Mein Tod und Ich


Der Tag an dem ich starb war eigentlich ein ganz gewöhnlicher Tag. Ich kam von der Uni nach Hause, kochte mir was zu essen und spülte danach nicht ab. Ich glaube, es war ein vegetarisches Chili. Mit Soja- Geschnetzeltem das ich in heißer Brühe aufkochte, angebratenen Kartoffeln, Paprika, Zucchini und grünen Bohnen. Keinen Mais, obwohl ich Mais sehr gerne hatte. Leider war keiner im Haus. Ich kochte den Kram, hörte dabei Tomte und war allein. Mein Mitbewohner war in der letzten Woche ausgezogen und die Bude sah aus wie Mischung aus Crackhöhle und Ikea-Lagerhalle. Grade, als ich meine Schüssel in die Spüle gestellt hatte um sie erst mal nicht zu spülen, klingelte es an der Tür. Ich öffnete die Tür und ein Typ der mir ziemlich ähnlich sah, allerdings einen Anzug anhatte stand vor mir. „Fuck, warum hab ich nicht erst durch den Türspion geschaut. Ich hab kein Bock was zu kaufen“, dachte ich, während ich genervt ein gut hörbares seufzen von mir gab.

„Guten Tag, ich bin der Tod. Sie sind gestorben und ich muss Sie jetzt mitnehmen. Sie haben drei Minuten Zeit über alles nachzudenken und sich von Ihren weltlichen Besitztümern zu verabschieden. Wenn sie schreien oder jemanden anrufen, sterben sie sofort“

Ich: „Haha. Sophia, der Tod und ich. Hab ich auch gelesen. Lustige Idee, das mal bei Jemanden nachzumachen. Ich hab das Buch aber leider gelesen. Du hast sogar fast dieselben Worte benutzt. Bist du der Typ von dem RUB-Plakat, der mir so ähnlich sieht? Weißt du, das Plakat fand ich schon gruselig“

Leicht verwirrt erwiderte er: „Ähh.. Ich verstehe nicht? Wer ist Sophie?“

„SophiAAAA. SophiA“, wiederholte ich den ersten Teil des Buchtitels, wobei ich das A am Ende von Sophia besonders betonte. „Klasse Idee, hab ich ehrlich gesagt auch schon drüber nachgedacht. Ich mein', ich hätte das nie durchgezogen, aber der Gedanke daran hat mich ziemlich amüsiert. Ich hab leider kein Bonbon, das ich dir als Belohnung geben kann. Hier ist aber ein anerkennendes Schulterklopfen“. Ich klopfte ihm leicht ironisch auf die Schulter. Es war diese Art von Ironie, bei der man nicht wusste ob es Ironie war oder nicht und sein Gegenüber in der Regel völlig überforderte. Ich schloss die Tür und ging zurück in die Küche. „Verrückter Typ“, dacht‘ ich mir

„Jetzt nicht erschrecken“, sagte der Mann, der gerade noch vor meiner Tür stand und jetzt auf meiner Chaiselounge in der Küche saß. Ich erschrak. Ihn schien das nicht zu wundern.

„Alter, das ist genauso wie in dem beschissenen Buch. Das ist doch nicht dein Ernst, Alter?“, polterte ich ein wenig aufgeregt und viel zu laut, weil ich merkte, dass das wohl sein Ernst war.

