Das menschliche Fernsehen

Die Tagesschau ist immer noch eine feste Stütze im Fernsehverhalten der Deutschen. 20:00 Uhr, das ist in vielen Haushalten die Uhrzeit, zu der diese Sendung den Zuschauer über das nationale und internationale Geschehen informiert. Krieg, Entscheidungen der Regierung, ein Kommentar, Sport, die Lottozahlen – die Viertelstunde ist im Nu vorbei, der Wissenshunger vorerst befriedigt. Später kommen dann die etwas ausführlicheren Tagesthemen. Wenn ich mehr wissen will, schaue ich eben ins Internet. Dort finde ich dank des großen journalistischen Angebots viele weitere Informationen, die eine zeitlich begrenzte Sendung nicht liefern kann. So zumindest an einem „normalen“ Tag.

Journalismus benötigt Zeit, die ihm nicht gewährt wird

Normal war gestern Abend jedoch nichts mehr. Die Terrortaten in Frankreich schockieren, sind entsetzlich und stimmen nachdenklich. Was viele Menschen nun zurecht fordern, sind Antworten: Wer? Wo? Was? Wie? Warum? Den Fehler, den wir dabei jedoch begehen, ist unsere Erwartungshaltung. Diese Antworten haben gefälligst innerhalb weniger Minuten recherchiert, zusammengestellt und verbreitet zu sein. Willkommen im Echtzeitalter. Das kann keine Nachrichtenagentur, kein Fernsehsender leisten. Wie viele Kommentare in den sozialen Medien nun jedoch zeigen, ist das Verständnis dafür gering. Und neben den unfassbaren Taten in Paris macht mich auch dieses Verhalten wütend.

Sportreporter ungleich Krisenreporter

Gestern wurden viele Millionen Zuschauer Zeuge, wie Sportreporter zu Krisenreportern werden mussten und dabei ihre professionelle Maske fiel. Wir sahen besorgte Menschen, die ebenso wie die unschuldigen Opfer und ganz Paris in diesen Wahnsinn gezogen wurden. Auch ihnen Stand die Angst ins Gesicht geschrieben, sie waren ratlos und besorgt. Die Übertragung wirkte wirr. Wer mag es den Verantwortlichen verdenken?

Sie mussten Zeit schaffen für die Kollegen, die in dieser Zeit mit Sicherheit bereits mit Recherche, Vorbereitungen von Sondersendungen und womöglich auch einem Krisenplan beschäftigt waren. Vom Sofa aus lässt es sich hervorragend Twittern, wie scheiße die Öffentlich-Rechtlichen Medien doch gerade berichten. Dass die Kollegen dabei jedoch nur unweit von den direkten Terrorschauplätzen berichteten und de facto selbst mitten im Krisengebiet standen, wird dabei vergessen.

Der Auftrag der Medien

Ohne Menschen wie die Journalisten, die sich an und in die Gefahrenzonen begeben, würden wir manchmal gar keine Informationen erhalten. Und noch viel wichtiger: Die Informationsflut wäre undurchsichtiger, es gäbe keine Instanz, die die Meldungen überprüft, kanalisiert und verständlich verbreitet.

Anstatt sich sofort an wilden Spekulationen zu beteiligen wird eine tragbare Faktenbasis geschaffen, die versucht den Wahnsinn zu ordnen und so vielleicht auch dazu beizutragen, Schlimmeres zu verhindern, indem Warnungen ausgesprochen, Hilfe angeboten und die Zuschauer mit möglichst korrekten Informationen versorgt werden, um so eine vernünftige Krisenkommunikation zu gewährleisten.

Das ist der Auftrag der Medien. Das sollte unser Anspruch an die Medien sein.
Wir sollten letztlich nicht vergessen, dass die Verarbeitung (psychologisch) und Aufbereitung (journalistisch) Schritt für Schritt erfolgen muss und Vorsicht sowie Empathie benötigt. Wahn und Wahnsinn sind nicht so leicht verständlich, dass sie sofort erklärbar wären.

Kommentare

  1. Vielen Dank für dieses Plädoyer für guten und gut recherchierten Journalismus! Mich ärgert das so sehr, wenn Menschen auf Facebook plakativ empörte Kommentare schreiben, die nur auf Vermutungen basieren.

