How to Slam: Du möchtest bei einem Poetry Slam auftreten? Warum?
Anekdotische Einleitung mit Opa-Faktor:
Vor einigen Jahren saß ich im Backstage eines Berliner Poetry Slams. Viele bekannte Gesichter, aber auch frisches Blut. Auf der Couch mir gegenüber: gediegener Herr mit Bart und Mütze und Kapuzenpulli, kenne ich nicht. Zweiter Herr mit Bart und Mütze und Kapuzenpulli betritt den Backstage. Überraschte Begrüßung:
„Heiko, du hier? Machst du jetzt etwa auch Poetry Slam?“
„Ja, sicher. Du etwa auch?“
Ich kann bis heute nicht zielsicher erklären, warum mich das so amüsiert, verwundert und gleichzeitig unangenehm berührt hat. Der Wortlaut ist mir bis heute Wort für Wort eingebrannt. Aber wer bin ich, irgendwen dafür zu verurteilen, ‚jetzt auch‘ Poetry Slam zu machen? Jeder fängt ja mal an. So wie du vielleicht. Aber vielleicht aus anderen Gründen.
Als ich damals damit angefangen habe, gab es kein Facebook. Es gab nicht einmal fucking StudiVZ. Poetry Slam vernetzte sich über Telefon und Email und Myslam. Das war so eine Website, wo Veranstalter ihre Termine eintrugen, und Poeten erfuhren, dass es einen ziemlich geilen Slam in Herne gibt. Fahrtkosten wurden vorher abgesprochen, aber rumreisen, das machten nur die ganz großen. Die wirklich krassen. Sulaiman und so. Sebastian, Misha, wie sie alle hießen. Die kamen zum Beispiel aus Bielefeld einfach mal so nach Bochum gefahren und bekamen die Fahrtkosten erstattet. Diese Halbgötter in Kapuzenpullis, die so krass waren, dass man weiche Knie bekam, wenn man mit ihnen gemeinsam irgendwo auftreten sollte. Klingt albern heute, ich weiß. Bielefeld-Bochum. Aber es gibt vielleicht einen Einblick, wie aufgeregt ich war, als ich aus Dortmund nach Bochum anreisen durfte, um da mal im Freibeuter aufzutreten. Mit Fahrtkostenerstattung. Ich hatte es geschafft. Jetzt war ich auch Tourpoet. Irgendwie. Der Auftritt war übrigens nicht so gut. Aber das war egal.
Wenn man mal richtig weit weg wollte, musste man warten, bis man einen Poeten oder Veranstalter aus der weit entfernten Gegend traf, den man dann beeindrucken konnte. Dann sagte man: „Du, ich würde voll gerne mal in Stuttgart auftreten“, und der Tourpoetveranstalter sagte dann: „Ja, war nice, was du da gemacht hast heute, in 1 ½ Jahren habe ich was frei. Gib mal deine Email.“ Und tatsächlich durfte man dann 1 ½ Jahre später vor zwanzig Leuten in Stuttgart verkacken und auf einer sehr umständlichen Luftmatratze schlafen. So war das. Und es war schön.
So. Opa-Anekdoteneinführung vorbei.
Ist heute ja nicht mehr so. Früher war Poetry Slam in seiner Ausführung und gelebten Kultur eine natürliche Barriere. Es waren sehr spezielle Menschen, nicht einmal getriebene Persönlichkeiten, aber zu einem Großteil. Heimatlose und Suchende. Das ist heute anders, und das ist schön so.
Heute ist Poetry Slam Alle. Man kann also heute einfacher denn je damit anfangen. Aber sollte man das dann auch? Für mich, in meiner eigenen, kleinen Definition, ist Poetry Slam im idealen Fall ein Format für Literatur. Da stehen Literaten auf der Bühne. Mal erfahren, mal nicht so sehr, aber immer Literaten. Die Bock auf Sprache haben. Für mich ist Slam ein Ausprobieren, ein gemeinsames Testen und Erleben und Erweitern von Sprache und Ideen. Natürlich ist es auch Unterhaltung, es ist lustig und lyrisch. Aber für mich geht es beim Slam nicht um Humor. Oder um besonders kunstvolle Lyrik. Beides ist für mich Mittel zum Zweck, um etwas zu sagen, verständlich zu machen, zugänglich. Eine Idee. Eine Kritik. Einen Missstand. Und darum geht es. Nicht um diesen omnipräsenten Wettbewerb, oder um die Lacher. Der Wettbewerb, der ist eine Scharade für das Publikum. Ein Rahmen. Wer auf einen Slam geht, um ihn zu gewinnen hat Slam - meiner Meinung nach - falsch verstanden.
Man kann das anders sehen. Aber so sehe ich das.
Wenn du also demnächst auf einem Poetry Slam aufzutreten gedenkst, kann ich dir nur raten, ein paar Fragen für dich zu beantworten:
Was ist Poetry Slam für dich?
Warum möchtest du das?
Möchtest du schreiben, oder lieber nur etwas geschrieben haben?
Möchtest du etwas sagen, oder nur vor Menschen in ein Mikrofon sprechen?
