Saisonvorbereitung Teil 1

Ich mache weiter.
Ich hätte wohl kaum das Label "Slamtagebuch" eingeführt, hätte ich vor aufzuhören.

Um meinen Sorgen und Nöten, bezüglich der Szene, aber den Wind aus den Segeln zu nehmen, muss sich etwas ändern. Wenn ich mir allerdings wünsche, dass innerhalb der Szene sich etwas verändert, dann muss man, meiner Meinung nach, immer bei sich selbst anfangen. Wie das genau aussieht, weiß ich noch nicht. Genauer gesagt, weiß ich ja nicht einmal, was ich ändern möchte. Aber um heraus zu finden, was es zu ändern gilt, bis ich glücklich bin, muss ich raus und lesen.

30.07.2011 am Speaker's Corner in Essen
oder: Testspiel

Die Nicht-Ballsportartenfans unter euch verzeihen mir dieses Vokabular, aber wenn ich von meiner Vorbereitung auf meine zweite Slamsaison spreche, komme ich um diese Sportmetaphern nie umher, denn dieser Auftritt in Essen war Testspiel, hatte aber auch einen weiteren Hintergrund.
Seit längerem (bestimmt ein Jahr) gibt es in Essen, direkt neben der relativ neuen Kommerzfestung "Limbecker Platz", einen so genannten Speakers' Corner. Das Konzept des selbigen ist simpel: Jede/r kann hier einen nicht-kommerziellen Vortrag in der Öffentlichkeit halten, Sitzplätze und erhöhte Bühne sind vorhanden.
In der Ausführung ist das Ganze aber weit exklusiver, als das Original in London. Das anliegende "Unperfekthaus", ein toller Kunst- und Kulturbetrieb im Essener Stadtkern, stellt nämlich Strom und Ausstattung, um mit Beamer, Laptop und/oder auch Mikrofon arbeiten zu können. Was toll klingt, kommt aber mit Haken daher.

Es gibt zwar zwei Reihen mit festinstallierten Bänken, aber eine der beiden Reihen ist mit zwischenstehenden Bäumen zwar noch für Zuhörer, aber nicht für Zuschauer attraktiv.
Das ist aber nur eine Kleinigkeit im Vergleich zum größeren Haken:
Ich habe da noch nie jemanden sprechen sehen. Nie. Ich weiß, dass es ein Eröffnungsfest im Frühjahr gab, aber trotzdem herrscht eigentlich immer Schweigen im Großstadtwalde. Aber an diesem Mangel kann SlamPoet ja etwas tun. Der Speakers' Corner soll belebt werden.

Für den 30.07.2011 hatte ich also im Netz etwas Verstärkung angefragt, um, fern von jeglichem Wettbewerb, draußen zu lesen. Interessiert waren einige, aber das Alternativprogramm im Ruhrpott war vermutlich zu stark und das Wetter auch einfach zu schwach.
Draußen/Öffentlich zu lesen erfordert etwas mehr Mut, denn das vorhandene Publikum weiß ja noch gar nichts von seinem Glück und der Vortragende hat möglicherweise auch gar kein Publikum. Aber, wie auch bei vielen anderen Tätigkeiten, die eine gewisse Atmosphäre der Intimität bevorzugen, hat die Öffentlichkeit auch Reize, die nicht zu leugnen sind.

Ilja
Genug der Zweideutigkeiten, auf zu den Fakten:
Wir waren dann als Poeten zu dritt: Felix Krull, Ilja und meine Wenigkeit.

Ilja stürzt sich aktuell wohl sehr in die Szene und war zu letzt viel unterwegs, hatte er neben seinen Texten doch auch einige Slamerlebnisse, die er mit uns teilte. Auf unserer kleinen Bühne war er es auch, der es schaffte unseren ersten Zuschauer zu binden, wenn auch mit einem Fremdtext. Aber, da es kein Slam war, durfte auch gerne die Hiphopformation "Freundeskreis" zitiert werden.
Ilja gab sich sehr politkritisch und deutlich dem Hiphop verschrieben, war er doch mit dem meisten Körpereinsatz von uns Dreien unterwegs. Mein Foto von ihm fängt das leider nicht besonders gut ein, ihr müsst es mir also wohl glauben.
Ich persönlich mag es ja, dass er mit einem russischen Akzent liest und vorträgt. Nicht gespielt, sondern einfach weil er diesen Akzent hat. Aber es steht seinen Geschichten gut, wenn sie von Unabhängigkeitskriegen deuten oder Barack Obama kritisiert wird. 
Sein bester Text war "Mr. Frust", in dem er beschreibt, wie es ihm in dieser Welt manchmal ergeht, aber wie man aus den Leiden dann doch auch Freude ziehen kann. Melancholie mit Perspektive kann ich mir einfach gut anhören und auch nachvollziehen.

