Deutsches Roulette

Die Herkunft des, eher unbeliebten, Gesellschaftsspieles des russischen Roulettes ist nicht eindeutig geklärt, aber aus irgendeinem Grund wurden die Russen für so irre gehalten, dieses Spiel erfinden zu können.
Während bei dieser Variante also die Spieler alle an einem Tisch zusammen kommen, alle ihr Glück heraus fordern, gibt es eine noch grausamere Variante dieses Spiels:
Deutsches Roulette.

Bei mir auf der Arbeit spielen wir es jetzt schon über mehrere Jahre hin weg. Der Clou: Keiner weiß ob er mitspielt oder nicht, denn hier kann es jeden treffen.
Der Revolver wird hier aus arbeitsschutzrechtlichen Gründen ersetzt, aber trotzdem geht es um einen Lauf. Und zwar der Lauf so mancher Nase, kombiniert mit Husten und gerne auch leichtem Fieber. Denn mindestens ein Mitarbeiter ist immer erkältet.
Das diese Tatsache noch lange nicht bedeutet, dass diese Person dann zu hause bleibt, mag dem Jobangst-geprägten Deutschen durchaus klar sein, aber jedem der tatsächlich bei klarem Verstand ist widersinnig erscheinen. Trotzdem schleppen sich täglich Leute im zweifelhaftesten Gesundheitszustand ins Büro.

Und da kommt die Spannung des deutschen Roulettes nämlich auf: Man weiß nie, wen es, einer verschleppten Erkältung sei dank, mit einer Kammer des Revolvers ausschaltet. Natürlich nicht mit dem Tod, wie in der russischen Variation, aber hier liegen dann doch Gefahren, die man nicht leugnen kann.
In meiner Tätigkeit zwischen Schule und Uni, bei einer Sicherheitsfirma, hatte ich mit einem guten Kollegen mal einen Objektbewachung durchzuführen. Es war Herbst und somit etwas zugig bzw. windig. Den ganzen Vormittag beschwerte er sich über leichte Rückenschmerzen und ich vermutete, dass er sich möglicherweise die Nieren unterkühlt hatte. Er brach seinen Dienst etwas früher ab und ging zum Arzt.
Später am selben Tag, ich hatte schon frei und war zu hause, bekam ich einen unangenehmen Anruf: Die Freundin meines Kollegen wollte wissen, wo er denn wäre. Sein Handy war aus und da sie weder Telefonnummern noch Namen unserer Vorgesetzten kannte, konnte sie niemanden anrufen.
Ich habe damals den ganzen Nachmittag bis Abend herum telefoniert, bis ich erfahren habe, dass er in Düsseldorf im Krankenhaus liegt, da der Hausarzt ihn direkt zur Weiterbehandlung dort hin geschickt hatte. Diagnose: Herzmuskelentzündung und relativ knapp war es wohl auch noch.
Ein paar Tage später, beim Besuch im Krankenhaus teilte der Stationsarzt die mögliche Ursache mit: Eine nicht vollständig auskurierte Erkältung.
Ich selbst war Jahre lang mit dem Glück gesegnet kaum anfällig zu sein für Erkältungen oder andere Schnodderseuchen. Frei von Allergien und nicht sonderlich empfindlich wenn es um niedrige Temperaturen ging, lag ich fast nie flach. Leider hat diese Fertigkeit im Laufe der Jahre nachgelassen. 
Meine Diagnose: Zu viele Kranke im Umfeld.
Vor zwei Jahren hatte ich die schlimmsten Erkältung meines bisherigen Lebens und, nein, liebe Damenwelt, ich übertreibe nicht: Ich habe bis zu Zwanzig Stunden am Stück geschlafen, da ich zu erschöpft war,  hatte durchgehen Gliederschmerzen, konnte kaum feste Nahrung zum Bleiben überreden und, ja, liebe Damenwelt, ich fühlte mich, als müsste ich sterben. War ich falsch gekleidet dem Wetter ausgesetzt? Nein. Ich war auf einer Jugendmaßnahme im Winter und lebte einige Tage auf engstem Raum mit Menschen, die alle zu Weihnachten offensichtlich eine reichhaltige Erkältung geschenkt bekommen hatten. Frohes Fest!
Ich habe mich angesteckt und zwar dann gleich mal bei jedem.

Kleine Fakten für Zwischendurch: Anstecken ist ein Arschloch.

Selbst meine damalige Krankenpflegerin, hatte es nach meiner Pflege erst mal ausgeschaltet. Allerdings nicht ganz so heftig wie mich. Natürlich nicht, sie hatte die Erkältung ja auch nur von einer Person bekommen.