Möchtest du Menschen für etwas begeistern, oder nur ihre Begeisterung spüren?
Möchtest du Literatur machen, oder kannst du dir nur deine Witze so schlecht merken?
Möchtest du ein Gefühl in Worte gießen, oder dich einfach auf einer Bühne ausziehen?
Möchtest du ein Gewinn sein, oder nur gewinnen?
So, Opa ist fertig. Darauf jetzt ein Kräuterlikörchen. Und ein Schlusswort.
Es gibt so viele gute Gründe, auf eine Bühne zu gehen und Texte vorzulesen. Und so viele schlechte Gründe. Und die Gefahr ist da, dass einem das zu Kopfe steigt. Das Publikum, das Bier, der Applaus. Denn bis auf das Bier ist nichts davon für dich. Sondern nur für das, was du da tust. Wenn überhaupt. Und jetzt viel Spaß. Wir sehen uns. Und ich freu mich drauf.
Tobi Katze, geboren 1981, tritt seit fünfzehn Jahren auf Poetry Slams und Lesebühnen auf. 2007 gewann er den LesArt-Preis der jungen Literatur und 2014 den Bielefelder Kabarettpreis. Im Januar 2014 startete er auf stern.de seinen Blog »Das Gegenteil von traurig« über Leben und Arbeit mit Depressionen.
Im September 2015 veröffentlichte Rowohlt seinen Erzählband »Morgen ist leider auch noch ein Tag«. Das hochgelobte Buch über Depression (Prädikat »Absolut lesenswert« in WDR 2 Bücher) stürmte wochenlang die Top Ten der Spiegel-Bestsellerliste. Aktuell tourt er mit dem gleichnamigen abendfüllenden Bühnenprogramm.
Im September 2017 veröffentlicht Rowohlt seine neue Erzählung »Immer schön die Ballons halten«
Vor einigen Jahren saß ich im Backstage eines Berliner Poetry Slams. Viele bekannte Gesichter, aber auch frisches Blut. Auf der Couch mir gegenüber: gediegener Herr mit Bart und Mütze und Kapuzenpulli, kenne ich nicht. Zweiter Herr mit Bart und Mütze und Kapuzenpulli betritt den Backstage. Überraschte Begrüßung:
„Heiko, du hier? Machst du jetzt etwa auch Poetry Slam?“
„Ja, sicher. Du etwa auch?“
Ich kann bis heute nicht zielsicher erklären, warum mich das so amüsiert, verwundert und gleichzeitig unangenehm berührt hat. Der Wortlaut ist mir bis heute Wort für Wort eingebrannt. Aber wer bin ich, irgendwen dafür zu verurteilen, ‚jetzt auch‘ Poetry Slam zu machen? Jeder fängt ja mal an. So wie du vielleicht. Aber vielleicht aus anderen Gründen.
Als ich damals damit angefangen habe, gab es kein Facebook. Es gab nicht einmal fucking StudiVZ. Poetry Slam vernetzte sich über Telefon und Email und Myslam. Das war so eine Website, wo Veranstalter ihre Termine eintrugen, und Poeten erfuhren, dass es einen ziemlich geilen Slam in Herne gibt. Fahrtkosten wurden vorher abgesprochen, aber rumreisen, das machten nur die ganz großen. Die wirklich krassen. Sulaiman und so. Sebastian, Misha, wie sie alle hießen. Die kamen zum Beispiel aus Bielefeld einfach mal so nach Bochum gefahren und bekamen die Fahrtkosten erstattet. Diese Halbgötter in Kapuzenpullis, die so krass waren, dass man weiche Knie bekam, wenn man mit ihnen gemeinsam irgendwo auftreten sollte. Klingt albern heute, ich weiß. Bielefeld-Bochum. Aber es gibt vielleicht einen Einblick, wie aufgeregt ich war, als ich aus Dortmund nach Bochum anreisen durfte, um da mal im Freibeuter aufzutreten. Mit Fahrtkostenerstattung. Ich hatte es geschafft. Jetzt war ich auch Tourpoet. Irgendwie. Der Auftritt war übrigens nicht so gut. Aber das war egal.
Wenn man mal richtig weit weg wollte, musste man warten, bis man einen Poeten oder Veranstalter aus der weit entfernten Gegend traf, den man dann beeindrucken konnte. Dann sagte man: „Du, ich würde voll gerne mal in Stuttgart auftreten“, und der Tourpoetveranstalter sagte dann: „Ja, war nice, was du da gemacht hast heute, in 1 ½ Jahren habe ich was frei. Gib mal deine Email.“ Und tatsächlich durfte man dann 1 ½ Jahre später vor zwanzig Leuten in Stuttgart verkacken und auf einer sehr umständlichen Luftmatratze schlafen. So war das. Und es war schön.
So. Opa-Anekdoteneinführung vorbei.
Ist heute ja nicht mehr so. Früher war Poetry Slam in seiner Ausführung und gelebten Kultur eine natürliche Barriere. Es waren sehr spezielle Menschen, nicht einmal getriebene Persönlichkeiten, aber zu einem Großteil. Heimatlose und Suchende. Das ist heute anders, und das ist schön so.