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  2. Danke für den guten Kommentar.
    In vielen Punkten stimme ich dir überein, gerade was Verarbeitung und Aufbereitung angeht. Die Verarbeitung seiner Umwelt so vorzunehmen, dass sie einen nicht selbst schädigt und, so zynisch das klingen mag, 'arbeitsunfähig' macht, ist eine Fähigkeit, die (auch objektive Informations-)Journalisten beherrschen sollten und sie glücklichenfalls demnach entsprechende Ausbildung erfahren. Die Rolle des Sportreporters entzieht sich mMn diesem Anspruch und somit respektiere ich bspw. einen Mathias Opdenhoevel für die Fassung, wenn sie auch zwischenzeitlich nach Erbrechem aussah, die er bewahrt hat. Wenn etwas Übelkeit bereitet, darf das zu sehen sein bei jemanden, der nicht für solche Ausnahmesituationen vorbereitet ist- was an sich paradox genug wäre; die Vorbereitung auf die Ausnahme.
    Deine Kritik an dem Konsumverhalten bzgl. Nachrichten ist in meinen Augen aber ebenso in die Richtung der Produzenten zu richten. Dein formulierter Anspruch an die Medien ist fernab von dem, was 'die' Medien (ja, ich generalisiere gerade, aber ich hoffe es ist klar, dass ich nicht von 'den einen großen Medienmachern rede, die in einem Hauptquartier versammelt sich um ''DIE'' Arbeit als Lügenpresse kümmert') sich selbst zum Anspruch machen, vielleicht sogar zutrauen. Ich verlange nicht mehr investigativen Journalismus, wenn auch der Mangel an diesem mich etwas journalistenverdrossen macht, aber ich möchte nicht mehr die zwanghafte Befriedigung des Bedürfnis nach Neuigkeiten sehen. Ich würde fast sagen, es ließe sich eine Odysee an Klickstrecken und anderem Aufbauschkram bilden, an dessen Ende kein Ziel steht, sondern nur das Gefühl, jede Nichtigkeit und Spekulation wird soweit aufgeblasen, dass mensch Angst haben muss, dass sie platzt.
    Ich glaube, es liegen Verständnisprobleme zwischen Medienmachern und -nutzern vor. Ein Punkt wäre da die Trennung von Informationsjournalismus und interpretativem Journalismus.
    Wenn der erstere Zeit benötigt, dann der letztere erst recht.
    Zu viele gehen vielleicht bei 'Ticker-Momenten' der Welt mit der Erwartung zum Nachrichtendienst der Wahl, keine Folge von Meldungen, Nachrichten, Berichten und dann womöglich Reportagen/Features zu bekommen, sondern direkt Berichte und am besten noch mit der einzelnen Überprüfung von allen eventuellen weiteren Verläufen, was recht spekulativ wäre, verknüpft.
    Zu viele Medien geben diesem Druck aber auch nach oder, mensch schaue bei Axel-Springer-Kindern rum, schüren diesen ganz bewusst für die Auflage.
    Ich möchte nicht allzu sehr abschweifen, sondern meinen Kommentar mit einer Erfahrung abschließen:
    Zu Beginn des Arabischen Frühlings Anfang 2011 war meiner Erinnerung nach viel Trubel um Medienversagen und das ja nicht ordentlich berichtet werden würde. Die Idee, dass sich von den Verhältnissen, die vor Ort herrschten aber nicht jede Stunde etwas veränderte kam den wenigsten. Hätte ich gewollt hätte ich gefühlt zu jeder vollen Stunde einen 'neuen' Artikel lesen können, der mir nichts neues sagte. Ein damaliger Freund war etwa um die Zeit in den USA gewesen und hatte nichts mitbekommen. Angekommen reichte ihm ein nicht wirklich ausufernder Artikel, um letztlich auf dem selben Informationsstand zu sein wie sein gesamtes Umfeld inkl. mir. Internetjournalismus kann sehr gut sein, aber ist es meistens leider nicht, sag ich jetzt einfach mal pauschal.
    Um ausreichend informiert zu sein reicht meiner Meinung nach auch die Wochenzeitung, die Verkaufszahlenverhältnisse zur Tageszeitung sollten mir, schätze ich, nicht widersprechen.

    Sollen die öffentlichen Medien ihrer Rolle als Vierter Gewalt gerecht werden braucht es Geduld auf der Verbraucher, Vertrauen auf der Produzenten und Verständnis füreinander auf beiden Seiten.

    Danke für deinen zügigen Beitrag zum Moment.

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  3. Am Ende, da bin ich sogar froh, wie gut der Journalismus doch ist, eben weil er diese Dinge leisten muss, die Fingerspitzengefühl erfordern, während eine schwieriger Markt geifert, hungert und nicht weiß, wie er bedient werden will.

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  4. Anonym16.11.15

    Dazu auch interessant: https://udostiehl.wordpress.com/2015/11/14/terrorismus-in-paris-und-eine-unerfuellbare-anspruchshaltung/


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  5. Tipp für die Tiefe: die Serie "The Newsroom". Da wird mit sehr nachvollziehbaren Charakteren das Nachrichtengeschäft in den USA gezeigt, fiktiv, aber anhand von bekannten Vorkommnissen der letzten 2 bis 5 Jahre.

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