Das Menschen-Raster-Analyse-Ding

Bahnfahren ist eine faszinierende Angelegenheit. Nach dem Schritt durch die Zugtür befindet man sich plötzlich auf engsten Raum mit Menschen, denen man wahrscheinlich nie außerhalb dieses Raums begegnet wäre. Man sitzt (oder steht) plötzlich Menschen gegenüber, von denen man absolut nichts weiß. Alter, Beruf, Familienstand, Leidenschaften, Ängste, Träume. Das alles ist unbekannt.
Das ist dann meistens der Moment, in dem in meinem Kopf mein Menschen-Raster-Analyse-Ding anfängt zu rattern und eben genau das zu tun, was der „Name“ schon sagt: Menschen in Raster sortieren und analysieren.

Der Typ der mir heute gegenübersaß zum Beispiel: Dunkelblauer Anzug, dazu passende gestreifte Krawatte, ein paar wenige graue Strähnen in seinen sonst dunkelbraunen Haaren, am Handgelenk eine silberne Armbanduhr, am Ringfinger der rechten Hand ein schlichter goldener Ring, auf dem Schoß eine laptopgroße Tasche, in der wahrscheinlich auch einer drin steckte.
Analyseprozess: Irgendein Manager- oder Banker-Typ der mittleren Gehaltsklasse, verheiratet und wahrscheinlich auch schon mindestens ein Kind, denn seine grauen Haare lassen darauf schließen, dass er irgendwo zwischen Anfang und Ende 30 steckt (jap, im Alter schätzen bin ich ausgesprochen schlecht) und der Ehering zeigt, dass er verheiratet ist. Wahrscheinlich kommt er gerade von der Arbeit und fährt zu seiner netten kleinen Familie, in sein Einfamilienhaus in einer ruhigen Vorstadtgegend, nicht zu weit von der Innenstadt entfernt aber doch in erreichbarer Distanz zu Bio-Bauernhöfen und Selbstpflück-Blumenwiesen. Analyse abgeschlossen.

Ihr seht schon - dieses „Spiel“ kann man ganz schön auf die Spitze treiben. Dieses „Spiel“ ist aber nichts anderes als simples Schubladendenken. Es ist nichts anderes als Vorurteile und Stereotype. Und am Ende steht meistens das Analyseergebnis: „Mit diesem Menschen habe ich nichts gemeinsam.“

Anfang des Jahres, da waberte ein Video quer durch das Internet. Grob gesagt zeigt es, dass man oft mehr gemeinsam hat, als man denkt. Aber seht es euch doch einmal selbst an:



Neben all den äußerlichen Unterschieden lassen sich doch auch (fast) immer Gemeinsamkeiten finden. Übertragen auf meine Bahn-Analyse bedeutet das folgendes:. Ich denke, dass ich mit dem Anzug-Typen nichts gemeinsam habe. Aber vielleicht mag er wie ich kein scharfes Essen, vielleicht hört er wie ich gerne „die Ärzte“ und vielleicht zweifelt er auch manchmal an sich selbst, so wie ich.

Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Ich will der Aussage dieses Video nicht wiedersprechen. Gemeinsamkeiten sind wichtig. Sie sind die Grundlage dafür, dass man seine Vorurteile abbaut und sie können die Grundlage dafür sein, auf jemanden zuzugehen. Aber wisst ihr was - Unterschiede sind genauso wichtig. Wir Menschen müssen uns ergänzen. Nur dann sind wir dazu fähig etwas Großes zu erschaffen (für kleine Dinge gilt das übrigens genauso). Fortschritt funktioniert nicht, wenn alle gleich sind. Aufs Bahn-Beispiel bezogen heißt das - es ist gut, wenn der Typ und ich beide Liebhaber von Rock-Musik sind. Aber es ist genauso gut, dass er einen grünen Daumen hat und weiß, wie man Obst und Gemüse anbaut, während ich vielleicht ganz passabel kochen kann. Das ist jetzt echt ein sehr rudimentäres Beispiel. Aber um es zu Ende zu führen: Er baut das Gemüse an, ich koche daraus ein leckeres Mittagessen. Könnten wir beide Gemüse anbauen, aber niemand wüsste, wo der Herd angeht dann würden wir wahrscheinlich auf Dauer verhungern. Aber so können wir uns ergänzen und am Ende gemeinsam eine leckere Mahlzeiten essen, während im Hintergrund ein geiler Song von den Ärzten läuft zu dessen Takt wir beide einträchtig mit dem Kopf nicken.