Heute ist Poetry Slam Alle. Man kann also heute einfacher denn je damit anfangen. Aber sollte man das dann auch? Für mich, in meiner eigenen, kleinen Definition, ist Poetry Slam im idealen Fall ein Format für Literatur. Da stehen Literaten auf der Bühne. Mal erfahren, mal nicht so sehr, aber immer Literaten. Die Bock auf Sprache haben. Für mich ist Slam ein Ausprobieren, ein gemeinsames Testen und Erleben und Erweitern von Sprache und Ideen. Natürlich ist es auch Unterhaltung, es ist lustig und lyrisch. Aber für mich geht es beim Slam nicht um Humor. Oder um besonders kunstvolle Lyrik. Beides ist für mich Mittel zum Zweck, um etwas zu sagen, verständlich zu machen, zugänglich. Eine Idee. Eine Kritik. Einen Missstand. Und darum geht es. Nicht um diesen omnipräsenten Wettbewerb, oder um die Lacher. Der Wettbewerb, der ist eine Scharade für das Publikum. Ein Rahmen. Wer auf einen Slam geht, um ihn zu gewinnen hat Slam - meiner Meinung nach - falsch verstanden.
Man kann das anders sehen. Aber so sehe ich das.
Wenn du also demnächst auf einem Poetry Slam aufzutreten gedenkst, kann ich dir nur raten, ein paar Fragen für dich zu beantworten:
Was ist Poetry Slam für dich?
Warum möchtest du das?
Möchtest du schreiben, oder lieber nur etwas geschrieben haben?
Möchtest du etwas sagen, oder nur vor Menschen in ein Mikrofon sprechen?
Möchtest du Menschen für etwas begeistern, oder nur ihre Begeisterung spüren?
Möchtest du Literatur machen, oder kannst du dir nur deine Witze so schlecht merken?
Möchtest du ein Gefühl in Worte gießen, oder dich einfach auf einer Bühne ausziehen?
Möchtest du ein Gewinn sein, oder nur gewinnen?
So, Opa ist fertig. Darauf jetzt ein Kräuterlikörchen. Und ein Schlusswort.
Es gibt so viele gute Gründe, auf eine Bühne zu gehen und Texte vorzulesen. Und so viele schlechte Gründe. Und die Gefahr ist da, dass einem das zu Kopfe steigt. Das Publikum, das Bier, der Applaus. Denn bis auf das Bier ist nichts davon für dich. Sondern nur für das, was du da tust. Wenn überhaupt. Und jetzt viel Spaß. Wir sehen uns. Und ich freu mich drauf.
®thorstenwulff |
Im September 2015 veröffentlichte Rowohlt seinen Erzählband »Morgen ist leider auch noch ein Tag«. Das hochgelobte Buch über Depression (Prädikat »Absolut lesenswert« in WDR 2 Bücher) stürmte wochenlang die Top Ten der Spiegel-Bestsellerliste. Aktuell tourt er mit dem gleichnamigen abendfüllenden Bühnenprogramm.
Im September 2017 veröffentlicht Rowohlt seine neue Erzählung »Immer schön die Ballons halten«
Ich möchte die Gelegenheit eines solchen Gastbeitrages nutzen und mich reflektieren, in dem ich ein paat der Fragen beantworte.
AntwortenLöschenWas ist Poetry Slam für dich und warum möchtest du das?
Es ist die Möglichkeit Menschen, die freiwillig sich auf unbekannte Inhalte einlassen, mit meinen Gedanken zu konfrontieren, zu unterhalten und die Energie zu übertragen, die Wörter haben können. Ich möchte das, weil ich mir sicher bin, etwas sagen zu haben, was Menschen wissen sollten, da es deren Leben beeinflussen kann und zu bekannten Problemen neue Perspektiven anbietet. Durch diesen Fortschritt kann dann vielleicht sogar die Gesellschaft ein bißchen besser werden.
Möchtest du ein Gewinn sein, oder nur gewinnen?
Besonders diese Frage finde ich spannend und wichtig. Gerade wenn mensch mit Slam anfängt, entsteht häufig der Eindruck, die Punkte wären irgendwie wichtig. Ich habe für mich inzwischen gelernt, dass die Punkte überhaupt gar nichts darüber aussagen, ob der eigene Text Wirkung hatte. Häufig habe ich an Slamabenden keinen "Erfolg" in den Punkten gehabt, aber dann viel Kontakt mit Zuschauer*Innen gehabt, die sich mit mir über den Text austauschen wollten. Menschen, die mir sagen wollten, dass sie das Gehörte berührt/erreicht hat. Wenn ich dieses Bedürfnis ausgelöst habe ohne den Wettbewerb zu gewinnen, habe ich ja sehr wohl was gewonnen: Die Köpfe, statt der Punktwertung.
Tobi, du darfst ruhig öfter Gast sein. ;) Schöner Beitrag und gute Fragen, um sich mal selbst zu reflektieren.
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