Zurück zum deutschen Roulette. Das Schöne an diesem Spiel ist, man weiß nie, aus welcher Nase das nächste Projektil feuert, denn genau wie die Kammern des Revolvers, kann man von außen nicht sehen ob die Nase geladen ist oder nicht. Bei wem man sich seine kommende Erkältung abgeholt hat, kann man nie so genau sagen.
Nun ist unsere Firma im weitesten Sinne im medizinischen Bereich tätig und ich bin in den Vier Jahren die ich dort arbeite immer wieder unserer Firmenerkältung begegnet. Und auch ich war mit Erkältung arbeiten, mein Fieber-Gedicht ist in diesen Tagen entstanden. Inzwischen beobachte ich, das gepaart mit etwas Stress, die Wirkung der Firmenerkältung immer heftiger wird. Ich bin kein Arzt, zugegeben, aber der muss man auch nicht sein, um zu sehen, dass das auf Dauer schief gehen muss. Irgendwann entwickelt sich so ein Grippevirus ja auch weiter und mutiert oder macht noch ganz anderes abgefahrenes Zeug. Und wenn wieder so eine Pandemie wie bei "EHEC" ausbricht, dann muss die ja vielleicht nicht unseren Firmennamen haben.
Wenn wir uns richtig reinhängen, dann wird daraus vielleicht aber trotzdem noch ein waffenfähiger biologischer Kampfstoff, aber mal ganz im Ernst, wer will das schon?
Den Fehler, mich, wenn ich wirklich krank bin, zur Arbeit zu schleppen, den mache ich nicht mehr. Mit meinem rasant ansteigenden Alter kann ich halt meine Gesundheit nicht mehr so bereitwillig riskieren, wie früher. Aber ganz unabhängig davon: Bitte geht doch wenigstens zum Arzt wenn es euch nicht gut geht. Und das gilt nicht nur für meine Arbeitskollegen, sondern bitte auch für euch.
Aber man spielt hier halt gerne deutsches Roulette, wo der/die gewinnt, der/die sich die längste Zeit krank ins Büro schleppt und alle anderen verlieren. 

Wenn die Russen das mit ihrem Roulette vergleichen werden sie zweifelsfrei zu diesem mehrdeutigen Schluss kommen können:
"Ganz schön krank, diese Deutschen."

Kommentare

  1. Sehr richtig. So hatte es einen Arbeitskollegen auch mal gebeutelt. Echte Männer zwingt keine Erkältung zuhause zu bleiben, ne, aber der Herzklappenfehler zwingt dann echte Männer, täglich bis ans Lebensende Tabletten zu nehmen, um weiterleben zu können. Wenn ich krank bin, bin ich krank. Auch wenn ich es trotz meines im Vergleich zu dir enormen Alters recht selten bin ;-)
    Noch übler ist es im Einzelhandel, wo schlechtbezahlte Verkäuferinnen und Verkäufern permanent Angst gemacht wird, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, wenn sie krank zuhause bleiben sollten, die gezwungen werden Urlaub zu nehmen, statt den gelben Schein abzugeben, und die uns dann mit ihren von Bakterien- und Viren belegten Händen unser Fleisch, unsere Wurst, unseren Käse und unser Brot verkaufen. Nicht nur Geiz ist geil, Pandemien offenbach auch. Denn die fördert unser Geiz gleichermaßen.

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  2. Rasanter Anstieg des Alters, ha!
    Dafür aber trifft dein Text ins Schwarze. Dass verschleppte Erkältungen derart schwere Nachwehen haben können, wird im Gegensatz zur gemeinen Firmenbakterie leider viel zu wenig verbreitet.

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  3. Inzwischen durfte ich lernen, dass es für diese Erscheinung sogar (natürlich) schon einen Fachbegriff gibt: Präsentismus.

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  4. Im muss zugeben, dass spiele ich selbst hin und wieder. Allerdings ist das Risiko für meine Kollegen recht gering, da zu "gewinnen". Übermäßigen Kontakt vermeiden, Bürotür zu und immer schön die Hände waschen.
    Mit Fieber und Durchfall halte aber auch ich mich von der Arbeit fern. Nur mit dem richtig Auskurieren ist das immer so ne Sache. Die Arbeit macht sich schließlich nicht von alleine. Hach, schön wärs ... *träum* ^^

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  5. Die Arbeit macht sich vielleicht nicht von alleine, aber im zweifelsfall muss halt einer der Kollegen einspringen.
    Gesundheit geht immer über Termindruck.

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