Kratia
Quelle: Stephan Krahwinkel |
Ich war einfach nur noch traurig. Von all den Möglichkeiten, die ich hatte, nutzte ich am Ende nur noch die falschen und enttäuschte nicht nur die, die mich mit ihren immensen Druckmitteln dazu zwangen, sondern auch diejenigen, die ich eigentlich auf meiner Seite wissen wollte. Das Fazit war eindeutig: Meine Zeit in der Politik war ein einziges Desaster.
Mein Verhängnis begann mit den Beziehungen zu einem kleinen, geradezu braven Konzern, der stets nach den vorgegebenen Regeln spielte. Mit dieser Strategie hatte der Konzern Erfolg. Ich hatte keineswegs Anteil daran, aber der Konzernleiter war ein guter Freund, für den ich mich freuen durfte. Zudem versuchte er nie, mich zu beeinflussen, was die Ausrichtung meiner Politik zu seinem Vorteil anging. Er nahm hin, was gefordert wurde oder sich änderte, und stellte sich auf diese neue Situation ein. Ein kleiner, pragmatischer und effizienter Konzern, der nichts mit den Großen im Geschäft zu tun hatte geschweige denn zu ihnen konkurrierte.
Dennoch gab es eine Gruppe, gerne als "Lobby" bezeichnet, die plötzlich auf diesen Konzern aufmerksam wurde. Sie sahen die gute Bilanz, nicht aber die clevere Strategie, die zu diesem Erfolg führte. Sie fühlten sich lediglich benachteiligt: Keine Steuervergünstigungen, Ärger mit der Justiz und vieles mehr. Sie spielten einfach nicht nach den Regeln, suchten ständig Schlupflöcher. Sie wurden nicht belohnt - schoben die Verantwortung dafür jedoch stets von sich.
Leider waren sie aber die Basis und der Schlüssel für meinen persönlichen Triumph. Gute Verbindungen, großer Einfluss und trotz fraglicher Methoden immenser Erfolg - dies wollte gewahrt werden. Sie hielten mich für einen Sympathieträger, jemanden, der nach außen hin die Führung übernimmt, loyal ihnen gegenüber agiert. Meine Vorhaben spielte ihnen zudem eher in die Karten als die meiner Konkurrenten. Nach ein wenig Einflussnahme durch die Lobby fiel die Wahl dann auch sehr eindeutig aus. Ich stand ganz oben.
Nun sollte ich neue Gesetze durchringen, dem kleinen Konzern damit eines auswischen, seine Leistungen geradezu unterwandern. Meine Moral war bereits nach kurzer Zeit, nach Drohungen und Auseinandersetzungen, von ihnen aufgefressen, ihr Druck auf mich zu hoch. Die anstehenden Neuwahlen machten die Situation nicht leichter. Ich benötigte sie als Verbündete. Mein letztes Fünkchen Gewissen sträubte sich jedoch. Ich stand nicht hinter dem, was ich plante zu tun. Dieser Funke hätte mein Berater sein sollen - denn er sollte Recht behalten.
Ich kämpfte - wenn auch halbherzig, was die Situation jedoch nur verschärfte - plötzlich für Gesetze, die nichts mehr mit meiner eigentlichen Idee zu tun hatten und verdrehte meine eigene ursprüngliche Situation. Am Ende führte dies dazu, dass ich in allen Bereichen scheiterte. Meine eigene Partei verurteilte mich für den Kurswechsel, der Bundestag ließ mich kläglich abblitzen und die Lobby hasste mich nun, weil ich zu "schwach" war, ihre Interessen durchzusetzen. Das schlimmste Gefühl war jedoch die sichtbare Enttäuschung, die ich beim Leiter des kleinen Konzerns hervorgerufen hatte. Auch er wählte mich anschließend nicht mehr. Es war vorbei mit meiner Karriere.
Als ich vom Gespräch mit der Lehrerin zurückkehrte, war mir schlecht. Schlecht, weil ich die Empörung meiner Lehrerin physisch spüren konnte; schlecht, weil mein Freund, der kleine Konzern bitterlich enttäuscht war, weil ich ihn hintergangen hatte, ihm seine Freizeit rauben wollte, obwohl er alle Wochenaufgaben erfüllt und sich seine Spielzeit verdient hatte; schlecht, weil ich nun an einem Tisch mit den Personen saß, die mich dazu aufgefordert hatten, meine Moralvorstellungen über den Haufen zu werfen, für sie zu agieren, nur weil sie an irgendwelchen Matheaufgaben scheiterten, und frustriert waren, dass sie sich ihre Aufgaben nun nicht selbst aussuchen und beispielsweise einfach etwas malen durften.
Empörung, Enttäuschung, Hass. Das waren sehr viele, starke Gefühle für einen Achtjährigen, der kurz zuvor einstimmig zum Klassensprecher gewählt worden war und seine Akzeptanz und vielleicht sogar gewisses Ansehen in seiner Klasse, bei seiner Lehrerin, die ihn eigentlich sehr mochte, und am allerschlimmsten bei seinem Freund verloren hatte.
Die Einsamkeit in diesem Moment, aber sogar noch Tage später, brannte sich in mir fest. Ich hatte mich selbst verraten, mich verstellt und von außen lenken lassen. Ich hatte schlichtweg nicht die Eier, mich gegen diese kleine Gruppe Mitschüler durchzusetzen, weil sie zu den "Coolen", zur Schulhofmafia, gehörten und somit das Sagen außerhalb der Klassenräume hatten. Von einem sowieso schon sehr ruhigen Schüler wurde ich geradezu zur personifizierten Introvertiertheit. Es sollte dauern, bis mir andere Freunde die Hand reichten. Die verachtenden Blicke der anderen spürte ich dennoch stets im Rücken.
In der weiterführenden Schule und auch im Studium hatte ich tatsächlich noch öfter die Möglichkeit, mich zur Wahl aufstellen zu lassen, weil andere in mir den geeigneten Kandidaten sahen. Sie kannten meine Vorgeschichte nicht. Ich lehnte stets ab - weil ich Angst davor hatte, erneut zu "schwach" zu sein, erneut meine eigenen Vorstellungen zu verraten. Meine Befürworter waren darüber stets enttäuscht - jedoch war diese Enttäuschung ein akzeptables Übel im Vergleich zu dem, was alternativ passieren könnte. Zudem verflog deren Missmut recht schnell.
Meine Zeit in der Politik hat mich einfach zu sehr geprägt. Ich will nie mehr dorthin zurück.
Meine Zeit in der Politik hat mich einfach zu sehr geprägt. Ich will nie mehr dorthin zurück.
Sehr cool! Musste den Text gleich zweimal lesen. So lange drumrumzuschreiben war sicher nicht leicht. Die Paralellen zur Politik sind clever!
AntwortenLöschenVielen Dank!
Löschen