Mut
Entschuldigung,
aber der Wind steht bedrohlich nach Westen. Wolken, die von kommenden Ereignissen zeugen, rasen tiefschwarz auf festen Bahnen. Fliehend vor etwas, unsichtbar im Herzen der Stadt steckend. Unter finsterstem Himmel liegend, bedrohlich, aber Neugierde weckend. Kein Tropfen stürzt aus den dicken Wolken, sind sie aber doch bis zum Bersten gefüllt. Sie scheinen eher bald zu platzen, auch Blitze lassen auf sich warten, obwohl die Luft schon donnerlos vibriert. Die Häuser neigen sich zu und unter leisem Knirschen steht Großstadtstaub aus Fugen und Ritzen in den Augen, wie Wüstenwind, nur ohne jegliche Wärme.
Ein inneren Antrieb zieht meine Schritte zum Zentrum dieses seltsamen Sturmes hin, der nicht beginnen will und trotzdem schon längst angefangen hat. Ein unsagbarer Stachel muss dort verankert sein, in der Haut eines Ortes, den ich doch liebe. Auch wenn der Wind mit knallenden Fenstern und brechendem Astwerk von Gefahr deutet, lockt es mich, wie farbenfrohe Blüten die Bienen locken.
Tragenlassen will ich mich von der Rennhaftigkeit der Lüfte, doch kaum spürt mein Ziel mich, wendet sich alles. Mit wässrigen Peitschen schlägt mit der Wind entgegen und die Wolken so tief, dass sie wie Rauch in den Lungen brennen. Mit tränenden Augen, mit schwachem Arm als Visier, werfe ich mich immer wieder in die Wellen; versuche ungreifbar und doch bodenverwurzelt einen Stoß mit dem Fuß vor den nächsten zu setzen. Das alberne Knochenwerk, das ich meinen Körper nenne, beeindruckt kaum das Spiel der Gewalten. Näher, komme ich trotzdem.
Als Boten ausgeschickt, rennen welke Blätter, die von grünstem Leben strahlen müssten, entgegen und kreischende Menschen stürzen aus den Bäumen. So sehr auch die Angst in ihren gesplitterten Augen steht, so stellen sie auch dröhnend laut die Frage, weshalb ihnen denn niemand hilft? Weshalb ich ihnen nicht helfe?
Mit Hoffnungs Tinte schreibe ich mir den Namen jeder Frau und jedes Mannes innerlich auf die Knochen, mit brennender Feder, niemals vergessend für wen ich die Reise antrete, und beginne, mit abnehmendem Glauben in die Macht meines verschlossenen Feindes, im Lauftempo zu zu nehmen. So erwächst aus dem Laufen ein Rennen und in den Knospen, trägt sich ein Sprint, der den Sturm bricht, der mich erschlagen soll. Er bricht nicht nur, sondern lässt mich seine Kleider tragen, so dass ich dann in das innerste der Stadt stürmen kann.
Die Zeiger meiner Uhr beschleunigen sich und doch geschehen die Ereignisse verkehrt herum. So geben die wuchtigen Kanaldeckel das Wasser ab, anstatt es zu sammeln. Glockentürme schlagen auch neben den Stunden. Straßenlaternen versuchen am Tage zu blenden, versenken neben dem Schwarz der Himmels ein seltsames Orange. Absonderheiten dürfen nicht entscheidend werden und so stürze ich weiter.
In den Gastronomien vibrieren, wie von Erdbeben getrieben, die Scheiben in ihren Rahmen. Wie Luftballons stehen druckreiche Kessel unter den Zapfhähnen und hitzig pfeifen sie Schaum aus. Pils-Sporen durchtränken die Luft und ich fange an mich ganz wohl im Unwohlsein zu fühlen. Fange an, mich in der Kurzatmigkeit meines Gedächtnis aufzugeben und erfreue mich der plötzlich aufkeimenden Kreativität in meiner Schrittfindung. Mein Feind drückt mir sein Tempo auf, will mich auf seine Seite holen.
Singt mit den Stimmen der feinsten Sirenen meiner Stadt um meinen Kopf, ein sanftes Lied, dass mich zu ihrer Bettruhe lädt. Die Scheiben der Gastronomien zerbersten, so dass es mein Herz nicht tun muss und die wundervollen Engel um tanzen mich mit Blumenkränzen, fahren mit weichsten Fingern über Narben, tief in meinem Innersten, die sehnsüchtigst nach kussfeuchtem heilendem Balsam lechzen.
