The Process

Sportler*innen leben in Saisons. Entweder nach dem Spielplan der Liga oder durch Qualifikationen für Turniere und Wettbewerbe. Die Kalender jedes Jahr sind sich recht ähnlich, es gibt Wettkampfphasen, es gibt Ruhephasen, es gibt Aufbautrainings, es gibt Zeiten im Jahr wo bestimmte Orte auf der Welt sich zu absoluten Sammelbecken der Kooperation und des Trainings, oder eben des Wettbewerbs verwandeln. Wenn Sportler*innen sich also ihrer Sache sicher sind, dann ist eigentlich immer was los, immer die nächste Sache schon im Anmarsch.

Bei Künstler*innen ist das nicht anders. "Artists are the new Athletes" fliegt als Zitat durch das aktuelle Jahr, eine Modemarke benennt sich direkt nach dem Spruch. Und auch Künstler*innen haben teilweise Saisons, dann gibt es den Festivalsommer, die Wettbewerbe haben immer die gleichen Fristen, die Förderungen haben auch ihre bestimmten Zeitfenster im Jahr, die Verlage haben gewohnte Zeitfenster und die Vorsprechen und Bewerbungsfenster für die hochwertigen Kunstschulen sind auch meist zur gleichen Zeit.

Und es geht dann bei all den romantischen Komponenten vom Schöpfen, bei all dem spirituellen Gewinn davon aktiv zu sein, eben doch auch immer mal wieder um Leistung. Wie ist meine Leistung in dieser Saison? Wo stehe ich im Vergleich? Wie fleißig sind die anderen? Wieviel und was produzieren die? Wo haben die mitgemacht? Wo gewonnen? Wo stehe ich am Ende diesen Monats? Habe ich Follower*innen gewonnen? Wieviele Likes habe ich?

Alles egal, sagt Nick Saban. Der ist eigentlich Football-Coach und hat "Process Thinking" prominent gemacht im amerikanischen Sport. Und ich musste direkt an den Philsophen Alan Watts denken. Denn Beide machen Werbung dafür, sich auf das jetzt zu konzentrieren. Und das stimmt. Denn wenn wir jetzt Kunst machen wollen, dann müssen wir malen, tanzen, schreiben, proben, spielen und jedes Nachdenken über die Vergangenheit oder Zukunft ist eben nicht malen, tanzen, schreiben, proben, spielen. Autor und Philosoph Ryan Holiday schreibt dann recht passend: "Es ist wichtig was wir in unseren Sekunden machen, denn die ganze Saison besteht aus Sekunden."

Und ob Sport oder Kunst, das stimmt. Wenn wir nicht versuchen in vielen kleinstmöglichen Momenten erfolgreich zu sein, wird der große Erfolg auch nicht kommen können. Es ist eine Sekunde Unachtsamkeit, die uns mit dem Fuss umknicken lässt oder mit dem Stift über etwas drüber malen, was wir nicht wollten. Natürlich können wir nicht jede Sekunde alles kontrollieren, aber wenn wir die Momente in denen etwas schief gegangen ist schnell loslassen, dann fangen wir eben wieder von vorne an und müssen nicht einen Trend oder eine empfundene Entwicklung bekämpfen.

Das Step-By-Step-Denken wurde nicht von Saban erfunden, aber Psychologe Aaron Beck in den 1960ern entwickelt. Dabei war die Grundüberlegung, dass unser Denken unsere Gefühle formt und wir deshalb Angewohnheiten entwickeln müssen, die uns helfen. Und Angewohnheiten kann mensch am leichtesten in vielen kleinen Schritten anlegen.

Saban hat für sein Football-Team die ganze Saison in die kleinsten möglichen und umsetztbaren Einheiten aufgeteilt. Dadurch soll der Blick auf Hindernisse der Zukunft oder scheinbare statistische Schemata so aufgelöst haben, dass eben nur auf den nächsten Schritt und seinen Erfolg geschaut wurde. Eine Mentalität die mit sportlichen Erfolgen belohnt wurde in Sabans Fall. Denn die Spieler konnten besser und leichter Verantwortung für ihre Aufgaben und Fertigkeiten übernehmen.

"Die Saison besteht aus Sekunden", ein Satz, den ich mir abgeschrieben habe und vielleicht auch gerahmt ins Zimmer hänge. Zu oft bin auch ich darauf reingefallen, dass ich wollte, das meine Vergangenheit für mich arbeitet oder war zu fixiert auf ein mögliches Problem der Zukunft. Auch jetzt werde ich manchmal übervorsichtig wenn ich mit anderen Menschen Projekte bespreche und plötzlich darauf reinfalle Prognosen für Dinge abgeben zu wollen, von denen ich nicht mal weiß, welche Faktoren sie alle beinhalten. Anstatt also direkt in die Zukunft zu schweifen, wäre es auch für mich besser im jetzt und hier zu bleiben. Philsoph Alan Watts sagt, dass das eh alles ist, was wir haben. Denn auch das Erinnern, auch das Vorhersagen, dass machen wir im Jetzt. Und dieses Jetzt brauchen wir für was anderes. Denn jedes unserer Werke ist auch aus Sekunden gemacht.

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