Nanda: Ohne Titel

Zum ersten Mal ist es passiert als ich noch ganz klein war. Es geschah auf den Spielplatz. Eigentlich ein Ort, an dem ich mich, bis dahin, sehr sicher und geborgen fühlte. Sanfte Sommerbriese, leises Blätterrascheln, die Strahlen der langsam untergehenden Sonne wärmen meinen Rücken. Ein Tag der, so wie immer, langsam auslief.

Dann kam jemand, sprach mich an, machte mir Versprechungen, wollte sich mit mir beschäftigen. Alles hörte sich gut an, und ich dachte, es wäre eine schöne Idee.

Doch dann nahm alles einen anderen Lauf. Ich wurde plötzlich eingeengt, in Bahnen gelenkt, in die ich gar nicht wollte. Aber ich konnte mich auch nicht wehren. Ich war ganz und gar gefangen. Jedes Mal, wenn ich versuchte mich zu wehren, zu befreien, stieß ich mich. Es tat weh, ich fiel hin. Wurde schmutzig. Ich versuchte mich aufzuraffen und en Schmutz von mir abzuklopfen.
Doch alles was ich dafür bekam war ein Schlag ins Genick. Ich fiel wieder in den Dreck.
Als man mit mir fertig war, als alles aus mir herausgeholt wurde, bis nichts mehr ging, wurde ich einfach weggebracht und mir selbst überlassen.

Was blieb war der Schmutz, der sich nicht mehr ganz wegwaschen ließ. Wie ein grauer Schleier, der sich über mich gelegt hatte.
Und es blieb die Erkenntnis, dass ich nichts dagegen hätte tun können. Nichts.

Danach ging ich einige Zeit allein meine Wege. Ich versuchte mich reinzuwaschen, loszuwerden was mich belastete, alles abzuschütteln und loszuwerden. Doch diese Geschehnisse sollten von nun an immer ein Teil von mir bleiben.

Aber bemühte ich mich trotz allem wieder in ein Leben zurückzufinden. Und so suchte ich mir neue Wege.
Als mein Leben so vor sich hinplätscherte kam plötzlich etwas aus dem Hinterhalt! Dieses Mal wurde alles was mir vorher schon angetan wurde wieder angetan. Nur schlimmer. Ich hatte keine Ahnung, wie unendlich quälend es sein kann, für fremde Zwecke benutzt zu werden.
Wieder wurde ich eingeengt, eingesperrt. Wieder wurde ich in fremde Bahnen geleitet. Wieder versuchte ich mich zu befreien. Und wieder musste ich feststellen, dass ich allein zu schwach war. Jedes Mal, dass ich versuchte mich zu wehren, zu befreien, stieß ich mich. Es tat weh. Ich versuchte mich aufzuraffen und den Schmutz von mir abzuklopfen. Doch alles, was ich dafür bekam, war ein Schlag ins Genick. Ich fiel wieder in den Dreck. Dieses Mal mit dem Gesicht.

Als alles vorbei war wurde ich abgeladen, einfach in die Gosse geworfen, mitten auf der Straße. Und alle konnten es sehen. Und alle konnten es hören, wie man ihnen sagte, dass sie sich nicht um mich bemühen sollen, ich käme schon alleine klar.

Bei den folgenden Malen waren auch diejenigen beteiligt mich zu quälen, die mich auch schon in der Gosse liegen sahen. Sie schienen mich zu brauchen, hatten ein unbändiges Verlangen nach mir. Als ginge es um Leben und Tod. Sie sahen wie ich litt, sie zahlten dafür mich zu benutzen. Sie waren abhängig, süchtig nach mir. Sie machten sich erpressbar. Niemand achtete darauf wie es mir ging. Ich war am Ende.
Man konnte mich nicht mehr immer dann benutzen wann man wollte oder brauchte. So fingen diese Menschen an um mich zu kämpfen. Dabei wurde ich immer wieder gestoßen, es wurde an mir herumgezerrt. Ich hatte offene Wunden. Alte Narben. Ich war unendlich schmutzig. Ich war krank.
Trotzdem wurde ich weiter herumgereicht. Immer an den geraden Stärksten. Doch selbst der Stärkste wurde wegen mir auch krank. Man versuchte mich wiederaufzubereiten, um mich wieder konsumieren zu können.
Doch nicht alle konnten davon profitieren. Manche wurden genau so krank wie ich. Diejenigen, die mich nur benutzen konnten wenn der Kurs gerade günstig war. Viele starben sogar.

Doch das unendliche Bedürfnis nach mir, da mich zu benutzen die Menschen sich lebendiger fühlen ließ, schreckte niemanden von den Gefahren ab.
Das zerstörerische Verhalten, wie mit mir umgegangen wurde, übertrug sich auch auf alle anderen.
So stehen wir jetzt kurz vor dem Kollaps.

Und ich, diejenige die euch am meisten helfen könnte, weil ich bin die Quelle des Lebens, ich bin das Wasser, ich bin von euch zerstört worden.


Anmerkungen:
Diesen Text hat Nanda im Rahmen eines Poetry Workshop auf der Winterschule 2010 geschrieben und vorgetragen. Wie auch im letzten Jahr sind die Texte aus diesem Workshop so gut, dass ich sie euch nicht vorenthalten möchte. Leider liegen mir noch nicht alle Texte vor, daher kann es gut sein, dass sie sich etwas mehr verteilen als im letzten Jahr.
Es gehört schon Mut dazu einen Text zu schreiben, der in seinen Bildern auf Vergewaltigung und Missbrauch deutet und ihn dann auch noch auf die Bühne zubringen. Ursprünglich hatte Nanda keine Idee worüber sie schreiben wollte und dann stand sie plötzlich mit diesem Text vor uns. Ich war/bin beeindruckt.
Auch dieses Mal wäre es schön, wenn ihr der Autorin eure Kommentare hinterlasst.

Nachtrag:

Kommentare

  1. Sehr gut! Für mich stilistisch und sprachlich feiner, als die letzten Texte. Ich frage mich allerdings, ist der übergeordnete Stil, aus nicht sofort deutbarem bzw. zuerst mehrdeutigem Blickwinkel zu schreiben ev. vorgegeben? Bisher taten das alle vorgestellten Texte, was es vorhersehbarer macht, als stünden die Texte allein.

    Mir kam beim Lesen sehr schnell das Bild des verunstalteten Flußgottest aus "Chihiros Reise uns Zauberland" in den Sinn.

    Wie gesagt, gefällt mit ausgezeichnet. Dankeschön!

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  2. Gefällt mir wirklich gut!
    Noch mehr würde es mir jedoch gefallen mal wieder was vom Herrn Nachtwind zu lesen/hören. ;)

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  3. Nehme alles Zurück!
    Was fällt Dir auch ein in 24h drei Beiträge zu veröffentlichen. Und dann auch noch am Wochenende! ;P

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  4. An Citara:
    Es gab keine Vorgabe. Diese Perspektive ist aber natürlich immer sehr reizvoll, da sie einen Überraschungseffekt erlaubt.

    An den Imperator:
    Ich hoffe auch weiter wieder veröffentlichen zu können.

    An Jemo:
    Mach das. Es ist auch ein abstraktes Bild, das hier gemalt wird.

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