Und ich freue mich schon auf meine nächste Bahnfahrt, in der mir ein fremder Mensch gegenübersitzt und in meinem Kopf mein Menschen-Raster-Analyse-Ding losrattert. Analyseergebnis: „Mit diesem Menschen habe ich nichts gemeinsam. Und das ist gut so.“

Kommentare

  1. Anonym22.8.17

    Ja,dieses Schubladendenken,für Psychologen, Wissenschaftler, die diese Experimente durch Projekte Studien, durch mathematische Rechnungen, Versuche an Menschen, um Verhaltensmuster zu erkennen ,um die Bewertung der Menschen vorzunehmen, um Gemeinsamkeiten zu finden, um anschließend dieses Rasterding, wie sie es nennen durchzuführen, ja spannend, interessant für die jeweiligen Forscher allemal, diese Studien vorgeben, sie befinden sich ja auch auf einer ganz anderen Ebene, vor allem die vielen, die dafür benötigt werden, das Spektrum ist so
    groß, wie das anfängliche Fragezeichen, Beurteilung nach Aussehen,Kleidung, das Verhaltensmuster, erkennbar an Mimik, an Sprache, an Ausdruck, wie ist der Mensch überhaupt zunächst einmal beschaffen, welche negativen Eigenschaften bringt er zum Test bereits mit,alles im Vorfeld Bewertungen, die dich bereits vor der Tiefenpsychologie aufs Abstellgleis, in die Abstellkammer stellen,Bewertungen von Menschen, die von Menschen gemacht sind, aber war noch nie mein Ding,einen Menschen zu beurteilen und ihn dann in eine Schublade zu stecken, da kommst du so schnell von alleine nicht mehr raus, aber wenn ich nochmal über dieses Rasterding im Zug nachdenke,gibt es ja keinerlei Hinweis auf den Menschen, der im Zug ihnen gegenübersteht oder sitzt,sie haben sich ja ausschließlich über das Aussehen, seine Kleidung, also quasi

    über das Äußerliche ihre persönliche Meinung gebildet,säße derselbe Mensch vielleicht mit ihnen zusammen in einem Krankenhaus,sie wären auf seine Hilfe angewiesen, da sie frisch operiert wären, ja würde derselbe Mensch auf sie einen vielleicht ganz anderen Eindruck machen, es ist ja immer auch ein Unterschied, finde ich jetzt, wo ich jemandem begegne,das der Mann gut kochen kann, oder den Eindruck erweckt, sich im Haushalt zu betätigen, sind doch alles Gedanken, die man sich über einen Menschen macht, wir puzzeln uns ein Bild von Etwas, auf Grund unserer Wahrnehmung,wäre der akkurat angezogene Mensch im Zug ihr Chef,der sie von morgens bis abends so rumkommandieren würde, hätten sie spätestens beim Anblick dieses Mannes das Abteil fluchtartig verlassen, um auf ihrer Heimfahrt bereits abschalten zu können, ja so könnte man wirklich immer weiter rumspinnen,und sich die Frage stellen, ob meine persönliche Wahrnehmung, wenn ich Mann im Zug oder doch eher im Cafe hätte kennengelernt, als Kollege auf meiner neuen Arbeitsstelle, auf einer Party, während einer Podiumsdiskussion, als mein Arzt,hätte ich durch die verschiedenen Grundlagen, eine andere Verbindung aufbauen können, der Respekt für einen Menschen erhalte ich doch eigentlich durch das Kennenlernen, einen Menschen beobachten, mir im Unterbewußtsein eine Meinung bilden, das tue ich auch oft, in Praxen, in Cafes, auch während des Einkaufens,Ich persönlich halte nur nichts von diesem Schubladendenken, zu unterschiedlich sind mir die Menschen,und zu unterschiedlich sind mir die Menschen,die die Bewertungen an Menschen vornehmen das wäre mir zu gefährlich, einem Menschen dadurch mit einer Gruppe mit selben Interessen, selben Hobbies, selben Intellekt,etc.in eine Schublade zu stecken,wäre das so machbar, könnte man Mensch wirklich nach diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen so klar definieren, würde Mensch immer mehr zum Werkzeug eines Menschen, ich kann dieselben Interessen haben, die gleichen Hobbies, denselben Beruf, möchte aber, so wie sie schreiben genau den gegensätzlichen Menschen mein Freund nennen und genau deshalb in einer völlig anderen Schublade eingeordnet sein, ja,Rasterding ist auch nicht mein Ding,die Verhaltensmuster ändern sich mit der Zeit,Montessori z.B, oder Integration in Schulen von behinderten Schüler,auch alles neu dazugewonnene Erkenntnisse,wo früher die behinderten Schulen fördernd sein sollten, erkennt man heute, das man untereinander voneinander soviel lernen kann, das Menschliche,hat man endlich auf diesem Sektor erkannt,so müssen auch die Studien wieder umgestellt werden,es ist alles so schnellebig geworden,obwohl ich an einem Verhaltensmuster bis heute festhalte,

