufdrängt.

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  5. Auch wenn es nicht "Kanon" ist gefällt es mir richtig gut.
    Da ich das Kartenspiel nur vom hören sagen kenne, betrachte ich aber auch nicht die Geschichte allein.

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  6. Danke sehr. Den Kanon von Magic zu treffen ist aber auch schwierig den Quellen für eben diese gibt es reichlich, ja fast schon zu viele. Gelesen habe ich selbst davon aber nicht viel.
    Es sei höchstens zu erwähnen, dass in einer echten Partie Magic mit einem Freund die "Massakerwurm"-"Klon"-Situation zu Stande gekommen war.

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