Friend in Need #4 - Hauptsache Fahrstuhl

"Du musst erst den anderen sehen." - "Nein, das andere Knie ist viel dünner!" - "Alexandra hat etwas an mir getestet, was sie beim Wrestling gesehen hat." - "So bring ich mehr Kraft auf's Gaspedal." - "Batman ist in meine Küche gestürzt."
Ich habe es mit allen möglichen Sprüchen versucht, die Fragen nach meinem Knie abzuwehren, ironischerweise haben alle erst bei der Wahrheit gelacht und mich als Scherzkeks abgetan. Merke: Wenn dir etwas sehr skurilles passiert und es darf keiner wissen, erzähl es einfach, es wird dir eh niemand glauben!

Wobei es wichtig ist klar zu definieren, was skurril ist. Wer auf Vanatu lebt und dort zum Beispiel erzählt, dass ein Vulkanausbruch ihn überrascht hat, wird keine besondere Aufmerksamkeit bekommen. Und wer ihn New York eine Berühmtheit trifft und das dort noch erzählen will, der kann lieber nach Vanatu fahren und es dort erzählen. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob da wiederum die selben Menschen berühmt sind.

Wenn also in einer kleinen New Yorker Pizzeria eine Bestellung für den Stark Tower eingeht, dann denken die Pizzaboten eher "Hoffentlich gibt es einen Fahrstuhl!", als darauf zu achten, dass es sich um den Wohnsitz von Iron Man handelt. Schon gar nicht, wenn am Vorabend dein Knie von Batman zerschossen wurde.

Eine meiner schlechteren Angewohnheiten ist es, während der Fahrt im New Yorker Abendverkehr einhändig in meinem Handy rum zu spielen. Das mag jetzt gerade nicht wichtig sein, aber mir ist gerade eingefallen, dass mir auf meiner letzten Fahrt an dem Abend Alexandra noch eine Nachricht schickte und fragte, wo ich denn sei, weil sie gerne mit mir reden wollen würde.

Ein Fahrstuhl! Ich war sowas von gerettet! Etwas skeptisch war ich schon, dass mich die komischen Leute von der Sicherheit so hart angingen, dann aber darauf bestanden, dass ich die Pizza selber hochbrachte, aber jeden Schritt den ich mit meinem dicken Klumpknie nicht machen musste, feierte ich wie Silvester am Times Square. Guckt euch Videos an, es ist der Wahnsinn dort.

Pizzaboten gucken nie direkt in die Tür, wenn sie schon davor stehen und sie noch nicht offen ist. Wir gucken auf den Boden und lassen es so aussehen, als würden wir nochmal die Bestellung prüfen. Wenn manche von uns dabei Wippen ist das nicht der Zeitdruck im Nacken oder Freude am Job, sondern immer die Angst, da könnte ein sehr alter, sehr sehr nackter Mensch in der Tür stehen. Von unten hinaufschauend ließ sich so dann der Pizzakarton so halten, dass nichts zu sehen war, was einem selbst den Appetit verderben könnte.
Daher sah ich auch nicht sofort wer da stand, aber als ich ein kritisches Alter ausschließen konnte und den Bademantel hochblickte, merkte ich, dass ich bald in Vanatu eine ziemlich fetzige Geschichte zu erzählen hätte. Da hatte ich aber auch noch keine Ahnung.

"Sie sind doch Tony Stark!" spuckte ich sofort aus und wurde ähnlich hart von der Erkenntnis getroffen wie vortags am Knie. "Aaaaah, Stark Tower, ich verstehe." Tony Stark, selber auch mit einem feinsinnigen Intellekt beschenkt, schmunzelte ein wenig, wobei ich heute immer noch glaube, dass er einfach vergessen hatte mich aus zu lachen. "Kommen sie rein, legen sie die Pizzen einfach da drüben auf den Tisch."

Ich passierte den Mann, für dessen Menge an Guthaben ich nicht mal ein Zählwort kannte. Milliardär wäre in jedem Fall noch zu wenig. Eine gute Frage an dieser Stelle wäre gewesen: "Warum bestellt er billig Pizza bei uns, wenn er von Sterneköchen bedient werden kann?" Ist mir leider nicht eingefallen. Zum Glück ist mir aber wieder eingefallen, dass ich a) als Pizzabote hier bin, b) hier nach Feierabend habe und c) ich eigentlich diese Ultrareichen nicht mochte. Da fehlte einfach die Verhältnismäßigkeit und der Bezug zu jeglichem Besitz oder Wert. Deshalb gingen die auch so inflationär mit den Gebäuden und Fahrzeugen in Städten um.

"Was denken Sie", begann er eine Frage und ringte um meine Aufmerksamkeit, die mit statusneidischem Blick ausrechnete, wie oft meine Wohnung hier wohl reinpassen würde, "was belebt das Geschäft?" Rhetorische Fragen - sollte ich noch lernen - sind eine Superkraft, die sie alle hatten. Wirklich. Alle. "Qualität.", sagte ich, mit der Überzeugung, dass das meinem Chef gut gefallen würde. Tony Stark quittierte das auch mit einem Lächeln, schüttelte aber den Kopf. "Konkurenz." Ich ahnte einen schrecklichen Monolog von ihm, aber diesen zu führen, hatte er mir überlassen und kam direkt von der Einleitung zur Intention: "Warum hat Bruce Wayne ihr Haus gekauft?"