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  2. Anonym22.8.17

    Teil 2: Es ging um die Sympathie, die du einem Menschen gegenüber entgegenbringst, du hast einen Menschen in dein Herz aufgenommen, dieser Mensch ist dir positiv in seiner Art, in seinem Werken, seiner Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft aufgefallen,du hast dadurch eine ziemlich gute Meinung von diesem Menschen, ob netter Kollege, dein bester Freund, dein Berater, dein Partner, dein nächster Verwandter, dein Nachbar,du hast durch deine persönlichen Erfahrungen diese positive Meinung gewonnen, in Studien sagt man, dass dich dieser, dir sympathische Mensch bis zu 7 mal enttäuschen kann, bis du beginnst umzudenken, erst ab der 8.Enttäuschung schlägt deine Meinung erst um, und verläuft ins Negative in deinem Bewusstsein, wogegen bereits ein Fauxpas eines dir unsympathischen Menschen, deone Meinung sofort bestärkt, diesem keine Chance gibst,da dein Denken über diese Person nur nochmal bekräftigt wird, habe mehrmals bemerkt, dass dieses Verhaltensmuster bei mir zutrifft, das heißt ja auch nichts Anderes, als, dass der Mensch, der dir zugetan ist,sich mehr Negatives erlauben ,dich enttäuschen, damit sogar verletzen kann, als der Mensch, der dir von vornherein unsympatisch ist, ein Zeichen, das Mensch, auch wenn im Unterbewußtsein voreingenommen ist, mir doch bestätigt,wie gefährlich eine subjektive Beurteilung, Bewertung eines Menschen von Menschen sein kann, das ist meine persönliche Meinung dazu, ihre Gedanken haben mich wieder mal zum Denken gebracht, viel Spaß noch bei der Analyse, der Gedanken im Zug mit neuen Fahhrgästen. Frdl. Grüße A1

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    1. Danke für Ihr Feedback! Es freut mich sehr, dass die Message des Textes scheinbar ankommt.Interessanter neuer Aspekt für mich: die unterschiedliche Wahrnehmung von Enttäuschung.

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  3. Anonym24.8.17

    Danke,für die Rückmeldung, ich empfand die Wahrnehmung jetzt nicht unterschiedlich,das reine Beobachten eines Fahrgastes wäre bei mir auch nicht viel anders ausgefallen, ich hab nur den Gedankengang weiter gesponnen, und durch Perespektivwechsel immer wieder neue Sichtweisen erfunden,in so kurze Berichte, steckt sovieles drin, worüber man schreiben könnte, und die Wahrnehmung von Enttäuschung, dieser Aspekt hab ich selbst vor vielen, vielen Jahren in einem Lehrgang aufgenommen und manchmal bleibt da für's Leben was hängen Lb. Grüße A1

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