„Ja, also, das ist 'ne wirklich lustige Geschichte. Wenn du das Buch gelesen hast, dann weißt du ja, dass ich den Leuten immer einen letzten Wunsch gewähre. Tja, und da war dann so‘n wirklich lustiger Typ der meinte er will, dass ein Buch veröffentlicht wird in dem dieses ganze, naja, ich sag mal "Tod‑Szenario“ verpackt wird. Die Leute können es lesen und wenn es dann passiert wissen sie direkt was Sache ist.“ Bei den Worten "Tod-Szenario" machte er mit seinen Fingern Gänsefüßchen. „Tja, was soll ich sagen, der Typ war ganz schön clever. Also, was willst du jetzt machen?“
„Kann ich wen anrufen und mich verabschieden?“
„Nein“
„Kann ich meinen Tod verhindern?“
„Nein“
„Ist die Geschichte mit Sophia wahr und alles Andere?“
„Nein. Nur, dass ich nicht weiß was passiert nachdem du durch die Tür gegangen bist. Und das mit den Zwischenwelten. Der Rest ist von Thees. Nur die Idee wie der Tod abläuft ist real. Trotzdem tolles Buch, oder?“
„Ja“
„Willst du was essen? Ich hab noch vegetarisches Chili.“
„Da sag ich nicht Nein“, sagte der Tod und nickte erfreut. Ich gab ihm eine voll Schüssel und setzte mich an den Küchentisch. „Du bist auch so’n Typ der Handwerkern Kaffee anbietet, oder? Richtig stark, ehrlich“
„Man tut was man kann. Können wir uns duzen?“
„Wenn dir das lieber ist, gern.“
„Warum sterbe ich?“
„Vorhin im Labor, das war kein harmloses Natrium-Chlorid im Becherglas. Unglücklicherweise war das irgendwas Giftiges und du hast wie ein kleines Kind beim Spülen damit ohne Handschuhe rumgepanscht und dir danach deinen Finger ins Auge gesteckt. Sorry.“
„Scheiße gelaufen“, erwiderte ich.
„Und wie.“
Nach einer kurzen Pause schaute er mich an und fragte: „Also, was ist dein letzter Wunsch, eine Millionen wie jeder vierte Trottel?“
„Kann ich was hinterlassen?“
„Also, du kannst jetzt nichts erschaffen, das dann die Ewigkeit überdauert wenn du das meinst“
„Schade“
„Ja“
„Dann will ich alles verstehen. Ich will diese ganze Astrophysik-Scheiße verstehen. Ich will wissen was der Anfang und was das Ende ist. Ich will wissen, was auf der anderen Seite von schwarzen Löchern ist, ich will wissen, ob diese ganze Sonnensystem-Scheiße eigentlich nur wieder das widerholende Muster aus Elektronen die um Atomkerne fliegen ist. Ich will wissen ob es außerirdisches Leben gibt im Universum. Ich will verstehen wie aus Nichts etwas entsteht oder ob schon immer was war. Und dann will ich verstehen wie schon immer etwas gewesen sein kann.
Und ich will diese ganze Neuro-Gehirn Scheiße verstehen. Ich will verstehen wie man denkt. Ich will verstehen wie Erinnerungen funktionieren Welche Rolle der Hippocampus den jetzt wirklich spielt und warum der prefontale Cortex bei weiterzurückliegenden Erinnerungen stärker aktiviert wird als bei kürzlich erlebtem. Ich will verstehen wie Gefühle funktionieren. Ich will die ganze Feinmechanik des Gehirns verstehen. Ich will den systemischen Scheiß verstehen und ich will den ganzen molekularen Dreck verstehen. Ich will wissen welche Leitfähigkeit die verschiedenen Natriumkanäle haben und ich will verstehen wie die molekularen Mechanismen funktionieren, die unser Denken nach traumatischen Erlebnissen in der Kindheit verändern. Ich will alle Krankheiten im Gehirn heilen können und ich will all dieses Wissen in eine ellenlange Formel mit einer gegen unendlich strebenden Anzahl an Variablen verpacken und dann will ich mir diese Formel auf die Brust tätowieren. Ich will die Weltformel und ich will sie jetzt. Und ich will nicht nur die Formel wissen, ich will sie verstehen. Ich will, dass mir jedes Glied der Gleichung was sagt und ich alles darüber weiß.“
Der Tod, der so aussah wie ich, ging auf mich zu, legte mir die Hand auf die Stirn und murmelte etwas in einer mir nicht verständlichen Sprache. Und plötzlich, wie aus dem Nichts verstand ich. Ich verstand alles. Ich begriff die Schönheit in allem und war beeindruckt von der Komplexität und den äußerst pfiffigen Wegen der Natur all die Probleme, von denen außer mir noch keiner wusste zu lösen. Ich verstand endlich was Unendlichkeit war und wie Zeit relativ sein kann. Ich verstand warum SSRI nicht bei allen Menschen wirken und ich wusste welche Rezeptoren in welchen Teilen des Gehirns welche Aufgaben hatten. Ich verstand wie sie diese komplexen Aufgaben bewältigten und war ehrlich beeindruckt von diesem Wunder. Ich verstand, so allumfassend und detailliert, dass irgendwie alles auf der Hand lag. Immer noch überwältigt von der Schönheit nickte ich dem Tod als Zeichen das ich jetzt bereit war zu.
„Können wir unterwegs noch ein Bier trinken?“
„Ich liebe Bier“
Ich holte zwei perfekt kalte Fiege aus meinem Kühlschrank. Und wir gingen wie ich früher mit meinem Mitbewohner nachts von Partys Heim. Leicht betrunken, glückseelig und biertrinkend Richtung Tür in den Tod und erlebten dabei dieses angenehme Schweigen, bei dem jeder beteiligte weiß, dass in diesem Moment einfach alles gut ist.

Sophia, der Tod und Ich auf Spotify

Kommentare

  1. Auch hier nochmal: Eine gute Geschichte. Und ein tolles Format, denn das hat mehr Gewicht als so manche Rezension die ich geschrieben und auch gelesen habe. Wenn Inhalte neue Inhalte und Gedanken befruchten, dann empfinde ich das als sehr wertig. Die Neugierde für das Buch steigt.

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