Es ist eine Aufgabe aus einem Rätselheftchen. Sie sind ein Kumpel von Batman, vor Ihnen steht Tony Stark, Er ist Iron Man, Wayne Industries hat ihr Haus gekauft, Welcher Wochentag ist es? Und noch viel wichtiger: Sagen sie einem Helden der mehrfach die Welt gerettet hat die Wahrheit? Auch wenn das bedeutet, einen anderen Helden der mehrfach die Welt gerettet hat zu verraten?
Und "What would Batman do?" nützt hier leider gar nichts, denn leider hatten wir nicht darüber gesprochen, wie er zu der Geheimhaltung der ganzen Geschichte stand. Mein Problem war jetzt aber auch schon ein ganz anderes: Ich hatte viel zu lange gebraucht, um jetzt noch effektiv lügen zu können.

"Ich habe keine Ahnung.", sagte ich, was zumindest nicht zu 100 Prozent falsch war, aber halt auch nicht so richtig wahr. Ich war mir nicht sicher, ob Tony Stark mir glaubte, ich hätte mir auf keinen Fall geglaubt, aber ich kannte mich auch schon länger. Es wäre vermutlich ein leichtes für Stark gewesen mich einfach mit einem seiner technischen Hilfsmittelchen zu untersuchen, ob ich schwitzte, erhöhten Puls gehabt habe und so weiter, aber wenn meine Einschätzung und die Boulevard-Presse recht hatten, dann war er eher ein Spieler und weniger der berechnete Typ.
Er spielte jedenfalls auf Zeit.

"Setzen Sie sich doch, Steward, sie haben jetzt doch eh Feierabend." Dann zeigte er auf eine Wohnzimmerecke, die zwar selbst recht gemütlich aussah, mit den Gorillas die dort saßen aber nicht so richtig einladend war. Alles Leute von SHIELD. Das Logo kannte ich aus den Nachrichten.

Als ich dann saß, Tony Stark hatte mir gegenüber mit seiner Pizza Platz genommen, kam ein anderer Mann aus dem Hintergrund dazu und da Stark keine Ambitionen mehr zeigte sich mit mir zu unterhalten, ging ich davon aus, dass jetzt jemand anderes mit mir das Gespräch führen würde.
Ich erkannte nicht gleich, dass er eine Augenklappe trug, der lange Mantel unterschied ihn schon ausreichend von den anderen SHIELD-Agenten.
"Mister Steward, ich hoffe sie sind sich der Wichtigkeit unserer Befragung bewußt, immerhin könnte es hierbei um nicht weniger als die nationale Sicherheit gehen." Ich hätte nicken sollen oder schlucken, leider zuckte ich mit den Schultern und gab ein flapsiges "Wenn Sie das sagen." zurück. Tony Stark schaute ein wenig erstaunt auf, kaute auf seiner Pizza und während der Agent sich schwer theatralisch jetzt mit seinem vernarbten verklappten Auge zu mir drehte und wütend schaute, attestierte Stark: "Die ift efft gut!".
"Selbst wenn Sie sich der Wichtigkeit bewußt sind, sind sie sich scheinbar nicht der Ernsthaftigkeit der Situation bewußt." Ich bemühte meinen neutralsten Gesichtsausdruck, aber leider gelang er mir nicht besonders gut. Der Agent wurde zunehmend lauter: "Wir Überwachen mit unseren Helicarriern und Satelliten die gesamten U.S.A. Und gestern Abend haben wir urplötzlich einen blinden Fleck auf unseren hochwertigen Computern" – "Die hawbe iff alle enworfen!", schmatze Stark total bescheiden dazwischen. - "der dann in Ihrer Wohnung endet. Die Satellitenbilder zeigen eindeutig, dass da was reingekracht ist. Dann passiert aber nichts mehr. Also Mister Fin, was haben Sie uns zu sagen?"

Menschen haben in den unterschiedlichsten Momenten Schneid. Oder wie wir es amerikanisch sagen: Balls. Eier. Wir haben alle unseren eigenen Moment, an dem wir Eier haben. Manche haben sie jeden Tag und kämpfen gegen große Hindernisse an, manche sparen sich das für besondere Momente auf und haben dann aber besonders viele davon. Große? Viele? Kann diese Redewendung gesteigert werden? Egal. Sie ist eh recht dumm.
So oder so: Ich habe meinen Schneid wirklich immer im falschen Moment. IMMER.

"Sie überwachen ganz New York auf Gefahren, haben dann Angst das etwas passiert ist, warten dann aber einen Tag bis sie reagieren? Und anstatt meine Wohnung zu durchsuchen belästigen Sie mich auf meiner Arbeit? Vielleicht sind Sie sich der Wichtigkeit ihrer Aufgabe nicht bewußt?" So wie das, was mich in diesem Moment traf, stellte ich mir das Gefühl vor, wenn man von einer einfahrenden U-Bahn getroffen wurde. Mein Unterkiefer glühte auf und als ich dann hinter dem Sofa auf den Marmorboden stürzte, begann auch endlich mein Körper sich vor Schmerz zu krümmen.

Aus meinem Augenwinkel erkannte ich, dass Stark lächelte. Vielleicht hätte ich ihm auch zurück gelächelt, über meine Dummheit, ich bin damals aber lieber bewußtlos geworden. Das stand mir besser.

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