Gib den Leuten nicht was sie wollen

Es ist lange her. Es war ein Slam irgendwo im Nirgendwo, irgendwo im Sauerland hinter Dortmund. In einer umgebauten Tankstelle, die jetzt ein Frisörsalon war und aber auch beschlossen hat, jetzt mal Kulturveranstaltungen zu machen. Es war eine kleine nette Veranstaltung und unser Line-Up sehr aufeinander eingestellt, aber irgendwie nicht auf den Abend und das Publikum. Irgendwie fanden wir alles seltsam, aber auch weil wir zum einen selbst noch gar keine gute Ahnung hatten was wir da tun, zum anderen aber auch nicht verstanden hatten was es bedeutet, wenn ein Publikum keine Erfahrung mit Veranstaltungen hat. Wir waren zu viert, der Modus war, dass alle zwei mal lesen und wer die meisten Punkte aus den ersten Runden hatte, durfte im Finale nochmal.

In der Pause haben wir uns einen Moment unters Publikum gemischt, dann aber auch draußen am Auto eine Lagebesprechung gemacht. Ich hatte aufgeschnappt, dass das Publikum die Texte gerne mitlesen können würde, sie waren Theater oder anderes gewohnt. Außerdem fanden sie bei einem Künstler im Line-Up toll, dass er etwas witziges anbieten wollte, waren aber irritiert, dass er sich gegen eine Reimform entschieden hatte. Es hieß Poetry Slam, die Leute wollten Poesie, Drei von Vier hatten in der Vorrunde gereimt, er nicht. Drei von Vier waren ernsthaft, er nicht. Er war sonst mit witzigen Texten sehr erfolgreich, heute nicht. Und dann hat irgendwas in im geklickt, seine Haltung sich geändert und er meinte, "Okay, die wollen Poesie, aber die kriegen nicht, was sie erwarten."

In Runde 2 hat dieser Künstler in seiner Anmoderation angekündigt: "Ich habe gehört, dass ihr gerne Reime und Poesie wollt. Okay, ich jetzt kommen Zehn Gedichte über fickende Tiere." Wir Auftretenden haben gelacht, das Publikum erst, als er angefangen hat. Die Stimmung im Raum hat sich im Vergleich zur ersten Runde aber plötzlich gelöst und wenn auch wieder anderen eher ernsthaft weiter gemacht haben, war die Interaktion, die Aufmerksamkeit eine andere. Ich war damals sehr beeindruckt.

Mein Bühnenkollege Malte Küppers meinte neulich in einem Gespräch zu mir, dass er toll findet wieviele ernsthafte und wichtige Themen auf der Bühne angesprochen werden, aber er selbst kann das auf Bühne gerade einfach nicht mehr. Er will einfach nur Quatsch machen. Und dann hat er mir eine Anekdote erzählt, wie er auf einem Slam eine Sammlung unfertiger Gedanken und Witze am Publikum getestet hat. Alle hatten eine gute Zeit, im Wettbewerb hatte er damit keinen Erfolg, aber dem Abend hat es wohl gut getan.

Sehr oft in meiner Laufbahn habe auch ich auf ein Publikum geguckt, geschaut wie andere Texte an dem Abend gewertet haben, hab auch durchaus auf meine Vorurteile über den Ort geguckt und dann meine Textauswahl so getroffen, dass die Leute "etwas hören, was sie nicht hören wollen". Dabei ging es nicht immer um schlimme Dinge, aber eben durchaus um Themen und Arten und Weisen, die ein Publikum ein wenig schubsen, ein bisschen zwingen etwas zu hören, dem sie vielleicht sonst nicht begegnet wären. Auch andere gehen auf die Bühne um Themen anzubieten, die sonst überhört werden würden.

Henry Ford wurde mal ein Zitat zugeordnet, dass wenn er die Leute gefragt hätte, was er erfinden soll, er ein schnelleres Pferd hätte züchten sollen. Stattdessen hat er aufs Auto gesetzt. Und wenn auch wir gerade die Kehrseiten dieser Erfindungen abbekommen, hat seine Ignoranz eines Publikums bewirkt, dass es Innovation gibt, ein neuer Standard gesetzt wird und sich auch die Bedürfnisse von Publikum verändern. Und das hat was damit zu tun, dass Publikum sich oft aus der Auswahl von Dingen etwas wünscht, was sie schon kennen. "Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht", höre ich Mitglieder meiner Familie sagen und ich kann nicht belegen, aber auch nicht widersprechen, dass es so nicht ist. Ich kann aber sicher sagen, dass wenn wir die Kunst für ein Publikum machen, dass sie dann ein Produkt ist und vielleicht nicht mehr Kunst.

Zur Zeit bin ich Teil des Ensembles einer Produktion in einem Musiktheater. Ich trete also in einer Oper mit auf, allerdings weder als Sänger, Tänzer oder Musiker, sondern als Spoken Word Artist. Ein Novum an dem Haus, welches viele Theaterabos an viele Menschen mittleren und höheren Alters verkauft, Akademiker*innen zum Teil, da so etwas schon auch teuer ist, sicher auch finanziell-besser-gestellte. Nach dem Stück gibt es eine Phase, wo Publikum mit den Auftretenden in Kontakt treten kann. Und bei der Premiere, aufgeladen mit viel Energie, ein Prestige-Termin für Zuschauer*innen und die Gelegenheit von Ihnen auch sich mitzuteilen. Und uns wurde immer wieder gesagt, dass toll war was wir gemacht haben, aber das wäre ja nicht mehr Oper. Es gab Irritationen über unsere Kunst. Warum wir nicht Schauspieler*innen sind, dass unsere Texte selbstgeschrieben sind und nicht von einer Dramarturgie erstellt wurden. Aber wir waren Gespräch und die Oper wieder sehr interessant und Gegenstand von Diskussionen. Eines der Ziele des Projektes. Hätte dieses Publikum es sich aussuchen können, hätten sie eine ganz normale Oper bekommen, klassisch inszeniert. Und sich vermutlich gelangweilt. Weil alles gewesen wäre, wie sie es schon kennen und erwarten. Mensch kann auch so sehr in der Komfortzone sitzen, dass mensch droht durch die Sofaritzen ins Polster zu fallen. Wir haben bieten einen aufregenden Abend an, weil es Teile im Abend gibt, wo die Zuschauer*innen nicht bekommen, was sie erwarten. Und dadurch alle erwarteten Teile aber auch ihre Besonderheit zurück gewinnen.

Wer selbst Kunst macht kann sich das gut fragen, ob er/sie/they ein Produkt abgeben möchte, dass möglichst leicht zu mögen ist, allem sehr ähnlich und dadurch aber auch schlecht wieder zu erkennen (Hallo K.I.) oder ob es uns wichtiger ist etwas anzubieten, was uns und unsere Missionen vertritt, auch wenn es andere Irritieren kann oder nicht ist, was sie erwarten.

Gib den Leuten nicht was sie wollen, denn oft wissen sie gar nicht, was sie brauchen.

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