Doch in meiner geistigen Ohnmacht, ruft eine Stimme meinen Namen. Erinnert mich, weshalb alle die Engel überhaupt so hell leuchten können, zeichnet mir mit schwacher Kohle ein dünnes Bild aufs Papier. Ein Schlag, von schwungvollster Erkenntnis, drückt die Trunkenheit aus mir hinaus und bringt meinen verschwommenen Körper, gerade noch im Tanz verloren, zurück in seinen Spurt. Zurück, dem Herz den Stachel zu ziehen, der den Engeln erst den dunklen Hintergrund geschaffen hat.
Und so folge ich nicht mehr dem Pulsieren in den Adern, das gelüstet und vergnügt ist, sondern dem Rhytmus des Herzen der Stadt. Will finden, welcher Dorn in ihm steckt und weshalb sich überhaupt mir dieses Bild so prägt. Will schauen, woher der Schaden rührt, der noch immer das Firmament seiner Farbe beraubt und das Wetter seinen Gesetzen. Die Namen in meinen Knochen kochen, je näher ich dem Ziel wohl komme und mein Schwur wiegt auf in Gold, nur ich kann diese Stadt retten.
Ein Schwarm Raben steigt und senkt sich immer und immer wieder zu meinen Füßen, doch Angst wird mir nicht mehr aufkommen, sie wird meinen Weg nicht kreuzen. So kreuzen aber fiese Wasserspeier auf Simsen meinen Blick, wo sie niemals zuvor sesshaft waren. Mit glühenden Augen werde ich beobachtet und gemustert, ich spüre, mein Ziel ist nah.
Hinter morsch verbrettertem Türwerk dann, finde ich, was ich nicht zu erwarten traute. Von einfachster Form steckt dort im Boden, ein schwarze Scherbe,zu undurchsichtig für Glas, zu zerbrechlich für Metall, die ich mit sanftestem Griff entferne, aus dem, was ich als Hauptschlagader eines ganzen Stadtkörpers realisiere.
Während am zerschossenen Horizont die Sonne beginnt mit klarsten Strahlen die Erinnerung an diese dunkelste Nacht zu tilgen, da zischt mit letzter Kraft eine Stimme aus der Scherbe:
"Wir sind die Knechte die der Untergang schickt, heute ist der Umwurf nicht geglückt, doch solltet ihr in eurem Sieg nicht verharren, wir jagen dich wieder, in genau sieben Tagen." Und ich spüre, wie die Scherbe in meiner Hand zu einer Träne wird, die so gleich, noch bevor sie den Boden berühren kann verdampft. Für eine und über eine Nacht habe ich wohl gesiegt, aber einen Feind gefunden, mit dem ich rechnen kann.
Und deshalb, sehr geehrter Herr Schodlok, werde ich am Mathe-Unterricht freitags in der achten Stunde nicht teilnehmen können und bitte dies zu entschuldigen.
Mit freundlichen Grüßen,
Jay Nightwind
Sehr gut, sehr lyrisch, sehr dramatisch, sehr tolle Bilder ... und sehr überraschend pointiert, hatte ich das einleitende "Entschuldigung", bis ich zuende gelesen hatte, doch schon längst wieder verdrängt ;-)
AntwortenLöschenDieser Text ist 100% Jay. Ein wirklich wirklich großer Text.
AntwortenLöschenMeine liebste Pointe bisher, würde ich sagen.
AntwortenLöschenVerwirrende wie intensive Bilder.
P.S.: Nach dem ersten vollkommenen Durchlesen ist "einen Feind gefunden, mit dem ich rechnen kann" noch genialer.
Ich kann mich meinen Vorkommentatoren nur anschliessen: ganz gross. Wunderbar, wie du mich wahnhaft deine Schilderung erlesen lässt.
AntwortenLöschenDanke sehr.
AntwortenLöschenAn den Träger:
Und genauso war der Text gedacht, äußerst erfreulich, dass er auch wirklich funktioniert.
An Ilja:
Danke, wüsste gerne mal was ein 100%-Text kann/können muss?
An Citara:
Ich hoffe ja, dass das gleichzeitig deine Sehnsucht nach Stimmungsvollen Kurzgeschichten stillt.
An Madse:
Danke sehr. Es freut mich immer sehr, wenn so ein Text so gut ankommt.
Durch euer positives Urteil habe ich ihn auch direkt mal auf einem Slam gelesen und es hat riesigen Spaß gemacht.