Felix Krull
Felix stellte sich als Meister des Timings heraus. Er brachte seine Prosa über Konsumgier und mangelnde Emotionen laut und deutlich in einen Schwung Einkaufender, die sich gerade mit ihren vollen Geldbörsen ins Einkaufszentrum stürzen wollten. Seiner Intensität gab das Aufwind, aber man merkte dem Text auch an, dass er zum einen frei erdacht wurde und zum anderen, dass die Idee dafür erst wenige Minuten zuvor entstanden war.
Es war aber der einzige Text, dem man diese Unreife anmerkte, denn entgegen der Tatsache, dass Felix noch ziemlich jung ist, sind seine Texte sehr reif. Auch hier wurde es inhaltlich gerne mal kritisch und noch viel lieber mal etwas vulgär. Steht ihm, meiner Meinung nach, nicht so gut, war aber genau die richtige Wachmacher-Strategie für die Fußgängerzone.
Ich hatte eh das Gefühl, das Felix besonders heiß war auf diese Lesung, auch wenn er manchmal nur für mich und Ilja las.
Besonders gut gefiel mir bei Felix ein Liebesgedicht, über eine enge Busfahrt, dessen Titel mir leider entgangen war.
Felix probiert merklich aktuell einiges aus, aber das ist auch sehr gut so, denn ich glaube, er ist noch nicht bei seinem Stil angekommen.

Eine Analyse, die auch mich voll erfasst. Gelesen habe ich zwar motiviert, aber unstrukturiert. Zum einen, weil ich einen meiner Texte nicht mehr richtig erkannte, zum anderen, weil mir irgendwie neues Material fehlt. Natürlich hätte ich die Enten oder auch die schillernde Persönlichkeit lesen können, aber ich wollte lieber Texte ausprobieren, die ich nicht so oft las. Glücklich war ich damit aber nicht. Meine Konsequenz also: Zu den nächsten Testspielen muss ich also meinen Kader anders aufstellen.
Was mir aber gut gefallen hat, das war die Stimmung. Einiges freundschaftliches, was ich sonst vermisst habe, hat sich jetzt endlich angedeutet. Schon die Tatsache, dass die Herren Kollegen mitmachen, auch wenn man ohne Slam nach Ihnen ruft, das gefällt. 
Nach dem Lesen sind wir dann auch noch einen Kakao trinken gegangen, was weniger kindisch war als es jetzt hier klingt, und haben uns ein wenig ausgetauscht; über Slamerfahrungen, über den Hang zu flachen aber witzvollen Texten und auch über den Siegeswillen beim Slam, ein schön schwieriges Thema. 
Der Austausch mit anderen Slammern fiel mir bisher immer schwer, aber hier kamen scheinbar die passenden neugieriger Personen zusammen. Erfeulichstes Ergebnis unserer Gespräche:
Der Speakers' Corner hat uns garantiert nicht zum letzten Mal gesehen.

Kommentare

  1. Scheint der richtige Weg, dass Quasi-Slam und Spaß sich doch verzahnen kann.
    Wenn ein schweigendes SpeakersCorner belebt wird, kann das doch nur für alle belebend sein. Zumindest in meiner Vorstellung.
    Da ich ja eher selten räumlich anwesend sein kann, bin ich auch vermehrt für Lokalitäten und/oder Personen mit Aufzeichnungsgeräten.

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  2. An den Aufzeichnungsgeräten arbeite ich, in verschiedenster Form.

    Eine alternative zum Slam wird es nicht sein, aber es ist eine sehr willkommende Ergänzung.
    Da ich mich ja als treuer Freund meiner Stadt sehe, stehe ich quasi in der Pflicht diesen Speakers' Corner zu beleben.

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  3. Find ich toll, das Du/ihr sowas macht! Ich würd mich sowas ja nie trauen! Selbst, wenn ich gute Texte hätte... ^^

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  4. Danke.
    Es ist eine Möglichkeit, um testen zu können, wie gut die eigenen Texte sind.
    Zum anderen ist es echt nicht zu verachten, was man seinem Ego gutes tut, wenn man sich dann traut.
    Sich selbst Mut beweisen stellt sich als sehr dankbar heraus.

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